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Informelles Lernen – Grundvoraussetzung einer lebenslang lernenden Gesellschaft

Michael Kenny befasst sich mit der unterschätzten Rolle des informellen Lernens für die Schaffung lebenslang lernender Gesellschaften.

Lesedauer circa acht Minuten - Lesen, liken und kommentieren!

Originalsprache: Englisch


Informal learning.

Michael Kenny befasst sich mit der unterschätzten Rolle des informellen Lernens für die Schaffung lebenslang lernender Gesellschaften

Die Strategie Europa 2020, deren Ziel darin besteht, „die EU in eine intelligente, nachhaltige und integrative Wirtschaft zu verwandeln, die durch ein hohes Beschäftigungs- und Produktivitätsniveau sowie einen ausgeprägten sozialen Zusammenhalt gekennzeichnet ist“, stellt wichtige sozialpolitische Weichen innerhalb der EU, durch die ein ausgewogeneres und nachhaltigeres Konzept für die Zukunft geschaffen werden soll. Seit sie im Jahr 2010 verabschiedet wurde, haben ihre Ziele, die unter anderem auf die Erhöhung der Beschäftigung, Verbesserung der Ausbildung und Minderung von Armut und sozialer Ausgrenzung ausgerichtet sind, mehr Wichtigkeit zugesprochen bekommen. Zu Recht, denn sie betonen die Bedeutung der sozialpolitischen Ziele innerhalb der Vision für das künftige Wohlergehen Europas.

Allerdings ist das enthaltene Ziel, 15 % der Erwachsenen für das lebenslange Lernen zu gewinnen, problematisch, da dabei nur das formale Lernen und wenige Bereiche des nicht-formalen Lernens berücksichtigt werden.

Adult learning participation.

In diesem Artikel beschäftige ich mich mit der Frage, ob wir dem informellen Lernen nicht mehr Beachtung schenken sollen, da es die Grundvoraussetzung für eine lebenslang lernende Gesellschaft darstellt.

Andrew Bollington (Leiter der Abteilung für Forschung und Lernen bei der LEGO Foundation) fragte in einer kurzen Stellungnahme bei der OECD: Warum lernt nicht jeder lebenslang? „Bei der Bildung geht es nicht mehr darum, wie viel man weiß, sondern darum, über die Fähigkeiten und die Motivation zu verfügen, lebenslang zu lernen, damit man immer, wenn es notwendig ist, Neues lernen kann.“

Die Bedeutung des informellen Lernens

Das Zentrale Statistikamt Irlands (CSO) hat in seinem Adult Education Survey (AES – Umfrage zur Erwachsenenbildung) 2017 festgestellt, dass „informelles Lernen beliebter ist als formale oder nicht-formale Bildungsmaßnahmen“. Laut dem Bericht haben über 60 % der irischen Bevölkerung im Alter von 25-64 Jahren an informeller Bildung teilgenommen.

Die Entwicklungen in Europa laufen in eine ähnliche Richtung. Einer Erwachsenenbildungsumfrage von 2016 zufolge nahmen 60,5 % der Erwachsenen in der EU28 an entsprechenden Maßnahmen teil. Natürlich gibt es dabei Schwankungen – so liegt die Teilnahme in Zypern bei fast 100 % und in Litauen bei 22 %.

Adult learning survey.

Formen des informellen Lernens

Das Lernen mithilfe von Computern (online oder offline) war in Irland am beliebtesten, wie 82,2 % derjenigen, die an informeller Bildung teilnahmen, angaben. Dabei lernen jüngere Menschen eher mithilfe eines Computers als ältere. Diejenigen, die ihr Studium ausreichend abgeschlossen haben, nehmen mit dreimal so hoher Wahrscheinlichkeit informelle Lernangebote wahr, wie diejenigen, die gerade mal über die Hochschulreife verfügen (siehe Abbildung 7 für Irland).

Types of informal learning.

Definition des informellen Lernens

Das Europäische Zentrum für die Förderung der Berufsbildung (CEDEFOP) definiert das informelle Lernen in seinem Glossar als „Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, im Familienkreis oder in der Freizeit stattfindet. Es ist in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung nicht organisiert oder strukturiert. Informelles Lernen ist in den meisten Fällen aus Sicht des Lernenden nicht ausdrücklich beabsichtigt.“

Unter folgenden Bedingungen gilt das Lernen als informell:

  • Es erfolgt nicht über eine Institution. Dabei bestimmt der Einzelne selbst, was, wann und wo er lernt.
  • Es führt nicht zu einer formal anerkannten Qualifikation.
  • Es folgt keiner hierarchischen Struktur.
  • Es existieren weder Zulassungsvoraussetzungen noch Anmeldeverfahren, da es im Familienkreis, am Arbeitsplatz und im Alltag jedes Menschen erfolgen kann und auf eigene oder familiäre Initiative hin oder aus sozialen Gründen stattfindet.

Als informelles Lernen werden im Allgemeinen Tätigkeiten bezeichnet, die sich von obligatorischen Tätigkeiten (einschließlich Selbststudium und Hausarbeiten) unterscheiden. Diese werden unter formalem Lernen und nicht-formalem Lernen aufgeführt. Informelle Bildung wird üblicherweise erworben durch:

  • Lernen von einem Familienmitglied oder einem Freund/einer Freundin;
  • Nutzung von gedrucktem Material wie Büchern oder Zeitschriften;
  • Fernsehen, Radio oder Videos;
  • Computernutzung.

Informelles Lernen findet außerschulisch statt und entsteht durch die Teilnahme an Aktivitäten, die nicht zu Lernzwecken durchgeführt werden. In der 2016 auf Englisch erschienenen Ausgabe des Handbuchs zur Klassifikation von Lernaktivitäten (Classification of Learning Activities, CLA) heißt es, dass sich das informelle Lernen von der allgemeinen und beruflichen (formalen und nicht-formalen) Bildung durch ein wesentliches Kriterium unterscheidet, nämlich dadurch, ob das Lernen institutionalisiert erfolgt oder nicht.

Es handelt sich also um beiläufiges, unfreiwilliges Lernen, das im Alltag unvermeidlich ist und mitunter als „Erfahrung“ bezeichnet wird.

Lässt sich formales, nicht-formales und informelles Lernen wirklich voneinander trennen?

Informelles Lernen erfolgt nebenher und überschneidet sich mit formalem oder nicht-formalem Lernen. Wenn wir ein Lernziel bewusst verfolgen, lernen wir automatisch auch Dinge, die nicht Teil dieses Ziels sind. Beispiele für nicht-formales Lernen, bei dem gleichzeitig informelles Lernen stattfindet, sind Schwimmkurse für Kleinkinder, Sportvereine, Angebote von Pfadfindergruppen und Jugendklubs und anderen Gemeindeorganisationen, Erwachsenenbildungskurse ohne abschließende Benotung, Sport- oder Fitnessprogramme, konferenzartige Seminare, usw.

Stephen Billett stellt in seinem 2001 erschienenen Artikel Learning Throughout Working Life: Interdependencies at work die künstliche Trennung des Lernens in formal, nicht-formal und informell infrage. Er behauptet, dass alle menschlichen Tätigkeiten aus Lernen bestehen – dass alles, was wir tun, einen Lernprozess beinhaltet. Ferner legt Billett dar, dass das meiste Lernen innerhalb sozialer Organisationen oder Gemeinschaften und außerhalb der formalen Bildung stattfindet. Ich selbst denke oft darüber nach, wie viel ich durch mein Engagement in nicht-formalen Gemeindeorganisationen gelernt habe – einen Großteil davon habe ich auch in meinem Berufsleben angewandt.

Die Informations- und Kommunikationstechnologien haben maßgeblich dazu beigetragen, dass ich in den Tiefen meines geschäftigen Alltags die Möglichkeit hatte, zu lernen: durch ein Musikstück, ein Gedicht, das aktuelle Tagesgeschehen oder die Erledigung einer unmittelbar anstehenden Aufgabe. Ich bin zum Beispiel ein visueller Lerner und nutzte YouTube, um mich kontinuierlich informell fortzubilden.

Ein wahrer Schatz an (informellen) Lernmöglichkeiten

Informelles Lernen erfolgt immer häufiger über YouTube, dessen Nutzerzahlen atemberaubend sind. Insgesamt wird YouTube von 1 300 000 000 Menschen genutzt und pro Minute werden bei YouTube 300 Stunden Videomaterial hochgeladen. Laut einer US-amerikanischen Studie aus dem Jahr 2018 geben 51 % der YouTube-Nutzer an, dass sie sich neues Wissen – informelles Lernen – über YouTube-Videos aneignen.

Hierzu sei folgendes Beispiel genannt: „Als ich zum ersten Mal eine Krawatte gebunden habe, habe ich mir dazu ein YouTube-Video angesehen. Jedes Mal, wenn ich bei einem Programm wie Ableton, Premiere oder Photoshop etwas Neues ausprobieren möchte, suche ich erstmal bei YouTube. Auch ein paar Gerichte kann ich schon dank YouTube-Videos kochen. Das sind die Dinge, nach denen ich gesucht habe, um etwas zu lernen, die ich auch zugeben möchte; vieles ist mir so peinlich, dass ich es mit ins Grab nehmen werde. Aber ich bin nicht der Einzige, der YouTube als eine Art digitale Schule nutzt.“

Weitere Beispiele für informelles Lernen finden sich auf der EPALE-Plattform unter:

Informelles Lernen als Grundvoraussetzung einer lebenslang lernenden Gesellschaft

Dieser Beitrag ist also ein Argument für eine größere Anerkennung des informellen und nicht-formalen Lernens als Grundvoraussetzung für eine lebenslang lernende Gesellschaft. Er ist ein Argument für die Ermöglichung von Kreativität, Neugier und Demokratie beim Lernen und für eine Abkehr von einem formalisierten Zertifizierungssystem, bei dem es vor allem um die Förderung einer Wirtschaft mit hohem Beschäftigungsniveau geht.

Eine Beteiligungsquote von 15 % ist wenig ehrgeizig –
sie sollte 95 % betragen und auch informelles Lernen berücksichtigen.

Was meinen Sie dazu?

Berichten Sie uns von Ihren Erfahrungen mit dem informellen Lernen!


Über den Autor: Michael Kenny ist ein Erwachsenen- und Gemeinschaftsbildner mit besonders ausgeprägtem Interesse an gesellschaftlicher Partizipation. Er wuchs als Kind in einer Einwandererfamilie auf einem ländlichen Bauernhof im Westen Irlands auf. Er hat einen Abschluss in Agrarwissenschaften (BAgrSc 1980), einen Master in Rural Development („ländliche Entwicklung“) (MAgrSc 1990) sowie ein Diplom der Höheren Bildung (HDHE 1998). Er hat Erfahrung in der Jugendarbeit, der Gemeinwesenarbeit in Irland und Afrika (7 Jahre) und hat sich weitreichend in formalen, nicht formalen und freiwilligen ländlichen und städtischen Organisationen engagiert.


Lesen Sie hierzu auch:

Informelle Lernräume in Einrichtungen der Erwachsenenbildung – oder: Lernen und Arbeiten in Zeiten des digitalen Wandels

VPL Biennale in Berlin 2019

Für Europa eine Bereicherung: Mobilität in der Erwachsenenbildung

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Kommentar

Dear Andreas. Thank you for your comment.

We are all always learning. Indeed it is a learning for me to post on EPALE and to get responses from people like you and Gabriella. I learn from this. I hope by stimulating comment I learn more. In particualr I want to take feedback on peoples' opinion and then ask myself how can I encourage greater recogntion of non-formal and in-formal learning.

Michael
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"Apprendimento informale, ossigeno per una società dell'apprendimento permanente", già il titolo dell'articolo è una sintesi di quanto penso dell'apprendimento informale: ossigeno. Avere l'opportunità di valorizzare quanto uno apprende informalmente sarebbe uno stimolo per tanti che pensano di non valere. Uno strumento potente per aiutare tutti coloro che hanno abbandonato e abbandonano i percorsi tradizionali di studio, a costruirsi autostima e aumentare le possibilità di trovare un posto di lavoro o semplicemente aiutarli nella ripresa della propria vita. Crescendo l'autostima la persona acquisisce la consapevolezza che se vuole può e se può potrà farcela come tanti altri. E' sufficiente pensare ai tantissimi giovani e meno giovani fuori ormai da contesti formali (NEET) che magari hanno appreso da autodidatti tutta una serie di competenze digitali ma non le valorizzano e nessuno li aiuta a valorizzarle. Quanti giovani hanno abbandonato la scuola perché avevano difficoltà ad inserirsi nei processi istituzionali e a rispettarne le regole? Quante persone hanno la passione per cucinare ma non hanno nessun titolo perché hanno imparato da sole o appunto con you tube...io credo che proprio in virtù di tante persone che ho incontrato nelle aule giovani e meno giovani il riconoscimento delle competenze acquisite informalmente sia realmente un passo avanti verso un maggiore rispetto degli esseri umani e delle loro potenzialità. Speriamo che anche in Italia possa velocemente diventare un processo a cui facilmente chiunque potrà accedere.
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Dear Gabriella, greetings. Thank you for your considered comment.

I note you say
"the recognition of the informally acquired skills is really a step towards greater respect for human beings and their potential"

This is insightful and important. In my post I sought to question why we are so limiting of the learning ability and frequency of our fellow Europeans. Why do we only report on the formal education acahievements?

I suggest that by only focusing on the formal data there is a implicit push towards valuing accredited learning over any other learning. This devalues unacredited learning.

Gabriella you also say that having the opportunity to value what one learns informally would be a stimulus for many who think they have not learned validly, as a help all those who have abandoned traditional study paths, to build self-esteem for the purposes of finding a job or simply helping them in their life's recovery. So true.

Therefore we must push for non-formal and in-formal learning recognition but not by forcing such leanring to be assessed as formal leerning is assessed.

Apologies I cannot reply in Italian.

Michael
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