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Blog

Frauen, Martinique und soziale Inklusion

Starke bürgerschaftliche Lösungen zur Bekämpfung der zunehmenden sozialen Ausgrenzung von Frauen in Martinique

[Übersetzung : EPALE Frankreich]

Anlässlich einer Dienstreise nach Martinique zur Förderung der Erwachsenenbildung hatte ich das Glück, sehr viele soziale Akteure zu treffen, die sich in diesem karibischen, französischen und natürlich auch europäischen Gebiet engagieren. Eine Organisation hat durch ihre Arbeit vor Ort, in der Nähe von ausgegrenzten oder von Ausgrenzung bedrohten Bevölkerungsgruppen, meine Aufmerksamkeit mobilisiert. Lavinia Ruscigni, die Leiterin von „D'Antilles & D'Ailleurs“, war bereit, meine Fragen zu beantworten und mit mir über die Stellung der Frauen auf Martinique zu sprechen. Alle Gelegenheiten, feministische Aktionen hervorzuheben, sind für eine solidarischere, menschlichere und sozialere Gesellschaft unerlässlich.

https://www.dantillesetdailleurs.org/

David Lopez: Lavinia, kannst du „D'Antilles & D'Ailleurs“ und speziell die Aktivitäten vorstellen, die ihr für Frauen, insbesondere Migrantinnen, mit einem hohen Bedarf an sozialer Begleitung durchführt?

Lavinia Ruscigni: „D'Antilles & D'Ailleurs“ (DA&DA) ist eine feministische NRO, die sich seit 2016 auf Martinique für die Beseitigung von geschlechtsspezifischer Gewalt und die Förderung von Frauenrechten einsetzt. Genauer gesagt setzt sich unsere Organisation dafür ein, die Kompetenzen zu stärken, Ausbildungen zu ermöglichen und die sozioökonomische Inklusion von Frauen und Jugendlichen in vulnerablen Situationen zu fördern. „D'Antilles & D'Ailleurs“ arbeitet in zwei Hauptbereichen:

  • Kooperation, Gleichstellung der Geschlechter und Migration. Dieser Schwerpunkt soll alle von DA&DA geförderten Initiativen koordinieren und zusammenführen, die sich an Migrantinnen richten, die der Prostitution nachgehen oder von Prostitution bedroht sind. Wir entwerfen gemeinsam mit internationalen Verbänden nachhaltige Projekte zur Bekämpfung von Geschlechterungleichheit und zur Bereitstellung von Dienstleistungen und Aktivitäten (Ausbildung, Sozialunternehmen, Gesundheit, Bildung, Alphabetisierung) für Migrantinnen in extrem vulnerablen Situationen. Der Schwerpunkt Kooperation, Gleichstellung der Geschlechter und Migration arbeitet eng mit dem Schwerpunkt Jugend zusammen und bezieht auch junge Migrantinnen mit ein.

 

  • Jugend. Wir glauben an kulturelle Vielfalt und interkulturellen Austausch für den Aufbau einer reicheren Welt, die aus bewussten und für Vielfalt offenen Bürgern besteht. Über den Schwerpunkt „Jugend“ unterstützt DA&DA lokales Engagement, Erziehung und Ausbildung von Jugendlichen und Fachkräften. Darüber hinaus stellt diese Abteilung den historischen Auftrag der Einrichtung dar und ermöglicht es jedes Jahr mehreren Dutzend jungen Menschen und lokalen Akteuren, sich im Rahmen von Partnerorganisationen an europäischen und internationalen Austauschprogrammen zu beteiligen.

David Lopez: Unterscheidet sich das Überseedepartement Martinique (Frankreich in äußerster Randlage, gemäß der europäischen Terminologie) vom Rest des „Hexagone“ (französisches Festland), und worin bestehen die Unterschiede (Bedürfnisse, Situation der Frauen, Mittel, Rolle der Institutionen)?

Lavinia Ruscigni: Martinique ist eine Insel in der französischen Karibik, die etwa 7000 Kilometer vom französischen Festland, 120 Kilometer von Guadeloupe und 3300 Kilometer von New York entfernt liegt. Als französisches Departement genießt die Insel innerhalb der Europäischen Union den Status einer „Region in äußerster Randlage“ und unterliegt der französischen Gesetzgebung.

Die Insel ist für ihre multiethnischen Bevölkerungsgruppen bekannt und ist tief von der Geschichte der Sklaverei geprägt. Insgesamt stammen 70 % der Einwanderer aus der Karibik und Südamerika. Seit 1990 ist der Anteil der Migranten an der regionalen Bevölkerung stabil geblieben, während die Feminisierung der Zuwanderung zugenommen hat. 58 Prozent der Migranten sind Frauen (INSEE, 2021), gegenüber 54 Prozent im Jahr 1990.

Die Wirtschaft Martiniques basiert hauptsächlich auf Tourismus, Landwirtschaft (insbesondere Bananen- und Zuckerrohrproduktion) und Dienstleistungen. Tourismus ist eine der Haupteinnahmequellen, die Insel zieht Besucher mit ihren Stränden, malerischen Landschaften und der einzigartigen kreolischen Kultur an. Die Wirtschaft bleibt jedoch anfällig und hängt weitgehend von Subventionen und finanzieller Unterstützung aus Frankreich und der Europäischen Union ab.

Martinique hat eine hohe Arbeitslosenquote, die häufig höher ist als in Kontinentalfrankreich. Jugendliche und Frauen sind besonders stark von Arbeitslosigkeit betroffen. Auch die sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten sind ausgeprägt, ein Teil der Bevölkerung lebt in prekären Verhältnissen.

Das Bildungssystem in Martinique ähnelt dem in Kontinentalfrankreich, Berufsbildung und Hochschulbildung sind Schlüsselbereiche für die Verbesserung der sozioökonomischen Eingliederung von Jugendlichen und Erwachsenen.

Dasselbe gilt für das Gesundheitssystem, das ebenfalls dem französischem Modell folgt. Es bestehen jedoch Ungleichheiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung, insbesondere in ländlichen Gebieten und für vulnerable Bevölkerungsgruppen, zu denen auch die von Da&Da begleiteten Frauen gehören.

Die Frauen, die von „Trois Lieu“, zu dem der Verein Da&Da gehört, aufgenommen und begleitet werden, haben gemeinsam, das ihr Lebensweg  von verschiedenen Formen der Gewalt geprägt ist: innerfamiliäre sexuelle Gewalt, emotionale Defizite, Verlassenwerden, psychologische und/oder physische Misshandlung. Darüber hinaus sind die begleiteten Frauen auf lokaler Ebene mit starker Diskriminierung und Stigmatisierung konfrontiert. Hinzu kommen sozioökonomische und bildungsbezogene Schwierigkeiten sowie kulturelle Unterschiede, die ihre Inklusion erschweren. Frauen müssen wieder ein menschenwürdiges Dasein führen und sowohl wirtschaftlich als auch sozial einbezogen werden. Dafür ist eine verstärkte und angepasste soziale Betreuung von entscheidender Bedeutung.

Zu diesem Zweck hat DA&DA im Herzen von Fort-de-France, der Hauptstadt der Insel Martinique, einen Drittort entwickelt, der sich der sozialen und beruflichen Inklusion widmet. Auf zwei Ebenen in der Rue Lamartine 122 bietet das „Trois Lieu“ einen hybriden Raum für Arbeit, Begegnung und gemeinsame Kreation.

Dieser Drittort soll ein offener Raum sein, der die Fachkräfte für soziale Eingliederung miteinander verbindet und eine sichere und geborgene Umgebung für die begünstigten Personen sowie eine Anlaufstelle für Projektträger bietet. Die Idee entstand 2020 aus dem Wunsch heraus, die Büros von „D'Antilles et D'Ailleurs“ und der lokalen Zweigstelle von Mouvement du Nid zu vereinen, mit der Zielsetzung, gemeinsam zu arbeiten und gleichzeitig den begleiteten Personen an einem einzigen Ort alle benötigten Ressourcen anzubieten.

https://mouvementdunid.org/

David Lopez: Erwachsenenbildung ist häufig ein Baustein für die soziale Inklusion. Wie denkst du darüber? Und welche Bildungswege müssten entwickelt werden, um diesen Frauen ein Vorankommen in der Gesellschaft zu ermöglichen?

Lavinia Ruscigni: Erwachsenenbildung spielt eine entscheidende Rolle für die soziale Inklusion, insbesondere in komplexen sozioökonomischen Kontexten wie dem von Martinique. Sie ermöglicht es der einzelnen Person, neue Kompetenzen zu entwickeln, sich an Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt anzupassen und sich besser in die Gesellschaft zu integrieren.

Für die von uns begleiteten Frauen bildet die Ausbildung den Einstiegspunkt für alle Formen der Inklusion im Aufnahmeland. Voraussetzung für jede berufsbezogene Ausbildung ist das Erlernen der französischen Sprache, ohne die keine echte Inklusion und Integration möglich ist. Angesichts der zahlreichen psychologischen Schwierigkeiten der Zielgruppe (körperliche und seelische Gewalt, Traumata) sowie der zahlreichen Defizite im Bildungsbereich ist es von entscheidender Bedeutung, geeignete Lernmethoden anzuwenden.

Abgesehen von der französischen Sprache und der mangelnden Kenntnis der Hilfsmechanismen, auf die sie Anspruch haben, erleben die begleiteten Frauen weitere Formen der Ausgrenzung aufgrund mangelnder digitaler und mathematischer Kompetenzen. Wir müssen daher die Lernmethoden anpassen. Konkret bedeutet dies, dass die Frauen nicht in der Lage sind, an „klassischen“ Französischkursen teilzunehmen, sondern mehr von innovativen Ansätzen wie der multisensorischen Methode profitieren, die als Grundlage für die Alphabetisierung dient. Tatsächlich fördert die Stimulierung verschiedener Teile des Gehirns, die Nutzung angeborener Gedächtniskanäle und das Spiel mit der suggestiven Kraft von Erfahrungen, Emotionen und Erinnerungen effektives Lernen und optimale Gedächtnisleistung bei Menschen, die Psychotraumata erlitten haben.

Dieser Ansatz wird durch unser Projekt Taste of Fusion Learning veranschaulicht, das von der Agentur Erasmus+ / Education Training finanziert wird. Weitere Informationen zu diesem Projekt finden Sie unter folgendem Link: Taste of Fusion Learning.

Darüber hinaus haben wir festgestellt, dass die Begleitung den Zugang zu Rechten wie Gesundheit, Wohnung, administrative und rechtliche Schritte umfassen muss, damit die Frauen an den angebotenen angepassten Schulungen teilnehmen können (sowohl auf sprachlicher als auch auf beruflicher Ebene, wie z. B. der Workshop zur Ausbildung in der Schneiderei Madeinwomen). Die Intersektionalität der Diskriminierungen, denen diese Frauen ausgesetzt sind, muss unbedingt berücksichtigt werden.

David LOPEZ, Expert EPALE France

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Travail sur Dév. Durable DA&DA.
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