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„Die Verwendung von Videospielen im Unterricht ist keine nette Nebensache mehr, sondern sollte selbstverständlich sein! “

Gespräch mit William Brou, Moderator des YouTube-Kanals Histoire en Jeux und Referent im Rektorat von Clermont-Ferrand.

39 Millionen.

So viele Menschen spielen in Frankreich Videospiele, das sind mehr als 50 % der Bevölkerung. Die im Oktober 2023 veröffentlichte Studie Les Français et le jeu vidéo (Die Franzosen und das Videospiel) des SEII (Syndicat des éditeurs de logiciels de loisirs) hat mit langlebigen Vorurteilen aufgeräumt. Das Durchschnittsalter der Spieler*innen liegt bei 40 Jahren; fast die Hälfte der regelmäßigen Spieler*innen (mindestens einmal pro Woche) ist weiblich; mehr als 7 von 10 Französinnen und Franzosen geben an, gelegentlich (mindestens einmal pro Jahr) zu spielen. Mit anderen Worten: Es handelt sich um ein Massenphänomen. Und Frankreich ist alles andere als ein Einzelfall. Mit mehr als 237 Millionen Spielerinnen und Spielern, sind die Zahlen für die Europäische Union ähnlich

 

Dennoch werden Videospiele häufig nicht ernst genommen. Für die einen sind sie Fantasieobjekte, andere begegnen ihnen mit Desinteresse, und vielen sind diese Spiele schlicht unbekannt. Nur wenige verfügen über das Handwerkszeug für die kritische Analyse von Videospielproduktionen. Und das aus gutem Grund: Die Entwicklung dieser Tools steckt noch in den Kinderschuhen! Eine Strukturierungs- und Sensibilisierungsarbeit, die William Brou gut kennt, da er täglich dazu arbeitet. 

Treffen Sie diesen ehemaligen Geschichts- und Geografielehrer, der den YouTube-Kanal Histoire en Jeux ins Leben gerufen hat. Seit 2018 ist er Beauftragter für Ludicisation, Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) im Rektorat von Clermont-Ferrand.

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Zunächst einmal: Was umfasst der Begriff Videospiele alles? Welche Herausforderungen in Bezug die Verwendung im Unterricht sehen Sie?

William Brou: Videospiele sind das erste weltweite kulturelle Werk. Sie stehen fürUmsätze in Milliardenhöhe. Die Verwendung von Videospielen im Unterricht ist keine nette Nebensache mehr, sondern sollte selbstverständlich sein Vor allem bei Schülerinnen und Schülern, für die das Spielen zum Alltag gehört. Die Eltern haben nicht die Zeit und nicht immer die Kompetenzen, dies zu übernehmen. Die Schule muss den Kindern helfen, einen kritischen Blick zu entwickeln; es muss eine gemeinsame Erziehung zu diesen Arten von Objekten geben, die gleichzeitig künstlerisch, kulturell und industriell sind. 

 

Im Rahmen meines Auftrags beim Rektorat betreue ich Kollegen dabei, Videospiele in ihren Unterricht zu integrieren. Ich empfehle, die Schülerinnen und Schüler so normal wie möglich spielen zu lassen, so wie sie es auch außerhalb des Schulgeländes tun würden. Das heißt, mit Spielen, die sie kennen und zu beherrschen glauben, aber auch durch Wechseln der Kontrolle. Der Spaß am Spielen muss erhalten bleiben. Andernfalls verzerrt man die Spielpraxis und der Lernerfolg ist nicht derselbe. Ziel ist es, dass die Schülerinnen und Schüler sich der verschiedenen Komponenten des Spiels, der verwendeten Sprache, der Art und Weise, wie die Geschichte erzählt wird, bewusst werden ... und dass sie eine Verbindung zu ihrer eigenen Praxis herstellen, um Reflexivität zu entwickeln und nicht unwissentlich manipuliert zu werden. Dadurch wird auch der Kontext der Klasse verändert und ein anderes Lehrer-Schüler-Verhältnis geschaffen. 

 

Wie wird ein Spiel konkret in den Unterricht eingebunden? Das scheint mit den Zwängen des Unterrichts kaum vereinbar zu sein... Können Sie Beispiele nennen?

In Wirklichkeit ist es wahnsinnig einfach. Ich nehme als Beispiel das Fach, mit dem ich mich am besten auskenne: Geschichte. Jedes Jahr gibt es eine Reihe von Themen und Begriffen, die man mit den Schülern durchnehmen muss. Diese Themen und Begriffe kann man auf viele verschiedene Arten behandeln. Nehmen wir den Ersten Weltkrieg. Man kann eine Klassenfahrt nach Verdun organisieren, zum Ort der tödlichsten Schlacht des Krieges. Man kann den Film Joyeux Noël von Christian Carion gemeinsam schauen. Man kann von Archiven und historischen Dokumenten ausgehen. Man kann den Schülerinnen und Schülern vorschlagen, Referate zu halten. Oder einen Vortrag halten. Man hat die pädagogische Freiheit, den Blickwinkel und die Art und Weise zu wählen. Warum also nicht mit einem Videospiel? Es gibt viele Spiele zum Thema Erster Weltkrieg.

Man braucht lediglich die notwendige Hardware - mindestens eine Spielkonsole - und das Spiel, das man einsetzen will. Nicht jeder Schüler braucht unbedingt eine eigene Konsole und ein eigenes Spiel. Im Gegenteil: Das würde bedeuten, dass jeder allein vor dem Bildschirm zockt. Das Spielen vor Zuschauern und Zuschauerinnen ist kein Problem. Die Schülerinnen und Schüler sind an diese Praxis gewöhnt. Und sie ist pädagogisch wertvoll. Schülerinnen und Schüler, die nur zuschauen, aber nicht selbst spielen, werden zwangsläufig reagieren. Sie achten auf Dinge, die dem Spieler oder der Spielerin nicht auffallen: den Hintergrund, kleine Details... Diese Reaktionen sind Teil des Spielerlebnisses. Das macht das Spiel kollaborativer und den Moment geselliger. Dieser Spaßfaktor darf nicht vernachlässigt werden. Man muss dem Spiel Zeit geben, vor allem bei schwierigen Klassen. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass Schule auch Spaß machen kann.

 

Um beim Beispiel des Ersten Weltkriegs zu bleiben: Vor einigen Jahren habe ich eine Unterrichtseinheit rund um Battlefield 1 zusammengestellt. Mein Einstiegspunkt war: „Wir haben ein Problem. Alle Dokumente über den Ersten Weltkrieg sind verschwunden. Wir haben nur noch dieses eine Spiel. Was sagt uns das Spiel über den Konflikt? “ Wir erkunden das Spiel und beschreiben gemeinsam, wie der Erste Weltkrieg darin dargestellt wird. Dann geht es in die kritische Analyse: Was denkt ihr darüber? Erscheint euch das glaubwürdig? Gibt es Dinge, die euch merkwürdig vorkommen? Dies führt dazu, dass die Schülerinnen und Schüler sich selbst die Fragen stellen: „Aber warum kommt das im Spiel vor? “ Es setzt Denkprozess und Fragen in Gang, die ich dann mit historischen Dokumenten anreichere. Hier geht es wirklich um eine andere Art, mit Wissen umzugehen: Wissen wird im Kontext des Unterrichts nützlich. Die Dokumente erhalten ihren rechtmäßigen Platz als Spuren der Vergangenheit zurück und ermöglichen eine kritische Auseinandersetzung mit den Videospielwerken: „Hier, dieser Aspekt des Spiels ist glaubwürdig, weil es in diesem und jenem Dokument Aussagen von Ärzten gibt, die über die Traumata sprechen, die mit der Brutalität des Krieges verbunden sind. “ Man lässt die Schülerinnen und Schüler deduktiv vorgehen, das versetzt sie in eine aktive Lernhaltung.

Ich lasse die Schülerinnen und Schüler auch gerne Spiele gestalten. Das eröffnet eine Menge Fragen: Welche Charaktere werden mitspielen? Was werden sie uns sagen können? Welche Art von Informationen wird es geben? Ein Gerücht, eine Anekdote oder ähnliches? Die Schülerinnen und Schüler müsse sich mit all diese Fragen auseinandersetzen, um das Spiel zu gestalten; das zwingt sie dazu, im Vorfeld viel Literaturarbeit zu leisten. 

 

... und die dabei erforderlichen Kompetenzen gehen weit über den Unterricht hinaus!

Technisch gesehen mobilisiert die Herstellung eines Videospiels alle Kompetenzen des Lehrplans, die gemeinsame Grundlagen betreffen: einen argumentativen Text schreiben, eine Karte vervollständigen oder erstellen, eine Tabelle ausfüllen, eine Grafik erstellen usw. Wenn man ein Spiel einsetzt, sollte man die Kompetenzen, die man trainieren möchte, im Auge behalten. Im Rahmen einer Unterrichtsstunde kann man nicht alles machen. Um ein Spiel komplett zu analysieren oder ein Spiel von Grund auf neu zu entwickeln, bräuchte man ein ganzes Schuljahr. Wenn ich an der Schriftsprache arbeiten möchte, werde ich mich z. B. auf das Schreiben von Dialogen konzentrieren. Was schon mal nicht so schlecht ist! Ein interaktives Spiel mit verzweigten Dialogen zu produzieren, erfordert von den Schülerinnen und Schülern, über erzählerische Entscheidungen nachzudenken, sich mehrere plausible Enden auszudenken... Das sind alles andere als selbstverständliche Kompetenzen.

 

Nichtsdestotrotz geht es bei der Verwendung von Videospielen im Unterricht auch um die Frage der Orientierung. Lange Zeit wurden Spiele als etwas von und für Nerds angesehen: Man muss nur ein guter Coder sein, und schon kann ich ein Spiel machen. Wenn man AAA- oder AAAA-Spiele (Spiele mit sehr hohem Budget) wie Assassin's Creed analysiert, wird einem klar, wie komplex diese Produktionen sind. Es gibt Game Designer, die sich die Regeln des Spiels ausdenken, und Programmierer und Programmiererinnen, welche die Regeln in der Spiel-Engine umsetzen. Dann gibt es Leveldesigner , die die Karte des Spiels gestalten, und Künstler und Künstlerinnen, die die Objekte der Spielewelt (Bäume, Gebäude usw.) gestalten. Für die Figuren sind die Character Designer zuständig. Für die Dialoge werden oft Schriftsteller*innen und manchmal sogar Drehbuchautoren*innen herangezogen. Das Spiel mit den Schülern auseinanderzunehmen, zeigt ihnen die Vielfalt der Berufe, die dahinter stehen. Sie können sich vorstellen, einmal so etwas zu tun. 

 

Ein letztes Wort?

Nur eine Anekdote. Wenn man Workshops zur Gestaltung von Spielen durchführt, stellt sich immer die Frage, wie man die Arbeit der Schülerinnen und Schüler organisiert: Sollen sie alles gemeinsam machen oder die verschiedenen Aufgaben untereinander aufteilen? In einem Jahr haben wir mit einer Kollegin die Schülerinnen und Schüler in Thiers eine geolokalisierte Schnitzeljagd zu George Sand gestalten lassen. Eines der Teams organisierte sich spontan nach Rollen: Eine Schülerin, die nicht gern theoretische Sachen machte, hatte sich selbst angeboten, alle Figuren des Spiels zu zeichnen. Am Anfang arbeitet sie eher für sich. Am Ende war sie es jedoch, die besonders relevante Fragen stellte: Welches Gesicht muss George Sand im Spiel haben? Hat sie Gefühle? Sollte man einen oder mehrere Gesichter planen? Das zwang das Team, feiner an der Erzählung zu arbeiten. Zu Beginn ist die Figur traurig, weil ihr ein Buch gestohlen wurde. Aber am Ende, wenn der Quest gelöst wird, muss sie zufrieden schauen. Es bräuchte also mindestens zwei verschiedene Gesichter. Es gab ein technisches Problem: In der vorgeschlagenen Spiel-Engine gibt es für einen Charakter nur ein Bild; es kann nicht zwei Gesichter für denselben Charakter geben. Das Team rief schließlich den Entwickler des Spiels an. Gemeinsam haben er und sie sich einen Trick ausgedacht: Sie fügten eine abschließende Diskussion mit George Sand ein, bei der zwei Antwortmöglichkeiten zur Auswahl standen. Eine zeigt ein trauriges Gesicht von George Sand, die andere ein fröhliches. Es ist transparent für den Spieler oder die Spielerin, die den Unterschied nicht bemerkt. Aber in der Spiel-Engine ist es ziemlich komplex. Es war ein echter kollektiver Weg. Heute besucht die fragliche Schülerin eine Kunstakademie und will sich auf die Animation von Videospielen spezialisieren.

[Übersetzung : NSS EPALE France]

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Kommentar

Interessante, ho usato Spatial con i miei studenti per creare mostre virtuali dedicate ai temi dell' Agenda 2030.
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