EPALE-Interview: Frauke Seynaeve über eine professionelle Tanzausbildung für Menschen mit (körperlicher oder geistiger) Behinderung

Menschen mit geistigen oder körperlichen Behinderungen stehen vor großen Hürden, wenn sie Tänzer*innen werden möchten. Dagegen will Platform-K mit einer professionellen Tanzausbildung und inklusiven Tanzproduktionen etwas tun. „Wir glauben an die Interaktion der Unterschiede“, so Frauke Seynaeve, Tanzcoach bei Platform-K über das Potential einer inklusiven Tanzkompanie.
Können Sie uns etwas mehr über Platform-K erzählen?
Platform-K ist eine Tanzkompanie, die professionelle Produktionen mit Tänzer*innen mit und ohne Behinderung auf die Bühne bringt. Eine Auswahl von 20 Tänzer*innen absolvieren die Ausbildung. Ihr Alter reicht von 17 bis über 30. Unterricht erhalten sie je nach persönlichem Niveau an einem oder zwei Tagen die Woche. Neben dem Tanzunterricht werden noch weitere Fähigkeiten vermittelt, die Berufstänzer*innen benötigen, zum Beispiel eine professionelle Einstellung, Körperpflege und Kooperation. Wir haben eine Anfänger- und eine Fortgeschrittenengruppe. Die Fortgeschrittenen arbeiten im Rahmen von Austauschprogrammen oder Residenzen zusätzlich auch mit anderen Dozent*innen und Choreograph*innen an verschiedenen Projekten. Bei einer Residenz kann ein/e Choreograph*in mit einer/m unserer Tanzschüler*innen arbeiten, um deren/dessen eigene Stimme und eine individuelle Herangehensweise zu entwickeln, ganz ohne Druck. Einige erfahrene Tänzerinnen und Tänzer gehen dann mit einer Produktion auf Tournee. Für solche Produktionen laden wir Gastchoreographen ein, um Anregungen von außen zu bekommen.
Jedes Jahr organisieren wir offene Auditions, um neuen Kandidatinnen und Kandidaten die Chance zu geben, mitzumachen. Dabei schauen wir, ob sie Talent, eine interessante körperliche Ausdrucksweise und die Motivation haben, sich zu engagieren, denn wer beruflich tanzen will, hat einen schweren Weg vor sich.
Für unsere Kompanie ist es sehr wichtig, Bezeichnungen wie „behindert“ usw. zu vermeiden, denn wir wollen ganz normal zur Tanzwelt gehören. Deshalb stehen am Ende unserer Ausbildung Tänzerinnen und Tänzer mit einem hohen professionellen Niveau.
Welche Hürden müssen Menschen mit körperlichen oder geistigen Behinderungen überwinden, wenn sie Tänzer*in werden wollen?
Ihnen stehen nur wenige gewöhnliche Tanzschulen offen, das ist meiner Meinung nach eine der größten Hürden. Oft gibt es eine feste Vorstellung davon, was Tanz ist und was für einen Körper man dafür benötigt. Ich will hier nicht verallgemeinern – wir merken schon, dass sich etwas zu verändern beginnt, aber häufig wird erwartet, dass die gesamte Gruppe dasselbe Ziel in derselben Zeit erreicht. Menschen mit einer geistigen Behinderung brauchen in ihrem Lernprozess jedoch mehr Zeit oder eine andere Herangehensweise, zum Beispiel mehr Visualisierung oder eine intensivere Begleitung. Das ist nicht in jeder durchschnittlichen Schule vorgesehen. Auch die körperliche Zugänglichkeit bleibt ein Thema. Rollstuhlfahrer*innen berichten oft, dass der Tanzsaal für sie unerreichbar bleibt, weil Treppen zu überwinden sind und ihnen niemand helfen kann.
Außerdem gibt es viele Vorurteile über Menschen mit einer geistigen Behinderung. Es gibt nur wenige Rollenvorbilder in Form von Tänzerinnen und Tänzern mit einer Behinderung, die in jungen Jahren mit dem Tanzen angefangen und es bis in den Profibereich geschafft haben. Gut ausgebildete Tänzer*innen mit einer Behinderung sind auf der Bühne nicht oft zu sehen, sodass junge Menschen mit Behinderung und ihr Umfeld oft gar nicht wissen, dass es entsprechende berufliche Möglichkeiten gibt. Ich hoffe jedoch, dass unsere Absolventinnen und Absolventen auch andere für eine Karriere als Profitänzer*in begeistern können.
Menschen mit Behinderung sind oft von ihrem Umfeld abhängig. Sie brauchen ihre Eltern oder Pflegepersonen, nicht nur für praktische Dinge (zum Beispiel um von A nach B zu kommen), sondern auch, um sie zu motivieren, pünktlich zum Training zu erscheinen und zu Hause zu üben. Wenn sie in ihrer direkten Umgebung keine Unterstützung erhalten, endet der Traum einer Tanzkarriere vorzeitig, und das ist schade. Deswegen ist uns bei Platform-K die Zusammenarbeit mit dem häuslichen Umfeld so wichtig, sie ist ein wichtiger Schlüssel zum Erfolg.
Platform-K bildet professionelle Tänzerinnen und Tänzer aus. Warum ist der Aspekt der Professionalität so wichtig?
Wir wollen andere Körper und andere Ausdrucksformen auf die Bühne bringen, weil wir an die Interaktion der Unterschiede glauben. Wir stellen uns die Frage: „Was ist Tanz, insbesondere professioneller Tanz, und wie können wir gemeinsam mit unseren Tänzerinnen und Tänzern ein Teil davon sein?“ Professionelle Fertigkeiten und Erfahrungen sind wichtig für unsere Tänzer*innen. So können sie eine vollwertige künstlerische Identität entwickeln. Das Publikum soll sie als Tänzer wahrnehmen, nicht als Menschen mit Behinderung. Deshalb erhalten sie eine professionelle Ausbildung.
Menschen mit einer geistigen Behinderung sind es oft nicht gewöhnt, dass Erwartungen an sie gerichtet werden. Sie werden von Geburt an umsorgt, andere treffen Entscheidungen für sie und bestimmen darüber, was für sie am besten ist. Wir bemühen uns sehr darum, die Tänzerinnen und Tänzer dazu anzuregen, eigene Entscheidungen zu treffen, über sich selbst nachzudenken und ihre Träume auszusprechen. Wir unterstützen sie dabei, ihre Ambitionen wahr zu machen. Wir glauben an eine Denkweise der persönlichen Entwicklung, an ihre Chancen, ihre Talente in einem geschützten Rahmen zu entwickeln. Diesen Rahmen für persönliche Entwicklung schaffen wir bei Platform-K. Wir organisieren zahlreiche inklusive Projekte mit anderen Tanzprofis. Das motiviert unsere Tänzerinnen und Tänzer und hält ihnen einen Spiegel vor: So ist es, ein Profi zu sein.
Natürlich gibt es Unterschiede, aber in diesen Unterschieden liegen sehr viele Möglichkeiten. Wie sind die Profis kreativ tätig? Wie kann ich kreativ sein? Wie können wir voneinander lernen? Um diesen Austausch geht es, um Offenheit und darum, einander zu überraschen. Wie setzt man einen Schritt oder eine Bewegung mit dem eigenen Körper um? Wie findet man Gemeinsamkeit? Ich kann einen Radschlag machen, aber wie kann jemand im Rollstuhl das tun? Das kann natürlich nicht genauso aussehen, aber man kann sich auf die Suche nach Möglichkeiten machen Es ist sehr interessant, gleichzeitig Vielfalt und Einheit zu erreichen, ein jeder in seiner eigenen Sprache.
Welchen Beitrag leistet das Projekt, wenn es darum geht, einen sozialen Wandel zu erreichen, in der Welt des Tanzes und anderswo?
Die wichtigste Auswirkung unserer Arbeit ist, wie Menschen mit Behinderung wahrgenommen werden. Unsere letzte Produktion, „The Goldberg Variations“, hatte ein sehr hohes Niveau, und die Publikumsreaktionen waren äußerst positiv, nicht nur bei Menschen aus dem sozialen Bereich, sondern auch bei Zuschauer*innen, die regelmäßig Tanzvorstellungen besuchen. Wir können die Vorstellung, dass Menschen mit einer geistigen Behinderung hilfebedürftig und schwach sind, umdrehen und starke, unabhängige und selbstbewusste Menschen zeigen.
Als ich vor acht Jahren bei Platform-K anfing, mussten wir uns noch beweisen und andere von unserer Arbeit überzeugen. Wir mussten Choreograph*innen bitten, beinahe anbetteln, mit uns zusammenzuarbeiten. Heute, nachdem wir viel in unsere Tänzerinnen und Tänzer investiert haben, ist es andersherum. Choreograph*innen klopfen bei uns an, um mitmachen zu können. Nach so vielen Jahren Tanzen und kreativer Arbeit mit Menschen, die sich anders bewegen, jeder mit seinem ganz eigenen Körper, jeder mit seiner eigenen Inspiration und Ausdruckskraft, tut das gut und ist eine echte Motivation.
Tanz ist ganz allgemein eine Form von Empowerment, denn man besitzt und beherrscht den eigenen Körper, man entscheidet selbst, was man mit ihm macht. Das gibt einem ein starkes Gefühl von Selbständigkeit und Selbstwirksamkeit. Ich bin sehr davon überzeugt, wie wichtig es ist, den eigenen Körper zu kennen und ihn auf eine positive Weise einzusetzen. Wenn man auf Hilfe angewiesen ist, wird der eigene Körper leicht zum Objekt, zu einem Gegenstand, der angezogen oder auf die Toilette gesetzt werden muss. Aber den eigenen Körper einsetzen und benutzen zu können macht Freude, und man betrachtet ihn ganz anders. In meinen Augen ist diese Form von Empowerment auch eine Form des sozialen Wandels.
Frauke Seynnaeve ist Tänzerin, Tanzlehrerin und Tanzcoach. Bei einer Tanzkompanie aus dem belgischen Gent, ist sie für die Ausbildung von Tänzerinnen und Tänzern mit körperlichen und geistigen Behinderungen verantwortlich. Sie hat Sozialarbeit, Tanz und Kulturmanagement studiert und organisiert wöchentlichen Unterricht und Praktika in anderen Tanzschulen und Kompanien. Gemeinsam mit „Danspunt“, dem Konservatorium Antwerpen und DEMOS hat sie unter dem Titel „Eigendraads“ („Eigensinnig“) ein Buch über inklusive Tanzausbildung geschrieben.
"It is very important for us…
"It is very important for us not to be this special labelled company; we want to be part of the regular dance field and for that we train the dancers to reach a certain level that is qualitative and professional" - I applaud your stance, well done!