Kompetenzen für digitales Arbeiten arbeitsintegriert entwickeln

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Mit der fortschreitenden Digitalisierung stehen Arbeitnehmer:innen branchenübergreifend vor der Herausforderung, ihr Arbeiten und die damit verbundenen Kompetenzen weiter zu entwickeln. Im Projekt MEDEA, gefördert vom BMBF, wurde ein Qualifizierungskonzept entwickelt und erprobt, in dem Beschäftigte die Kompetenzen, die sie in einer digitalen Arbeitswelt brauchen, arbeitsintegriert erweitern. Das Ziel ist es, Mitarbeitende nicht nur zu befähigen, den digitalen Wandel zu bewältigen, sondern diesen auch aktiv und partizipativ mitzugestalten. Hierzu reicht es nicht aus, Fertigkeiten und Fähigkeiten zu erwerben, um die (neu) eingesetzten digitalen Technologien anzuwenden. Vielmehr sind Kompetenzen gefragt, die weit darüber hinausgehen. Der Ansatz der MEDEA-Qualifizierung fördert gezielt die Selbstlernkompetenz (vgl. Burger et. al. 2019) von Beschäftigen. Sie ist eine wesentliche Kompetenz, um Schritt zu halten mit Veränderungen in der digitalen Arbeitsumgebung und neuen Formen der Zusammenarbeit.
Kompetenzen für eine digitalisierte Arbeitswelt
Wenn wir über Kompetenzen für eine digitalisierte Arbeitswelt sprechen, geht es um kompetentes Handeln in ganz konkreten Situationen (vgl. Buschmeyer 2015). Unter Medienkompetenzen verstehen wir in MEDEA das Vermögen der Mitarbeitenden, digitale Technologien und Medien in unterschiedlichen Handlungssituationen und Anwendungsbereichen sinnvoll und situationsangemessen zu nutzen, ihre Potenziale realistisch einzuschätzen und ihre Wirkungen kritisch zu hinterfragen. Dies ist Voraussetzung dafür, konstruktiv mit dem digitalen Wandel in der eigenen Arbeit umzugehen.
In MEDEA haben wir ein Medienkompetenzmodell entwickelt. Bei der Analyse der Anforderungen an Mitarbeitende in einer digitaler werdenden Arbeitswelt haben wir neun Kompetenzfelder definiert, die sich im Bezugsrahmen von drei Bereichen bewegen: der Technik, der Organisation und des Selbst.

Abb. 1: Kompetenzfelder (© MEDEA)
Technik
Um digitale Technologien und Medien situationsangemessen einzusetzen, wird ohne Zweifel ein Grundverständnis über die eingesetzten Technologien benötigt, also wie diese angewendet werden können. Das Spektrum der Kompetenzen fächert sich auf, wenn man sich bspw. mit folgenden Fragen auseinandersetzt: Wie finde und bewerte ich Informationen, die ich für die Weiterverarbeitung benötige? Oder: Wie kann ich digitale Inhalte angemessen in bestehende Systeme integrieren? Wo liegen Grenzen in der Anwendung und Einsetzbarkeit?
Organisation
Das Arbeitshandeln mit digitalen Medien findet immer in einem spezifischen organisationalen System statt. Daher adressieren digitale Medienkompetenzen auch die Verortung der eigenen Arbeitstätigkeit im Gesamtarbeitsprozess wie auch die Kommunikation und Zusammenarbeit im Unternehmen. So wird es z.B. nicht genügen, eine neue Technologie einzuführen, durch die Wissen über Abteilungsgrenzen hinweg kooperativ erstellt und geteilt werden kann, damit eben dies auch geschieht. Denn hier stellen sich soziale Fragen der Zusammenarbeit und der Unternehmenskultur, die nicht allein durch technische Formate gelöst werden können. Blick lenkende Fragen können hier z.B. sein: Wie verändert sich die Zusammenarbeit durch den Einsatz digitaler Medien und Technologien und wie wollen wir unsere Zusammenarbeit durch diese aktiv gestalten? Welche (neuen) Fragen tauchen an Schnittstellen auf? Wie gehen wir zukünftig mit Wissen um? Deutlich wird hier auch, dass entsprechende Lernprozesse eine Einbindung in den jeweiligen Organisationskontext mit seinen Veränderungsdynamiken brauchen.
Selbst
Mit dem zunehmenden Einsatz digitaler Technologien ist eine hohe Veränderungsdynamik verbunden. Anwendungen werden weiterentwickelt oder durch neue Technologien ersetzt. Dies führt nicht selten zu einer Veränderung der Aufgaben und Anforderungen an die Mitarbeitenden. Diese sind nun beispielsweise damit konfrontiert, einen Umgang mit der jeweiligen aktuellen „digitalen Arbeitsausstattung“ zu finden. Damit dies gelingt, wird ein gewisses Maß an Selbstlernkompetenz benötigt. Dazu gehört, den eigenen Kompetenzbedarf festzustellen und passende Lernwege zu finden, die thematisch, zeitlich und räumlich flexibel sind und zum eigenen Lernen passen. So gilt es Qualifizierungskonzepte zu finden, die dies exemplarisch erlebbar machen, indem sie v.a. an dem je individuellen Kompetenzbedarf ansetzen und die Selbstlernkompetenz fördern. Fragen des Selbst entstehen aber auch entlang von Fragen wie: An welchen Stellen im Arbeitsprozess entsteht eine (neue) Notwendigkeit der Selbstführung? Wie gestalte ich z.B. den Umgang mit Mikrogrenzen im Arbeitsprozess?
Medienkompetenzen in selbstgesteuerten Lernprozessen entwickeln
Wie kann es gelingen, Arbeitnehmer:innen, die keine Expert:innen für Digitalisierungsprozesse sind, dabei zu unterstützen, ihre Medienkompetenzen und insbesondere auch ihre Selbstlernkompetenz weiterzuentwickeln?
In dem Projekt MEDEA gelingt dies mit einem erfahrungsgeleiteten und arbeitsintegrierten Qualifizierungsansatz, der folgende Prinzipien verbindet:
- Lernen an der eigenen Fragestellung/dem eigenen Problem. Jede:r Teilnehmende stellt sich die Frage, an welcher Stelle seiner/ihrer Arbeitstätigkeit er/sie nicht recht weiterkommt und bildet daraus ein „Lernprojekt“. Die Arbeit an dem individuellen Projekt bildet das Herzstück der Qualifizierung. Dies impliziert die Abkehr vom seminaristischen „one fits all“-Prinzip, in dem alle Teilnehmenden den gleichen Lernweg zu den gleichen Inhalten absolvieren. In MEDEA durchläuft jede:r Teilnehmende einen ganz eigenen Lernweg. Dies tut er/sie jedoch nicht allein, denn…
- Das Lernen findet alleine, aber auch in der Gruppe statt. Dies hat den Vorteil, dass zwar jede:r mit seiner individuellen Fragestellung weiterkommt, aber auch von den Vorteilen des sozialen Settings für sein Lernen profitiert und das der anderen bereichert: Die Erfahrungen, die man selbst macht, können auch für die anderen lehrreich sein! Das Lernen in der Gruppe geschieht in unterschiedlichen digitalen oder analogen Workshopformaten. In Peer Groups finden ergänzend kollegiale Beratung und Austausch statt und einzelne Schritte im Lernprozess werden gemeinsam angegangen. Die Zusammenarbeit in solch einer Entwicklungsphase dient auch dazu, über die Qualifizierung hinweg Netzwerke zu knüpfen, auf die bei zukünftigen Fragestellungen zurückgegriffen werden kann.
- Die Verbindung von „on the job learning“ und „off the job learning“ in Workshops ist wesentlich. Denn so können in den Workshops individuelle Lernprojekte und konkrete Schritte vereinbart werden, die in der „Echtarbeit“ umgesetzt werden. Und in der Umsetzung werden Erfahrungen gemacht, die dann in den Folgeworkshop mitgebracht und gemeinsam reflektiert werden. Dies hat zwei Vorteile: 1. Die Verbindlichkeit wird relativ hoch, an einer Fragestellung kontinuierlich weiterzuarbeiten, neben weiteren Arbeitstätigkeiten. 2. Die Transferproblematik wird umgangen, die sich einstellt, wenn man etwas neu Erlerntes in die Arbeitsrealität überführen möchte, denn das Lernen ist von Anfang an in der Arbeit verankert.
- Verzahnung von Aktion und Reflexion: Neben der Arbeit am eigenen Lernprojekt ist die Reflexion der eigenen Arbeitstätigkeit und des Lernprozesses ein wesentlicher Bestandteil der Qualifizierung. Die Selbstlernkompetenz wird bewusst, kann weiterentwickelt werden und ist in neuen Situationen leichter verfügbar.
Bausteine des Qualifizierungsansatzes
Im MEDEA-Qualifizierungsansatz werden diese Prinzipien in sechs Bausteinen umgesetzt, die – nach Bedarf digital oder analog – kombiniert werden (vgl. Abb. 2).

Abb. 2: Bausteine des Qualifizierungsansatzes (© MEDEA)
Selbstorganisierte Lernprojekte
Im Zentrum des Lernens stehen Lernprojekte, die sich aus dem aktuellen Einsatz digitaler Medien in der eigenen Arbeit ergeben. Diese werden von jedem/jeder Lernenden selbst definiert und umgesetzt. Die inhaltliche Ausrichtung und die verwendete digitale Technik ist vom jeweiligen Arbeitskontext der Lernenden und dem Stand der Digitalisierung im Unternehmen abhängig.
In MEDEA wurde z.B. folgendes Lernprojekt bearbeitet: Aufbau und Gestaltung der standortübergreifenden Zusammenarbeit unter Nutzung der unternehmensinternen Social-Media-Software.
Situative Lernprozessbegleitung und eingesetzte Lernformate
Unterstützt werden die Lernprojekte durch eine flexibel gestaltete Lernprozessbegleitung. Diese greift auf verschiedene Lernformate zurück, die digital oder analog umgesetzt werden können:
- Selbstlernimpulse stoßen die Lernprozesse in der Arbeit an und strukturieren diese. Dies können sein: Selbstreflexionsfragen, Erkundungs-, Planungs- oder Erprobungsaufgaben.
- Peer-Lernen verbindet das Ausprobieren von bestimmten Vorgehensweisen mit der Reflexion in der Lerngruppe. Dies können z.B. sein: regelmäßiger Austausch über ein digitales Medium oder Peer-Teaching-Prozess am Arbeitsplatz.
- Beim moderierten Gruppenlernen kommt die Lerngruppe in regelmäßigen Abständen analog und/oder digital zusammen. Die Erfahrungen mit den Lernprojekten werden hier ausgetauscht, systematisch ausgewertet, mit Theorieinhalten verknüpft und die nächsten Schritte geplant.
Die Lernprozessbegleitung folgt hier den Erfahrungen der Teilnehmenden und nicht umgekehrt. Lernimpulse werden passend zu den Fragen gesetzt, auf die Lernende in ihrer Praxis gestoßen sind.
In Medea haben wir bspw. Input gegeben zu unterschiedlichen Formen digitaler Zusammenarbeit und zur Notwendigkeit der sozialen Ausgestaltung von neuen Kooperationsformen, die aufgrund von neu eingesetzten Technologien entstehen.
Individuelle Kompetenzbilanzierung
Die Durchführung der Lernprojekte in der Arbeit ähnelt stark einem Problemlösungsprozess. Damit die gewonnenen Erfahrungen und Kompetenzen der Teilnehmenden in diesem wenig standardisierten Qualifizierungsprozess sichtbar werden, schließt eine individuelle Kompetenzbilanzierung (vgl. Buschmeyer et.al 2019) die Qualifizierung ab. Diese findet auf Grundlage der konkreten Tätigkeiten im Rahmen der Lernprojekte statt (vgl. hierzu: www.digital-kompetent-werden.de ).
Über die Autor:innen
Elisa Hartmann, Stephanie Juraschek, Jost Buschmeyer, Florian Gasch
Die Autor:innen arbeiten als Forscher:innen, Berater:innen und Weiterbildner:innen für die GAB München (Gesellschaft für Ausbildungsforschung und Berufsentwicklung) und sind spezialisiert auf arbeitsintegrierte Lernformate und die Begleitung von selbstorganisiertem Lernen.
Der GAB München e.V. hat in Zusammenarbeit mit Verbundpartnern im Projekt MEDEA folgende Ergebnisse entwickelt: Das MEDEA-Kompetenzmodell, den Qualifizierungsansatz für die systematische Kompetenzentwicklung „on the job“ und die Kompetenzbilanzierung zur Feststellung des Kompetenzzuwachses in Bezug auf den Umgang mit digitalen Arbeitstechnologien.
Diese sowie weitere Informationen rund um die MEDEA-Qualifizierung finden sie unter: http://www.digital-kompetent-werden.de
Das Projekt MEDEA – Medienkompetenzen erfahrungsgeleitet und arbeitsintegriert – ist ein vom BMBF gefördertes Projekt, das in den Jahren 2017 bis 2020 gemeinsam mit Unternehmenspartnern aus dem Dienstleistungs- und produzierendem Bereich der Frage nachgegangen ist, wie Mitarbeitende in der Arbeit Medienkompetenzen erwerben können.
Zum Weiterlesen
Bauer, H. G., Brater, M., Büchele, U., Dufter-Weis, A., Maurus, A., Munz, C. (2006): Lern(prozess)begleitung in der Ausbildung - Wie man Lernende begleiten und Lernprozesse gestalten kann. 3. Auflage, WBV.
Buschmeyer, Jost (2015): Kompetenzlernen und Lernprozessbegleitung – eine Einführung. München: GAB München
Burger, B., Horn, K., Juraschek, S., Kleestorfer-Kießling, N. & Schrode, N. (2019): Selbstorganisiertes Lernen. Mythen und Möglichkeiten. In: Berichte und Notizen aus der GAB-Werkstatt. S. 1-6. Online unter: https://www.gab-muenchen.de/de/downloads/gab_news_nr34_dez2019_final.pdf
Burger, B., Horn, K., Juraschek, S., Kleestorfer-Kießling, N. & Schrode, N. (2020, in Vorb.). Selbstorganisiertes Lernen in der Weiterbildung. Erwachsene(n)lernen in Selbstlernarchitekturen. Manuskript in Vorbereitung.
Buschmeyer, J., Hartmann, E., Gasch, F. Juraschek, S. (2019): Digitale Medienkompetenzen in der Arbeit fördern, entwickeln und reflektieren. MEDEA-Kompetenzmodell und Kompetenzbilanzierung. In: Berichte und Notizen aus der GAB-Werkstatt. S. 1-6. Online unter: https://www.gab-muenchen.de/de/downloads/gab_news_nr34_dez2019_final.pdf
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