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EPALE - Elektronische Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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Was sind integrative Qualifikationsangebote und warum sind sie so wichtig?

Integrative Bildungsangebote bereitzustellen, ist vor allem eine Frage der sozialen Gerechtigkeit und stärkt die Handlungskompetenz.

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Der Originalbeitrag wurde ursprünglich von  Alexandra Ioannidou auf Englisch veröffentlicht. 


Worum geht es bei der Vermittlung inklusiver Kompetenzen?

Die Ergebnisse des ersten und zweiten Durchlaufs des OECD-Projekts zum internationalen Kompetenzvergleich von Erwachsenen (PIAAC) haben gezeigt, dass es einer beträchtlichen Anzahl von Erwachsenen in den Industrieländern an wichtigen Grundkenntnissen fehlt. Im ersten PIAAC-Projektdurchlauf erreichten durchschnittlich etwa 19 % aller befragten Erwachsenen bei den Lese- und Schreibkompetenzen die niedrigste Kompetenzstufe eins oder nicht einmal diese (OECD, 2013). Die Ergebnisse des zweiten PIAAC-Projektdurchlaufs bestätigten diese Ergebnisse auch für andere Länder (OECD, 2016). Währenddessen wurden in der Gruppe der „Leistungsschwächsten“ signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern und auch innerhalb der Länder festgestellt.

Daraufhin wurde im Juni 2016 eine Presseerklärung von der Europäischen Kommission herausgegeben, dass 70 Millionen Europäer:innen keine ausreichenden Lese- und Schreibkompetenzen und noch mehr von ihnen nur unzureichende Rechen- und Digitalkompetenzen haben. Im Jahr 2016 entwickelte die Kommission eine Kompetenzagenda um die strategische Bedeutung von Kompetenzen für die Erhaltung von Arbeitsplätzen, Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit hervorzuheben. Laut der Kompetenzagenda (2016) wird der Begriff „Kompetenzen“ verwendet, „um allgemein zu beschreiben, was eine Person weiß, versteht und tun kann“. Im Jahr 2021 wurde durch die Verlagerung hin zu einer grünen und digitalen Transformation in Wirtschaft und Gesellschaft sowie durch die COVID-19-Pandemie deutlich, dass sich noch mehr Menschen für ein neues Arbeitsumfeld weiterbilden und lebenslange Kompetenzen erwerben müssen: So entstand die neue umfassende europäische Kompetenzagenda für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Widerstandsfähigkeit. In ihrer Rede zur Lage der Union im September 2022 erklärte die Präsidentin der Kommission Ursula von der Leyen das Jahr 2023 zum Europäischen Jahr der Kompetenzen. Es ist anzumerken, dass Sie in dem Abschnitt ihrer Rede auf Deutsch vom „Europäischen Jahr der Aus- und Weiterbildung“ sprach, das schließlich in das Europäische Jahr der Kompetenzen umgewandelt wurde – ein Begriff, der offensichtlich besser mit der Output-Orientierung von Bildungsprozessen und dem lernerzentrierten Ansatz in EU-Dokumenten vereinbar ist.

In diesem Zusammenhang setzten sich die europäischen Verbände für Erwachsenenbildung, wie die EAEA oder die Lifelong Learning Platform (Plattform für Lebenslanges Lernen), für ein ganzheitliches Verständnis des Kompetenzbegriffs ein, das grundlegende und soziale Kompetenzen, transversale Kompetenzen sowie Kompetenzen zur Stärkung von Nachhaltigkeit, Demokratie und sozialer Integration umfasst. Sie sehen das Europäische Jahr der Kompetenzen als eine Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf Bildungs- und Lernprozesse und deren Ergebnisse zu lenken und das Potenzial dieser Ergebnisse für die beteiligten Personen hervorzuheben.

Die Europäische Kompetenzagenda setzt ehrgeizige Ziele, die bis zum Jahr 2025 erreicht werden sollen, wobei anzumerken ist, dass die Festlegung solcher überambitionierten Ziele eine chronische Krankheit der Kommission zu sein scheint. Die Agenda zielt darauf ab, die Beteiligung von gering qualifizierten Erwachsenen zwischen 25 und 64 Jahren an Bildungsangeboten um 67 % zu erhöhen (von 18 % im Jahr 2016 auf 30 % im Jahr 2025). Der angestrebte Anteilszuwachs der arbeitslosen Erwachsenen zwischen 25 und 64 Jahren ist sogar noch höher: 82 % (von 11 % im Jahr 2019 auf 20 % im Jahr 2025).

Um diese ehrgeizigen Ziele zu erreichen, müssen natürlich mehr Bildungsangebote geschaffen werden, die sich an Menschen richten, die mit traditionellen Bildungs- und Ausbildungsangeboten nur schwer zu erreichen sind. Die COVID-19-Pandemie hat die bestehenden Ungerechtigkeiten weiter verschärft und das Bildungsangebot durch die Schließung von Bildungseinrichtungen und die Verlagerung auf Online-Angebote stark beeinträchtigt.

Warum ist das Bereitstellen von Bildungsangeboten so wichtig?

Die Bereitstellung solcher Angebote ist eine notwendige – wenn auch nicht hinreichende – Bedingung für den Erwerb von Wissen und Fähigkeiten. Denn, wenn es keine Zugangsmöglichkeiten zu allgemeinen und beruflichen Bildungsangeboten gibt, kann eine Person nicht die erwarteten Lernergebnisse im Hinblick auf den Erwerb von Kompetenzen oder den erfolgreichen Übergang in den Arbeitsmarkt erzielen; und somit können die ehrgeizigen europäischen Ziele nicht erreicht werden.

Neben der entscheidenden Rolle der allgemeinen und beruflichen Bildung, die sich auf den Erwerb von Kompetenzen und die Vermittlung auf dem Arbeitsmarkt bezieht, ist die Bereitstellung von Bildungsangeboten eine Frage der sozialen Gerechtigkeit: Sie kann zur Stärkung der Handlungskompetenz und zur Erweiterung der Fähigkeiten der Menschen auch auf andere soziale Bereiche führen. Amartya Sen, der Wirtschaftsnobelpreisträger, weist auf die entscheidende Rolle der Bildung hin, die es den Menschen ermöglicht, ein selbstbestimmtes und geschätztes Leben zu führen, und die somit zu einer gerechteren und sichereren Welt führen kann.

Aus diesem Grund ist das Bereitstellen von integrativen Bildungsangeboten für viele Menschen, idealerweise für alle, denen es an Grundkenntnissen mangelt, eine Frage der politischen Priorität und der sozialen Gerechtigkeit. Um integrativ zu sein, sollten diese Bildungsangebote für möglichst viele Menschen verfügbar, zugänglich und erschwinglich sein.

Kommen wir noch einmal auf die wichtigsten Zahlen zurück: bei 70 Millionen Europäer:innen wurden unzureichende Lese- und Schreibkompetenzen festgestellt, während jede vierte in Europa lebende Person über deutliche Defizite im Bereich der Rechenkompetenzen verfügt. Man könnte versucht sein, zu fragen: Was hat diese Menschen daran gehindert, zur Schule zu gehen und Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen? Sind diese schlechten Lernergebnisse auf ein persönliches Versagen zurückzuführen? Eine Fügung des Schicksals? Eine individuelle Entscheidung? Wenn mangelnde Grundkenntnisse ein persönliches Versagen oder eine individuelle Entscheidung sind, warum stellen wir dann fest, dass in bestimmten Bevölkerungsgruppen (z. B. Roma, im Ausland geborene Migrant:innen) mehr Menschen von solchen mangelnden Kenntnissen betroffen sind oder die Schule abgebrochen haben? Oder Menschen aus anderen europäischen Regionen, die im Laufe der Zeit ein extrem niedriges Wachstum verzeichnet haben (so genannte rückständige Regionen), wie zum Beispiel bestimmte Regionen in Griechenland, Spanien, Portugal oder Italien? 

Inklusives Lernen

Welche Faktoren beeinflussen die individuellen Lernergebnisse?

Letzteres deutet darauf hin, dass das Nichterreichen eines bestimmten Kompetenzniveaus weder auf persönliche Unfähigkeit noch auf eine individuelle Entscheidung zurückzuführen ist. Das übertriebene Hervorheben der Eigenverantwortung einzelner Personen für das Nichterreichen eines solchen Kompetenzniveaus ist eher irreführend und wird durch wissenschaftliche Erkenntnisse nicht gestützt. Im Gegenteil, Forschungsergebnisse weisen immer wieder auf die Wechselwirkung zwischen kontextuellen Bedingungen, einschließlich territorialer Ungleichheiten, und individuellen Fähigkeiten hin, die zu mangelhaften oder unzureichenden Kompetenzen führen können. Es gibt mehrere Faktoren, die sich auf die individuellen Lernergebnisse und den Erwerb von Kompetenzen auswirken, darunter:

  • Bildungs- und Ausbildungsangebote, die in verschiedenen nationalen, regionalen oder lokalen Kontexten sehr unterschiedlich sein können.
  • Zugang zu Bildungsangeboten, der durch kontextuelle Bedingungen und individuelle Fähigkeiten ermöglicht oder behindert werden kann.
  • Soziodemografische Faktoren, wobei das Bildungsniveau und der Beschäftigungsstatus als besonders wichtig für die Inanspruchnahme von Bildungsangeboten angesehen werden.
  • Sozioökonomische Zusammenhänge, die die Arbeitsbeziehungen, Sozialhilferegelungen und regionalen Qualifikationssysteme prägen (z. B. Einfluss von Gewerkschaften, bezahlter Bildungsurlaub, Familienbetreuung).
  • Politische Programme, die sich z. B. an gefährdete Jugendliche, Schulabbrecher:innen, Arbeitnehmer:innen in Berufen mit hohem Automatisierungsrisiko, gering qualifizierte Erwachsene und gefährdete Gruppen richten.

Integrative Bildungsangebote

Wenn wir über integrative Qualifikationsangebote sprechen, berücksichtigen wir alle externen Faktoren, die die Lernmöglichkeiten einzelner Personen beeinflussen und sich auf die erwarteten Ergebnisse auswirken. Dazu gehören institutionelle und strukturelle Bedingungen (z. B. Bildungs- und Arbeitsmarkteinrichtungen, wirtschaftliche und demografische Strukturen, Sozialhilferegelungen), staatliche Maßnahmen sowie Kultur und Normen.

Der Erwerb von Kompetenzen ist das Ergebnis vieler verschiedener, sowohl individueller als auch kontextbezogener, Faktoren. Es handelt sich außerdem um einen dynamischen Prozess, der das gesamte Leben lang andauert; d. h. wir erwerben ständig neue Kompetenzen (am Arbeitsplatz, in der Freizeit oder im sozialen Bereich) und verlieren andere, weil wir sie nicht mehr anwenden oder sie veralten. Nicht nur das Erlernen, sondern auch das Veralten von Kompetenzen ist in den EU-Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Dies ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen, wie z. B. die industrielle Umstrukturierung, den sozioökonomischen Wandel und die sich ändernden Kompetenzanforderungen.

Viele gering qualifizierte Erwachsene, im Ausland geborene Migrant:innen und Angehörige bestimmter ethnischer Minderheiten oder rückständiger Regionen haben die Schule nur mit geringen Grundkenntnissen verlassen und sind häufig in Arbeitslosigkeit oder prekären Arbeitsverhältnissen in Regionen mit wenig Bildungsangeboten und begrenzten Aussichten auf persönliche Entwicklung gefangen.

Unzureichende Grundkenntnisse gelten als zuverlässiger Indikator für Bildungsarmut, die wiederum mit niedrigem Einkommen, Marginalisierung, dem Risiko der sozialen Ausgrenzung und schlechter Gesundheit einhergeht.

Die Schaffung von integrativen Qualifikationsangeboten bedeutet, dass mehr Menschen, insbesondere diejenigen in gefährdeten Positionen, dabei unterstützt werden, solche Risiken zu vermeiden, ihre persönlichen Ziele zu erreichen und Lebensübergänge und Arbeitsmarktrisiken erfolgreich zu bewältigen. Es bedeutet auch, dass sie nicht nur instrumentelle, sondern auch soziale und übergreifende Kompetenzen erwerben, die ihr bürgerschaftliches Engagement und ihre Teilnahme am politischen, sozialen und kulturellen Leben stärken können. Und es bedeutet, dass der räumlichen Gerechtigkeit bei der Bereitstellung von Bildungs- und Ausbildungsangeboten sowie den Bedingungen, die die Lernergebnisse in den europäischen Regionen beeinflussen, mehr Aufmerksamkeit zukommen wird. 

Bilder in diesem Beitrag: Bilderarchiv Centre for Ageing Better

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Kommentar

In my opinion, this a thought-provoking and informative piece that explores the concept of inclusive skills opportunities. The author provides a clear definition of what inclusive skills opportunities mean and highlights the importance of ensuring that everyone has access to high-quality training and education, regardless of their background, abilities, or circumstances. The article also identifies some of the key barriers to achieving inclusive skills opportunities, such as discrimination, lack of resources, and social exclusion. I appreciate the author's emphasis on the need for policymakers, educators, and other stakeholders to work together to address these challenges and create more inclusive and equitable learning environments. Overall, this article is a valuable resource for anyone interested in promoting inclusive skills development and improving access to education and training opportunities for all.

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The article "What do we talk about when we talk about inclusive competency opportunities?" raises important questions about the meaning and implications of "inclusive competency opportunities." It challenges us to consider what we mean by this term and how we can ensure that our efforts to promote inclusive competency opportunities are truly effective.

One of the key points of the article is that "inclusive" can mean different things to different people, and that we need to be clear about what we mean by this term in the context of training opportunities. The author suggests that we need to consider not only issues of access and participation, but also of quality, relevance and impact.

The article also stresses the importance of taking an intersectional approach to promoting inclusive training opportunities. This means recognizing that people may face multiple forms of discrimination and disadvantage, and adapting our efforts accordingly.

Overall, the article challenges us to think more deeply about what we mean by "inclusive skills opportunities" and how we can ensure that our efforts to promote them are truly effective. 

 

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A highly important topic which has been discussed over and over. It seems that although significant amounts of money are invested in education and training targeting basic skills, we still cannot find the right formula to address all these challenges. The COVID 19 pandemic did not help. On the contrary it further brought to light major issues in terms of inclusion, inequality and the lack of basic skills.  Digital literacy is now paramount. Many who are literate from a traditional perspective are still digitally iliterate and hence are being socially excluded from even the basic functions of society.

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