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GRALE 4: "Leave no one behind"

Was haben Weiterbildung und Klimaschutz gemein? Für beides vereinbaren Regierungen auf multilateraler Ebene wohlklingende und „ehrgeizige“ Förderziele. Weniger Wohlklang verbreiten die Berichte, die den jeweiligen Umsetzungsfortschritt unter die Lupe nehmen.

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susanne LATTKE

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Was haben Weiterbildung und Klimaschutz gemein? Für beides vereinbaren Regierungen auf multilateraler Ebene wohlklingende und „ehrgeizige“ Förderziele. Weniger Wohlklang verbreiten dann in der Folge die Berichte, welche in regelmäßigen Abständen den jeweiligen Umsetzungsfortschritt unter die Lupe nehmen.

The fourth Global Report on Adult Learning and Education (GRALE 4) on EPALE.

Der neueste Weltbericht zur Situation der Erwachsenenbildung, der auf Daten aus 159 Ländern basiert, macht hierin keine Ausnahme. Am 5. Dezember wurde er in Brüssel der Öffentlichkeit präsentiert. Weiterbildung, so die zentrale Botschaft, kann – bzw. könnte – viel beitragen zu sozialem Zusammenhalt, nachhaltiger Entwicklung, Wirtschaftswachstum und individuellem Wohlbefinden, doch wird ihr Potential nirgends ausgeschöpft. Die Liste der angeführten Defizite ist lang – und größtenteils nicht neu. Die Teilnahme an Weiterbildung: zu gering, vor allem unter sozial benachteiligten Gruppen. Die bereitgestellten finanziellen Mittel: unzureichend. Die politischen Maßnahmen: zu punktuell, zu unspezifisch. Die verfügbare Datenbasis: dürftig. An diesem Gesamtfazit ändern dann auch die zahlreichen „Good Practice“-Fälle aus allen Weltregionen nichts, die im Bericht als positive Beispiele gelungener Initiativen (aus Deutschland u.a. das GRETA-Kompetenzanerkennungsverfahren!) präsentiert werden. Besorgniserregend angesichts aktueller Entwicklungen mutet nicht zuletzt der unverändert geringe Stellenwert der politischen Bildung an. Anders als für die Grundbildung und die berufliche Weiterbildung vermag der Bericht hier kaum irgendeinen Fortschritt über die letzten Jahren zu verzeichnen. Es bleibt viel zu tun.

Digitalisierung als Hoffnungsträger

“Leave no one behind: Participation, Equity and Inclusion” ist der aktuelle Bericht überschrieben. Die Teilnahme an Weiterbildung wurde dieses Mal als thematischer Schwerpunkt gewählt. Dass mit „Equity“ keine Zustandsbeschreibung, sondern ein in vermutlich noch weiter Ferne liegendes Ziel gemeint ist, wird bei der Lektüre schnell deutlich. Die Teilnahmeschere, die in Deutschland als „Matthäus-Effekt“ wohlbekannt und beklagt ist – wer bereits gebildet und privilegiert ist, nimmt an Weiterbildung teil, die anderen, bei denen das nicht der Fall ist, besuchen dagegen auch eher keine Fortbildungskurse –, nimmt auf globaler Ebene noch einmal deutlich schärfere Dimensionen an. Als ein großer Hoffnungsträger zur Bekämpfung dieses Missstandes wird die Digitalisierung gehandelt. Digitale Technologien und die Verbreitung mobiler Endgeräte ermöglichen es prinzipiell, Bildungsangebote flexibler an breitere Gruppen von Lernwilligen heranzutragen. Wie weit es jedoch tatsächlich gelingt, mit Hilfe dieser neuen Technologien und des zunehmenden Angebots an frei zugänglichen Lehr- und Lernmaterialien (Open Educational Resources) die Weiterbildungsaktivität unterrepräsentierter Gruppen auf breiter Basis zu steigern, kann der vorliegende Weltbericht mangels entsprechender Langzeitdaten freilich noch nicht sagen. Hier wird es spannend sein, die weiteren Entwicklungen zu verfolgen – vielleicht nimmt sich ja sogar einer der nächsten Weltberichte in drei oder sechs Jahren der Digitalisierung als Schwerpunktthema an. Und auch hier gilt es zu verhindern, dass mit den sich neu eröffnenden Möglichkeiten alte Ungerechtigkeiten einfach fortgeschrieben oder gar verstärkt werden – Stichwort Digital Divide.

Equity muss auf der politischen Agenda bleiben

Im global-internationalen Vergleich kann sich Deutschland mit einer Weiterbildungsbeteiligung von aktuell 54% der erwachsenen Bevölkerung als Musterschüler fühlen. Ein Grund, sich auf relativ besseren Daten und Befunden auszuruhen, besteht freilich nicht. Wie der letzte Bericht zum Weiterbildungsverhalten in Deutschland von 2018 zeigt, sind die bekannten Trennlinien – Alter, Bildungsniveau, Geschlecht, beruflicher Status, Wohnort etc. – in den Grundzügen auch hierzulande deutlich erkennbar. Und dies nicht nur, wenn man den Besuch traditioneller Kurse ins Auge fasst. Es betrifft ebenso Bildungsaktivitäten mit digitalen Medien. Fazit: „Participation, Equity und Inclusion“ müssen im Hochtechnologieland Deutschland ebenso ein Thema auf der politischen Agenda bleiben wie im Rest Europas und in allen anderen Weltregionen.

Sowohl (anhaltende) Missstände wie auch Beispiele für ermutigende Ansätze immer wieder ins Bewusstsein von Entscheidungsträgern zu rufen, ist eine wesentliche Funktion des GRALE, des „Global Report on Adult Education“, der nun bereits in der vierten Ausgabe vorliegt. Ein Mammutprojekt, das unter Federführung des UNESCO-Instituts für Lebenslanges Lernen seit 2009 konsequent vorangetrieben wird. Und anders als bei den drei Vorgängern wird es den vollständigen Bericht diesmal auch in deutscher Übersetzung geben: Für Anfang 2020 ist diese avisiert. Auf dass die Mahnungen und Anregungen des GRALE 4 hierzulande auf noch breitere Resonanz stoßen. Verdient hätte er es.


Über die Autorin: Susanne Lattke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung - Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V. in Bonn.


Hier finden Sie weitere Blogbeiträge von Susanne Lattke:

Kreativsein ist alles – Eindrücke aus einer Recherche im Rahmen des EU-Projektes CIM

"Steter Tropfen oder Sisyphos?"

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Kommentar

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Torsten SCHNEIDER
Mi., 08.01.2020 - 11:40

Vielen Dank an Susanne Lattke für diesen interessanten Beitrag! Digitale Technologien bieten die Möglichkeiten, durch die sich die Weiterbildungsbeteiligung benachteiligter Gruppen erhöhen lässt. Sehr vielversprechend! Neue Technologien alleine sind natürlich nicht ausreichend. Nach wie vor wird es im Kern darum gehen, innovative Ideen zu entwickeln, um auf die Zielgruppe zuzugehen und Weiterbildung interessant zu machen. Die nächsten Jahre werden also spannend!  
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Sibilla Drews
Di., 07.01.2020 - 11:33

In der Tat gibt es in der Diskussion um das lebenslange Lernen eine enorme Diskrepanz zwischen Worten und Taten. Hoffen wir, dass sich dies bei der Ausgestaltung des Europäischen Bildungsraums nicht auch so fortsetzt.

Im November 2019 hat immerhin der Rat der EU-Bildungsminister*innen eine Schlussfolgerungverabschiedet zur "Schlüsselrolle, die den Strategien für lebenslanges Lernen dabei zukommt, die Gesellschaften zur Bewältigung des technologischen und Ökologischen Wandels zu befähigen, um inklusives und nachhaltiges Wachstum zu fördern". Darin betonen sie, dass das lebenslange Lernen das gesamte Spektrum an formalem, nicht-formalem und informellem Lernen umfasst undpersönlichen, staatsbürgerlichen, sozialen und/oder beschäftigungsbezogenen Zielen dient.

Es lohnt sich, mal in das Dokument hineinzuschauen. Schön wäre es, wenn in den Mitgliedstaaten mehr daraus würde als eine wohlklingende und ehrgeizige Absichtserklärung.


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Hans Georg Rosenstein
Do., 12.12.2019 - 13:48

Danke an Susanne Lattke für die kritische Würdigung von GRALE 4. Die Rolle Deutschlands als Musterschüler der Erwachsenenbildung mit 54% Weiterbildungsbeteiligung klingt zunächst wie eine große Erfolgsstory. Bei aller Würdigung dieser positiven Entwicklung: andere Erhebungen wie die europäische Arbeitskräfteerhebung kommen zu anderen Zahlen und Ergebnissen bei der Weiterbildungsbeteiligung und stellen die nationale Situation der Erwachsenen- und Weiterbildung weniger positiv dar (… auch wenn Äpfel und Birnen nicht miteinander vergleichen sollte!). 
Auch die nationale Weiterbildungsstrategie lässt die allgemeine Weiterbildung außer Acht und fokussiert auf berufliche Weiterbildung. Doch beispielsweise kulturelle Bildung und Demokratiebildung für Erwachsene sowie viele weitere Aspekte im informellen und nicht-formalen Kontext sollten mehr Berücksichtigung und Anerkennung finden!
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susanne LATTKE
Fr., 13.12.2019 - 10:55

Antwort auf von Hans Georg Rosenstein

Politische und kulturelle Bildung und allgemeine Weiterbildung insgesamt standen schon immer im Schatten der beruflichen Bildung. Insofern ist die Fokussierung der nationalen Weiterbildungsstrategie leider keine große Überraschung. Dass sich daran allerdings auch nach Jahren wachsender populistischer Tendenzen in Europa kaum etwas geändert hat, ist mehr als bedauerlich.
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sondern aus meiner Sicht sogar sehr bedenklich. Hier zeigt sich eine starke Dissonanz zwischen dem politischen Diskurs und den politischen Aktivitäten, die leider eher dem populistischen Lager zu Gute kommt. 
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Heike KOELLN-PRISNER
Community Contributor (Bronze Member).
Do., 12.12.2019 - 12:27

Danke für die Einführung in den neuen GRALE-Report, und auch für den Hinweis auf den Bericht zur "Weiterbildungsbeteiligung 2018", das umrahmt das Ganze ja noch mal mit Details. Es bleibt aber eigentlich alles beim Alten: außer in der betrieblichen Weiterbildung tut sich nicht viel, die Zahlen in den anderen Sektoren stagnieren, und der Educational Divide entlang Alter, Geschlecht …. bleibt wie immer:-((.
Angesichts der vielen Sonntagsreden über "lebenslanges Lernen" und Digitalisierung der Bildung" ist das ja eher ernüchternd..... aber eben auch nicht überraschend. Manchmal frage ich mich, ob die Erhebungsmethoden auch mal auf den Prüfstand gehören....Wenn Deutschland 4% des BIP für AE ausgibt, und ich zuhause mir ein (kostenloses) Podcast zum Italienischlernen reinzieh, ist das dann erfasst???
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Hallo Frau Kölln-Priesner,

die Erhebungsmethoden sind in der Tat befragenswert. Reine Statistiken liefern leider selten Informationen zu komplexen Fragen. Und wenn, wie im GRALE oder in anderen großen Bildungsberichten, Zahlen aus ganz unterschiedlichen Erhebungen zusammengeführt werden, wird es erst recht kompliziert.

Ob Ihr kostenloser Italienisch-Podcast in den Ausgaben miterfasst wird, kann man pauschal gar nicht beantworten. Falls der Anbieter in irgendeiner Form öffentliche Mittel für die Entwicklung des Podcasts bekommen hat, dann ja, ansonsten eher nein.
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Christine Bertram
Di., 10.12.2019 - 10:20

Zunächst einmal Danke für die kritische Betrachtung des GRALE 4 Reports. Es ist wichtig, auch aufzuzeigen, wo Handlungsbedarf besteht, und nicht wie in vielen Medienberichten und auch aus der Politik in Lobhudeleien auszubrechen. 
Vor allem in der Politik wird der Report einmal mehr nur in Bezug auf die berufliche Weiterbildung gesehen, wie diese Pressemitteilung von Frau Karliczek verdeutlicht. Politische Bildung, die zu Recht als Sorgenkind betrachtet wird, findet sich jedoch vielfach nicht im Bereich der beruflichen Weiterbildung. Und so bleibt noch viel Arbeit zu tun, die Wahrnehmung der Gesamtheit der Erwachsenenbildung zu verbessern. Denn nur wenn formelle, informelle und nicht-formale Erwachsenenbildung ganzheitlich betrachtet werden, werden wir auch Beteiligung, Gleichberechtigung und Inklusion umsetzen können. Ein Inseldenken hilft da nicht.
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Anke DREESBACH
Mi., 08.01.2020 - 09:02

Danke für diese kurze und prägnante Einführung zum 4. Globalen Bericht über die Weiterbildung. Die Ergebnisse zeigen erneut, dass sich nur wenig in eine positive Richtung verändert. Was steigert die Motivation und die Freude an der Weiterbildung? Ist unser Bildungssystem darauf ausgerichtet die Lernfreude in jungen Jahren zu erhalten? Passen die Angebote zum Bedarf? Weiterbildung nur dann, wenn sie gerade zweckdienlich ist? Die Ergebnisse des Reports führen dazu, dass bei mir viele Fragen auftauchen, die eher in die Richtung gehen: Was führt wann dazu, dass die Beteiligung an Weiterbildung in der Erwachsenenbildung eher stagniert und wo müsste eigentlich angesetzt werden? Und wenn dies eigentlich bekannt ist - warum bleibt dann alles beim Alten?
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Hallo Frau Bertram

ich stimme Ihnen absolut zu. Umso wichtiger ist es, die UNESCO-Aktivitäten im Bereich der Erwachsenenbildung auch in Deutschland bekannter zu machen, denn die UNESCO bemüht sich immerhin nach besten Kräften, ein einheitliches Bildungsverständnis zu vertreten.
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Christine Bertram
Fr., 13.12.2019 - 16:54

Antwort auf von susanne LATTKE

Die Arbeit der UNESCO in diesem Bereich hat viel zur Wahrnehmung der Erwachsenenbildung beigetragen. Das föderale System in Deutschland macht es zudem schwieriger, der Diversität der EB-Landschaft Rechnung zu tragen. Wenigstens hat die UNESCO ein Verständnis von der Wertigkeit der Erwachsenenbildung, und tut die informelle und nicht-formale Bildung nicht als freizeitorientiertes Lernen ab.
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