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Wer sagt mir, was die Wahrheit ist?

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Matthias Rohs zu so genannten Fake News und der Bedeutung der Medienkritikfähigkeit in digitalen Zeiten

TreeImage.
Manfred Kasper
Community Collaborator (Silver Member).

Der vom Weltwirtschaftsforum (WEF) im Januar 2024 veröffentlichte Weltrisikobericht nennt als größtes gesellschaftliches Risiko für die kommenden Jahre „Falsch- und Desinformation, noch vor Extremwetter-Ereignissen, gesellschaftlicher Polarisierung und bewaffneten Konflikten“. Mit künstlicher Intelligenz könnten Falschinformationen und „Deepfake“-Videos produziert und verbreitet werden und Politik und Gesellschaft entscheidend beeinflussen. Das zeigt, wie wichtig Kompetenz und Kritikfähigkeit in Sachen Medien sind, um Informationen bewerten und einordnen zu können und auf die Herausforderungen einer digitalen und vernetzten Zukunft vorbereitet zu sein. 

Welche Future Skills brauchen wir, um uns sicher in der digitalen Medienwelt bewegen zu können?

Ich halte die Medienkritikfähigkeit definitiv für eine wesentliche Kompetenz, die wir aktuell und in Zukunft brauchen werden. Das zeigen auch die Ausführungen des Weltrisikoberichts. Zugleich aber ist diese Fähigkeit nicht neu. Es gab immer eine kritische Auseinandersetzung mit Medien – sei es mit dem Buch, dem Kino, dem Radio, dem Fernsehen oder den sogenannten „neuen“ und digitalen Medien. Je mehr digitale Medien Teil unseres Alltags werden, desto relevanter ist es, sich der Chancen und Risiken bewusst zu sein, die damit verbunden sind. 

Welche Rolle spielt hierbei das Phänomen „Desinformation“?

Eine große, vor allem wenn man den aktuellen politischen Diskurs betrachtet. Gezielt verbreitete Fake News – also Falschinformationen, die bewusst eingesetzt werden – können eine enorme gesellschaftliche Bedeutung entfalten und großen Schaden anrichten. Die Bewertung als Risikofaktor finden Sie übrigens auch im aktuellen D21-Digital-Index, der jährlich das Lagebild zur Digitalen Gesellschaft in Deutschland zeichnet. Demnach schätzen knapp zwei Drittel der Befragten Desinformation als größtes Risiko der Digitalisierung für die Demokratie ein. Ich halte es für sehr wichtig, solche Dinge zu thematisieren und zu reflektieren. 

Zugleich müssen wir das Ganze aber auch immer wieder einordnen, denn aus anderen Studien – zum Beispiel von Lucas Constantin Wurthmann und Stefan Marschall im Jahr 2022 – lernen wir, dass die Mehrheit der Bevölkerung sich gerade bei politischen Themen noch stark über konventionelle Medien informiert. Und das unabhängig von Generation oder Alter. Die Jüngeren nutzen zwar das Internet als Leitmedium. Sie gehen aber eher auf die digitalen Seiten einer Tages- und Wochenzeitung, um sich seriös informieren zu können.

Ist es also eine Mär, dass junge Leute Ihre Information vorwiegend aus Social Media ziehen?

Zumindest in dieser Pauschalität. Was wir beobachten können, ist, dass es große Unterschiede zwischen den Milieus gibt. So konstatiert die D21-Studie 2022/2023, dass bei Menschen mit höheren Schul- und Berufsabschlüssen, die aus einem bildungsaffinen Elternhaus kommen, etwa 80 Prozent Falschinformationen gut identifizieren können. Bei den Personen mit niedrigen Bildungsabschlüssen sind es hingegen nur 35 Prozent. 

Wie können wir denn soziale Medien sinnvoll nutzen?

Ich würde sagen, vor allem vorsichtig und aufgeklärt. Freie Meinungsäußerung im Netz ist vielen Menschen wichtig, und auch ich finde, dass wir sie brauchen. Zugleich müssen wir aber auch wissen, dass deshalb noch lange nicht alles, was im Internet steht, richtig ist. Wir müssen unterscheiden können, was gute und vertrauenswürdige Informationen sind und wann es sich um Fake News handelt.

Wie kann ich beurteilen, ob eine Nachricht echt ist?

Anhand von Fragen wie „Wer ist der Autor?“ oder „Von wem kommt das?“ lässt sich einschätzen, ob die Quelle seriös ist. Das schafft eine Grundsicherheit, wobei die Möglichkeiten zur glaubwürdigen Fälschung durch Künstliche Intelligenz (KI) enorm zunehmen. Auch hier gibt es Möglichkeiten, sowohl bei Fotos und Bewegtbild als auch hinsichtlich des Umgangs mit Sprache. Eine gute Hilfe ist beispielsweise die Website https://www.whichfaceisreal.com. – Wichtig ist aus meiner Sicht, dass wir die Verantwortung für das Thema nicht jedem Einzelnen überlassen, sondern Institutionen stärken, in denen Profis falsche Informationen identifizieren und detektieren. Darüber hinaus bedarf es auch rechtlicher Einschränkungen und Regularien, die die Verbreitung von Fake News unter Strafe stellen.

Welche Rolle kann die Erwachsenenbildung in diesem Kontext spielen? 

Das ist leider ein schwieriges Thema. Die Studie „Bildungsauftrag Medienkompetenz. Programmplanung an Volkshochschulen zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ meines Kollegen Jan Hellriegel aus dem Jahr 2022 zeigt, dass bei den Volkshochschulen nur noch ein bis vier Prozent der Angebote, die sich mit der Digitalisierung befassen, einen medienkritischen Anspruch haben. Das ist meines Erachtens einfach zu wenig, insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die Anbieter auf die Fahnen schreiben, die Bevölkerung zur Medienkritik befähigen zu wollen. Die Gründe dafür sind allerdings vielfältig und nicht allein bei den Volkshochschulen zu suchen.

Wie meinen Sie das?

Ich muss den Einrichtungen auch die Möglichkeit bieten, ihrem gesellschaftlichen Auftrag gerecht zu werden. Gerade die Volkshochschulen sind mit vielfältigen Anforderungen konfrontiert, zumal sie Zielgruppen bedienen, die von den klassischen Anbietern oft nicht mehr abgeholt werden. Hier braucht es andere finanzielle und personelle Ressourcen. – Ganz grundsätzlich haben wir das Problem, dass wir in der politischen Erwachsenenbildung oft nur diejenigen erreichen, die sowieso interessiert sind. Vor diesem Hintergrund sollten sich die Akteure auch Gedanken über neue Formate machen. Wir müssen breiter, kreativer und vielfältiger in den Angeboten werden, um die Zielgruppen zu erreichen, bei denen es bisher nicht gelingt.

Spielen auch die Lernorte in diesem Kontext eine Rolle? 

Die Frage der Lernorte ist eine ganz wichtige Frage, denn wir müssen raus aus den Institutionen und hin zu den Menschen. Da, wo die Menschen sind, muss das Thema adressiert werden. Ich würde das auch nicht auf Einrichtungen der Erwachsenenbildung begrenzen, sondern viel weiter gehen: Wir brauchen Ansätze, bei denen wir ganz viele Player an Bord holen – das kann in Betrieben sein, aber auch in Schulen, in der außerschulischen Jugendbildung oder in Vereinen und der ehrenamtlichen Tätigkeit. 

Das klingt nach viel Aufwand … 

Ja, aber es geht schließlich um die Sicherung unserer demokratischen Strukturen. Ich denke, das sollte Motivation genug sein, sich mit dem Thema zu beschäftigen, denn das, was auf dem Spiel steht, dürfen wir nicht klein reden. Wenn wir bei der Nutzung des Internets – das mittlerweile unser Hauptmedium ist – alles in Frage stellen müssen und nicht wissen, ob die Person, die mich anruft oder mir eine Mail schreibt, auch wirklich die Person ist, die sie vorgibt, zu sein, wird das Vertrauen auf der zwischenmenschlichen Ebene grundsätzlich zerstört. Dann wäre ein Zusammenleben, wie wir es heute kennen, irgendwann nicht mehr möglich. – Das macht deutlich, vor welcher Herausforderung wir stehen.

Was können wir konkret tun? 

Ich bin der Meinung, dass wir den Menschen in einer zunehmend komplexen Lebenswelt beistehen müssen, aktiv an Gesellschaft, Kultur und Beschäftigung zu partizipieren und ihr Leben sinnvoll und eigenverantwortlich zu gestalten. Sie müssen befähigt werden, die Dinge selbst zu verstehen, damit sie mitreden können. Wir sollten es nicht anderen überlassen, welche Rolle zum Beispiel KI in unserem Leben zu spielen hat.

Wie sieht Ihr Szenario für die Zukunft aus? Was erhoffen Sie sich?

Angesichts der sehr dynamischen technologischen Entwicklung ist das ein Blick in die Glaskugel. In einer Zeit, in der wir viele Gründe haben, pessimistisch zu sein, ist Hoffnung aus meiner Sicht wichtig. Es gibt – und das sagt auch die Empirie – sowohl bei der Mehrheit der jungen als auch der älteren Menschen durchaus eine kritische Haltung zu Problemen wie Desinformation und Fake News. Die Demonstrationen der letzten Wochen haben deutlich gemacht, dass die Einstellung zum Schutz und Erhalt demokratischer Strukturen stabil und lebendig ist. Insofern bin ich optimistisch, dass wir mit dem Ausmaß der Herausforderungen umgehen können. Dabei kommt es allerdings nicht allein auf die Kompetenzen der einzelnen Individuen an, es bedarf gesamtgesellschaftlicher Anstrengungen um Risiken für alle zu minimieren und gleiche Chancen zu bieten. 

Prof. Dr. Matthias Rohs.

Matthias Rohs ist Professor für Erwachsenenbildung am Fachbereich Sozialwissenschaften der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau und Co-Vorsitzender der Sektion Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft. Ein inhaltlicher Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Medienkritikfähigkeit, gerade bei jungen Erwachsenen.

Fotos: Pixabay, Matthias Rohs

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