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Nudelfabrik – "Dafür (be)arbeite ich das ganze Jahr (den Teig)!"

Der Name „Nudelfabrik“ mag an industrielle Produktion erinnern, und doch steht er für Teigwarenherstellung in einer familiären Atmosphäre.

Dieser Artikel ist Teil der europäischen EPALE Themenwoche: „Learning Communities im ländlichen Raum“. Dieses Schwerpunktthema umfasst Initiativen aus Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Österreich, Polen und Ungarn.

Das Interview wurde von Vivien Balogh, der Kommunikationskoordinatorin des Projekts Acting Communities, geführt.

Wer die „Nudelfabrik“ kennt oder von ihr gehört hat, weiß, dass der Name mit einem Augenzwinkern gewählt wurde. Die Teigwarenproduktion findet hier nicht in einer industriellen Umgebung statt, sondern in einer familiären, freundlichen Atmosphäre. Vivien Balogh, Kommunikationskoordinatorin des Projekts Acting Communities, sprach mit Izabella Bálint Zsoltné, der Leiterin des ICSS (Integrated Community and Service Space) in Vokány, über die Anfänge dieses kommunalen Projekts und ihre Rolle bei seiner Entwicklung.

Tésztagyár 1

Was sollten wir über Vokány wissen?

Vokány (deutsch Wakan) ist eine donauschwäbische Gemeinde im Komitat Baranya, etwas nordöstlich von Siklós, zwischen Kistótfalu und Újpetre am Fuße des Villány-Gebirges, gelegen. Dort befand sich bereits zur Zeit der Árpád-Dynastie eine Benediktinerabtei namens Trinitás, die bereits 1183 erstmals urkundlich erwähnt wurde. An der Stelle, an der einstmals die Abtei stand, wurde im 18. Jahrhundert ein neues Dorf gegründet. Dieses wurde zunächst von Serben bewohnt, die später von deutschen Siedlern abgelöst wurden. Die Dorfbewohner bauten hauptsächlich Wein an. Zu den Wahrzeichen der Gemeinde gehört das ehemalige Kloster Keresztúr, dessen einstiger Standort heute von Wald bedeckt ist. 

Wie kam es zu dem Programm „Nudelfabrik“ in Vokány?

Vokány ist im Grunde eine alternde Gemeinde, was bedeutet, dass die Zahl der jungen Einwohner abnimmt und der Anteil der älteren Bevölkerung wächst. Das Seniorenzentrum, in dem sich früher 20 bis 30 ältere Menschen trafen, um Zeit miteinander zu verbringen, wurde vor acht Jahren geschlossen. Früher organisierten sie gemeinsame Aktivitäten, bei denen sie miteinander feierten, redeten, backten und kochten. Sie waren froh, der Monotonie ihres Alltags für ein paar Stunden entfliehen zu können. Doch das Zentrum wurde aus finanziellen Gründen von einem Tag auf den anderen geschlossen, und dadurch verloren die älteren Menschen plötzlich dieses Sicherheitsnetz, das sie mit der aktiven Gesellschaft verbunden hatte.

Jahrelang gab es keinerlei Bemühungen, einen neuen Gemeinschaftsraum für die älteren Gemeindemitglieder zu schaffen. Viele von ihnen zogen sich völlig zurück, sie gingen nicht einmal mehr auf die Straße. 

Mit der Gründung des ICSS (Integrated Community and Service Space) versuchten wir, auf sie zuzugehen und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu treffen und ihre Gemeinschaft wieder aufzubauen. Obwohl wir ihnen jede erdenkliche Hilfe anboten (gemeinsames Backen, Ausflüge, Kino, Raumangebot), nutzten sie diese Möglichkeiten nicht. Ich suchte weiter nach einer Antwort auf die Frage: Was könnte die älteren Menschen motivieren, aktiv zu werden? Unser Wunsch war es, sie in verschiedene Aktivitäten einzubinden, zumal wir viel von ihnen lernen können. Welche Aufgaben konnten wir für die Älteren finden und was würde in ihnen den Wunsch wecken, aktiv zu werden? Über diese Fragen dachten wir nach – und heraus kam die Idee einer Teigwarenmanufaktur. 

Tésztagyár 3

Was waren die ersten Schritte?

Vor der ersten Sitzung sprachen wir viele Leute an und baten sie mitzumachen. Alles Notwendige – Mehl, Eier und Sonstiges – kauften wir im Voraus und bereiteten den Raum vor. Wir brauchten ja nicht viel mehr als Tische, die immer benötigt werden, und ein paar Schüsseln. Alle brachten ihre eigenen Nudelmaschinen mit, denn die gibt es in jedem ländlichen Haushalt. In der Speisekammer aller Omas finden sich ebenso ein Nudelholz und ein Nudelbrett und eine kleine weiße bestickte Schürze. Unserem Aufruf folgten ältere Frauen und sogar Männer. Wir machten uns mit großer Begeisterung an die Arbeit und verbrachten schon bei der ersten Sitzung vier Stunden gemeinsam. Die Frauen kneteten und formten den Teig, während die Männer Karten spielten und manchmal halfen, die Maschinen in Gang zu bringen. Mit einer traditionellen „Schneckenmaschine“ aus Holz fabrizierten wir „Schnecken“, und die Jüngeren waren begeistert, diese Technik zu erlernen. Hier das bewährte Rezept: Man nehme 10 Eier aus eigener Hühnerhaltung und 1 kg Mehl und knete die Zutaten mit etwas Ellenbogeneinsatz zu einem Teig. Kein Wasser nötig! Wenn der Teig fertig ist, lasse man ihn eine halbe Stunde lang ruhen und fange dann an, ihn zu verarbeiten. Zuerst rolle man den Teig mit einer Maschine in dünne Schichten aus, dann schneide man ihn in Streifen und schließlich wickle man ein ca. 1 cm langes Stück eines Streifens um einen dünnen Stock und rolle es entlang des kleinen geriffelten Werkzeugs. Schon hat man eine kleine Schnecke! Das Ganze ist sehr arbeitsintensiv, aber es lohnt sich, denn es geht nichts über selbstgemachte Teigwaren. Wir haben oft Besucher aus der nahegelegenen Stadt, die unbedingt lernen wollen, wie man hausgemachte Nudeln herstellt. Bei diesen Treffen machen wir unserem Namen alle Ehre, denn die Menge an Teigwaren, die wir herstellen, ist fast schon industriell. Am Ende des ersten Treffens teilten wir die Schnecken unter den Teilnehmenden auf, damit alle die Chance hatten, echte hausgemachte Nudeln zu probieren. Wir trockneten auch einen Teil unserer Produktion, und beim nächsten Mal bereitete ich eine lokale Spezialität zu, echte schwäbische Spätzle mit Bohnen.

Was sind echte schwäbische Spätzle mit Bohnen und wie werden sie gemacht?

Klassische Speisen haben in Vokány bis heute eine lange Tradition. Die Rezepte werden in jeder Familie von Generation zu Generation weitergegeben, mit kleinen Abwandlungen. Jeder lässt etwas weg oder fügt etwas hinzu. Ich habe versucht, das Originalrezept zu verwenden und befragte deshalb einige Hausfrauen. Natürlich gab es genauso viele verschiedene Antworten wie Befragte, also beschloss ich, das Rezept nach meinen eigenen Vorstellungen zu variieren. Ich goss eine Dose Bohnen in Tomatensoße auf angeröstete Zwiebel, fügte einige Gewürze hinzu, kochte die Teigwaren und servierte sie mit der Bohnensoße. Als Beilage röstete meine Mutter grobe, mit der Hand zerkleinerte Brotbrösel und streute sie kurz vor dem Servieren – um sie knusprig zu halten – über die Nudeln. Es ist eine sättigende, schmackhafte, ansprechende und günstige Mahlzeit, die alle Kriterien eines guten schwäbischen Essens erfüllt. Auf den ersten Nachmittag in der Nudelfabrik folgten noch viele weitere. Neben den Nudeln machen wir auch Krapfen und neuerdings sogar Strudel. Es gibt feste Teammitglieder, aber wir sehen auch immer wieder neue Gesichter. Es ist nicht ungewöhnlich, dass Männer zu uns kommen oder Leute aus anderen Gemeinden anfragen, ob sie dazukommen dürfen, um zu lernen. Letztes Mal hatten wir Besucher aus vier verschiedenen Gemeinden.

Was ist das Erfolgsrezept dieser Initiative, was macht sie so erfolgreich?

Wir bieten den älteren Menschen eine sinnvolle Beschäftigung, die sie auf Trab hält und sie aus ihrem Schneckenhäusern herausholt. Sie fühlen sich wieder wichtig und nützlich, und wertvolles Wissen bleibt erhalten und wird weitergegeben. Auch Traditionen werden am Leben erhalten. Wir haben eine Brücke zwischen den Generationen geschlagen und sorgen auf diese Weise dafür, dass neue Beziehungen und Freundschaften entstehen können. Bei einer unserer Veranstaltungen besuchte uns ein Food-Blogger. Danach postete er ein wunderbares Foto vom ersten Strudel seines Lebens, den mit eigenen Händen gezogen hatte, und natürlich erwähnte er, dass er den Teig mit uns zubereitet hatte. Einmal hatten wir etwa 20 bis 25 Leute in der Nudelmanufaktur – für ein Dorf mit 870 Einwohnern eine beeindruckende Zahl. Wir haben eine gute Lösung für ein gesellschaftliches Problem gefunden, die wir noch weiter verbessern können. Der Erfolg dieser Gemeinschaftsaktion liegt darin, dass sie das natürliche Bedürfnis von Menschen nach Anerkennung und Nützlichkeit anspricht. Jeder hat gerne das Gefühl, einen Platz in der Gesellschaft zu haben. Ich glaube, dass es viel spannender und wertvoller ist, sich selbst aktiv an etwas zu beteiligen anstatt nur als Zuschauer dabei zu sein. Wir neigen dazu, den Erfolg an der Zahl der Teilnehmenden zu messen. Der wahre Maßstab für den Erfolg ist jedoch, wenn Bedürfnisse, Möglichkeiten und Angebote miteinander in Einklang gebracht werden, wie es bei diesem Programm der Fall ist. Für unsere kleine Gruppe haben wir eine Art Motto: "Dafür (be)arbeite ich das ganze Jahr (den Teig)!“

Tésztagyár 2  

Was raten Sie Gemeinden, die sich in einer ähnlichen Situation befinden?

Ich denke, dass das Programm in seiner jetzigen Form übertragbar ist, es muss aber an die spezifischen Umstände angepasst werden. Man braucht ja nicht unbedingt Teigwaren zu fabrizieren, sondern Wissen jeglicher Art transferieren, indem man lokale Bedürfnisse, lokales Wissen und Ressourcen identifiziert. 

Wie geht es nun weiter, welche kurz- und langfristigen Ziele haben Sie sich gesetzt?

Unser kurzfristiges Ziel war es, ein Programm für ältere Einheimische auf die Beine zu stellen, das auf den lokalen Bedürfnissen basiert. Dieses Programm sollte das Potenzial haben, eine Gemeinschaft entstehen zu lassen, und so attraktiv sein, dass die Menschen gerne mitmachen. Wenn die Nudelgerichte ausgeschöpft sind, können wir jede andere Art von Essen kochen, Rezepte austauschen, eine Rezeptsammlung veröffentlichen oder kulinarische Ausflüge organisieren. Es wurde von den Teilnehmern auch vorgeschlagen, dass wir die Produkte, die wir herstellen, für wohltätige Zwecke zur Verfügung stellen sollten. Zu unseren langfristigen Zielen gehört es, die emsigen Mitglieder der Pasta Factory in eine aktive und eigenständige Gemeinschaft zu verwandeln, das Wissen der Älteren zu nutzen und Brücken zwischen den Generationen zu schlagen. 

Themenwoche EPALE Ländlicher Raum.

 


Quelle: 'SZÍN' Community Culture Journal

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