"Life Skills" in der Basisbildung

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Entwicklung der Basisbildung in Österreich, von der Pionierphase….
Wenn man die Basisbildung in Österreich von Beginn an bis heute betrachtet, wird deutlich, dass „Life Skills“ von Anfang an immanenter Bestandteil der Basisbildung waren, wenn auch - im Laufe der Entwicklung - mit wechselnder Bedeutung.
Zu Beginn, in den 1990er Jahren, war Basisbildung ein Randthema einzelner Institutionen in Wien (VHS Floridsdorf) mit dem Schwerpunkt "Deutsch als Erstsprache", gefolgt von Isop Graz, ABC Salzburg und VHS Linz. Zeitgleich gab es auch eine Alphabetisierungsinitiative in der VHS Wien Ottakring für "Deutsch als Zweitsprache". Basisbildung für Menschen mit deutscher Erstsprache wurde zu dieser Zeit in Österreich getrennt von Basisbildung für Menschen mit anderen Erstsprachen betrachtet und entwickelt.
All diese Initiativen haben von Punkt Null an begonnen, es gab keine Vorgaben, aber auch keine Unterstützung in Form von Materialien, Strategien oder Kurskonzepten. Dadurch war das Engagement der Planer*innen und auch Trainer*innen gefragt, Es war sehr viel Pioniergeist vorhanden, fertige Lernmaterialen für erwachsene Lese- und Schreibanfänger*innen gab es hingegen kaum. So wurden Materialien von Beginn an individuell für die Teilnehmenden erstellt, was auch bedeutete, dass man sehr teilnehmer*innenorientiert arbeitete. Sowohl die Methodik und Didaktik, die angewendet wurden, als auch die Materialien folgten einer Orientierung an den Ressourcen und den Bedürfnissen der Teilnehmenden in den Kursen, aber auch an den Bedarfen der jeweiligen gesellschaftlichen Kontexte. Diese sehr konsequente und individuelle Teilnehmer*innenorientierung brachte unweigerlich mit sich, dass "Life Skills" und all das, was die einzelnen Teilnehmenden in ihrem Alltag bzw. Arbeitskontext abseits von Lesen und Schreiben brauchten, absolut im Mittelpunkt standen.
… bis zum nahezu flächendeckenden Angebot in Österreich
Nachteile in dieser Phase waren die großen Anforderungen an und Herausforderungen für Trainer*innen und Planer*innen sowie die fehlende finanzielle Absicherung (Teilnehmende zahlten in der Regel Kursbeiträge, es gab nur einzelne öffentliche Förderungen).
Bereits im Jahr 2003 wurde die Dekade der Alphabetisierung von der UNESCO ausgerufen, mit dem in und für Österreich formulierten großem Ziel, dass es am Ende der Dekade (2013) in Österreich niemanden mehr geben sollte, der Basisbildungsbedarf hatte. Das war natürlich ein hehres Ziel und wurde nicht ganz erreicht, aber man ist auf einem guten Weg. Es entstanden geförderte Basisbildungsnetzwerke und Basisbildungsprojekte.
Die 2012 ins Leben gerufene Initiative Erwachsenenbildung hat es geschafft, dass es nun ein annähernd flächendeckendes Angebot in Österreich gibt, das den Teilnehmenden kostenlos zur Verfügung steht. Was bedeutete diese Entwicklung aber für das Feld Basisbildung? Es gab sehr viele Newcomer*innen im Feld und neben den Interessen, den Teilnehmenden zu ermöglichen, am Leben, am Lebensalltag, am beruflichen Alltag teilzunehmen, rückten auch andere Interessen in den Vordergrund. Es entstand eine gewisse Beliebigkeit, aber es war auch (fast) alles möglich. Teilnehmende kamen in erster Linie mit dem Auftrag in Kurse, sie wollen lesen, schreiben, Mathematik lernen oder auch digitale Kompetenzen erwerben. Das Angebot ging manchmal weit über diesen Auftrag, der von Teilnehmenden kam, hinaus oder verdrängte diesen zum Teil. Angeboten wurde vieles, das einzelne Anbieter*innen oder Trainer*innen als wichtig im Rahmen der Life Skills erachteten. Es war nicht immer das, was wir heute als "Life Skills" bezeichnen würden, dennoch brachte dieser "Wildwuchs" eine erfreuliche Vielfalt hervor, hatte aber manchmal mit den Grundkompetenzen im Rahmen der Basisbildung, Lesen, Schreiben, Mathematik, digitale Kompetenzen sehr wenig zu tun. Mit der Einführung des Basisbildungscurriculums im Jahr 2019 (https://www.initiative-erwachsenenbildung.at/fileadmin/docs/Endversion_Curriculum_Basisbildung.pdf) wurde der Fokus wieder ganz deutlich auf diese Kompetenzfelder, die auch im Programmplanungsdokument der Initiative Basisbildung die Inhalte von Basisbildungsangeboten definieren, gelegt. Life Skills finden sich vor allem in den im Curriculum formulierten Grundsätzen für Basisbildungsangebote. Darüber hinaus liegt es in der Verantwortung von Planer*innen und Trainer*innen, diese in Settings, Methoden und der Auswahl von Themen zu berücksichtigen.
Ebenso wie es wichtig ist, bei der Vermittlung von fachlichen Kompetenzen die Handlungsfähigkeit der Teilnehmenden und deren Erweiterung im Auge zu behalten, ist es im Sinne der Teilnehmenden nötig, darauf zu achten, dass das Basisbildungsangebot ein vielfältiges bleibt. Kurssuchende, die Lesen und Schreiben von Anfang an erlernen wollen, müssen ebenso ein Angebot finden, wie jene, die mehr Sicherheit bei diesen Fertigkeiten erlangen wollen. Für Menschen mit deutscher Erstsprache müssen genauso Angebote bereitstehen, wie für Menschen mit anderen Erstsprachen. Aus unterschiedlichen Gründen ist diese Vielfalt in Kursangeboten der Basisbildung derzeit nicht ausreichend vorhanden. Unter anderem mag dies damit zusammenhängen, dass der Pioniergeist der Anfänge in Routine übergegangen ist und dass Standardisierung und Vereinheitlichung ein Stück weit Platz ergriffen haben. Heterogene Gruppen, in denen individuell auf unterschiedlichste Lernbedürfnisse der Teilnehmenden eingegangen wird, sind keine Selbstverständlichkeit mehr. Das Arbeitsfeld für Trainer*innen und die Anforderungen an sie haben sich verändert. Gleichzeitig wurde in den letzten Jahren eine Unterstützungsstruktur in Form von kostenlosen Professionalisierungsangeboten für Trainer*innen entwickelt, um diesen geänderten (und wie manche finden gewachsenen) Anforderungen entgegenzuwirken.
Datenbank zu Basisbildungsangeboten und Alfa-Telefon
Und damit bin ich auch schon bei den Anforderungen und bei den Kursangeboten. In Österreich haben wir die Zentrale Beratungsstelle für Basisbildung und Alphabetisierung. Dazu gehören eine umfassende Datenbank mit Basisbildungsangeboten in Österreich sowie das Alfatelefon Österreich. Diese Servicestelle existiert seit 2006 und gibt Kurssuchenden Informationen zu Basisbildungsangeboten (seit 2020 auch zu Angeboten des Netzwerk ePSA), die zu den jeweiligen Lernanliegen der einzelnen Anrufenden am passendsten sind.
Sie agiert überinstitutionell und überregional und verzeichnet monatlich etwa 120 Beratungsgespräche.
Aus der Praxis der Beraterinnen am Alfatelefon lässt sich erkennen, dass österreichweit eine Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage besteht. Die Wartezeit für einen Kursplatz beträgt im Schnitt 3 – 6 Monate, in Einzelfällen sind Kurssuchende seit 12 Monaten auf Wartelisten. Ein unmittelbarer Kurseintritt ist derzeit so gut wie gar nicht möglich, würde aber oft gebraucht werden, wenn z.B. Jobvermittlung an Lese- und Schreibkompetenz oder an Deutschkompetenz geknüpft ist. Diese Diskrepanz besteht besonders hinsichtlich der Art der Kursangebote. Manche Personengruppen haben kaum Chancen, einigermaßen zeitnah ein Kursangebot in Österreich zu finden.
Das sind in der Regel Männer, denn es gibt in Österreich wesentlich viel mehr Angebote die sich dezidiert nur an Frauen richten, da sind Männer ausgeschlossen. Es sind aber auch Personen davon betroffen, die aus EU-Ländern kommen, die andere Erstsprachen haben, auch für sie gibt es wenig Angebote. Und ganz besonders auffallend ist, dass alle Menschen, die Lesen und Schreiben von Anfang an erwerben wollen, kaum ein Angebot finden. Viele Kursanbieter schließen Lesen und Schreiben von Anfang an sogar dezidiert aus. Und wenn jemand Lesen und Schreiben von Anfang an erwerben will und Deutsch als Erstsprache hat oder gut Deutsch spricht und in Österreich das Schulsystem durchlaufen hat, dann ist es fast unmöglich ein passendes Kursangebot zu finden.
Vielfältige Bedarfe unterschiedlicher Zielgruppen
In der Datenbank der Zentralen Beratungsstelle finden sich viele Anbieter, die ausschließlich Deutsch als Zweitsprache anbieten. Einige Anbieter, die sowohl Deutsch als Zweitsprache als auch Deutsch als Erstsprache anbieten, schließen Lesen und Schreiben von Anfang an aus. Und dann gibt es ganz, ganz wenige Angebote, die Lesen und Schreiben von Anfang an für deutschsprachige Menschen anbieten. Über die Gründe dafür darf an dieser Stelle vermutet werden. Es ist tatsächlich sehr viel aufwändiger und sehr viel schwieriger Lesen und Schreiben von Anfang an zu unterrichten, da hier die Vermittlung einfach komplexer ist. Es ist schwierig, eine homogene Gruppe von Kursteilnehmer*innen zu finden, die alle Lesen und Schreiben von Anfang an erwerben wollen. Die Möglichkeiten heterogene Gruppen anzubieten sind bei den meisten Einrichtungen und für viele Trainer*innen aufgrund der herrschenden Rahmenbedingungen begrenzt. Und es ist auch schwierig Menschen mit deutscher Erstsprache, die gar nicht lesen und schreiben können, zu erreichen. Menschen mit anderer Erstsprache, die nicht lesen und schreiben können, erreicht man leichter über verschiedene Communities. Aus der erschwerten Erreichbarkeit von bestimmten Gruppen resultiert eine geringere Teilnehmer*innenzahl aus eben diesen, was wiederum das Bilden homogener Gruppen unmöglich macht. Diese fehlende oder geringe Möglichkeit trifft auf die eventuell mangelnde Bereitschaft oder fehlende Notwendigkeit, heterogene Gruppen anzubieten. Es ist verlockender homogene Gruppen für Personen anzubieten, die leicht erreichbar sind. Dies zeichnet zur Zeit die Basisbildungslandschaft und das Angebot in Österreich aus - das Angebot ist groß, es ist viel Angebot da, es gibt nur leider Personengruppen für die es wenig oder gar keine Angebote und unzumutbar lange Wartezeiten gibt. Die Gefahr ist groß, dass diese Menschen ihr Interesse an Weiterbildung verlieren und sich von ihrem Vorhaben in den Bildungsprozess einzusteigen wieder entfernen.
In Österreich gibt es ein durchaus großes und regional gestreutes und qualitativ hochwertiges Basisbildungsangebot. Wünschenswert wäre es, die Vielfältigkeit des Angebots im Fokus zu behalten und einen offenen Blick auf die Zielgruppen zu haben, vielleicht wieder zu erlangen, um keine davon durch eine zu enge Spezifizierungen der Angebote auszuschließen.
über diesen Blog:
Dieser Beitrag basiert auf einem Vortrag der Autorin am 24. März auf der EPALE und Erasmus+ Konferenz 2022: "Life Skills im Fokus der Erwachsenenbildung". Weitere Informationen
Zur Autorin:
Mag.a Sonja Muckenhuber studierte Soziologie und ist Trägerin des Staatspreises für Erwachsenenbildung. Sie ist seit 2014 Leiterin des von ihr gegründeten Instituts B!LL – das Institut für Bildungsentwicklung Linz. Sie war von 2005-2013 Leiterin des Grundbildungszentrums der Volkshochschule Linz. Seit 1998 arbeitet sie in der Erwachsenenbildung mit dem Schwerpunkt Alphabetisierung und Basisbildung. Sie ist Trainerin für Basisbildung und Alphabetisierung, Leiterin und Entwicklerin von TrainerInnenausbildungen für Basisbildung und koordiniert seit 2006 die Zentrale Beratungsstelle für Basisbildung und Alphabetisierung mit dem Alfatelefon Österreich.
muckenhuber@bildungsentwicklung.at
https://bildungsentwicklung.com/
www.basisbildung-alphabetisierung.at