Berufliche Laufbahnen und Anerkennung des Erfahrungswissens (VAE): Ein neuer Weg?

Uberstezung (Französisch - Deutsch) : EPALE France
„Ihre Erfahrung ist ein Diplom wert“, steht auf der Werbebroschüre der Nationalen Stelle für Erwachsenenbildung (Agence Nationale pour la Formation des Adultes, AFPA) zu lesen. Aber wie glaubwürdig ist diese Aussage aus sozialer Sicht? Wie sind die Entwicklungen der heutigen Auslegung der VAE in Frankreich zu betrachten und zu verstehen? Senkung der Dauer der erforderlichen Erfahrung auf ein Jahr und die Möglichkeit, sich vor der Bewertung durch die Jury parallel zur VAE weiterzubilden...
Diese neuen Bestimmungen sind bezeichnend für den in Frankreich und im restlichen Europa festzustellenden Wandel. Demzufolge findet derzeit ein Übergang von einer Logik des Ausbildungsangebots zu einer Laufbahn-Logik statt, in der die Zertifizierung nicht mehr das End-, sondern ein Etappenziel ist.
Vor diesem Hintergrund spielt die VAE eine wichtige Rolle für eine fließende Entwicklung der Laufbahnen und die Hybridisierung der Systeme. Doch wie kann dieser Übergang von einer Logik des Ausbildungsangebots zu einer Logik der Begleitung der beruflichen und persönlichen Laufbahnen analysiert und weitergedacht werden? Welche Modalitäten sind für die VAE in diesem Prozess ins Auge zu fassen?
Aus dieser Perspektive betrachtet, werden drei grundlegende Faktoren deutlich, die zugleich die Erwartungen, anhand derer diese Systeme erarbeitet wird, und die Neukonfigurierung der Professionalisierung der Akteure des Ausbildungswesens betreffen.
- Die Ausbildungen „auf der Arbeit“ besser zu kennen, um sie bei der Planung und Umsetzung von Ausbildungen besser berücksichtigen zu können, ist zwingend erforderlich.
Denn wenn es stimmt, dass sich die Kompetenzen bei der Arbeit entwickeln, muss das System verstärkt die tatsächlichen (und nicht die fiktiv geplanten) Aktivitäten der Arbeitnehmer in Betracht ziehen, um ein Begleitungsangebot zu schaffen, das den beruflichen Laufbahnen und den organisatorischen Entwicklung Rechnung trägt. Das neu erwachte Interesse an Ausbildungen am Arbeitsplatz, das derzeit festzustellen ist, scheint dieser Richtung zu folgen. Aus der Erfahrung der VAE, der von den Betreuern der VAE gewonnen Erfahrung müssen Erkenntnisse gezogen werden können, die für die Engineering-Elemente zur Begleitung der beruflichen Laufbahnen einen Ausgangspunkt bilden.
- Durch die berufliche Laufbahn und für ihre gesamte Dauer die Bedingungen für eine Weiterentwicklung am Arbeitsplatz schaffen.
Die hier und da erfolgten Versuche mit kollektiv reflexiver Aktivität am Arbeitsplatz und die neuen Managementformen (heute ist bisweilen vom befreiten Unternehmen die Rede) haben gezeigt, wie stark das „kompetente Handeln“ und das „selbstständige Handeln“ von der jeweiligen Umsetzungsumgebung abhängen.
In den Einrichtungen für Ausbildung und/oder Betreuung sind die Fachleute mit einer echten Herausforderung konfrontiert: Zwei Ziele unter einen Hut bringen, die zwar antinomisch sein können, einander aber brauchen.
- Ein Anpassungsziel: Die Entwicklung der Erfahrungswerte gewährleisten, die für die in der Berufswelt erwartete Anwendung der Kompetenzen nötig sind.
- Ein Entwicklungsziel, das parallel zu verfolgen ist: den Praktikanten (oder den Ausgebildeten oder den VAE-Kandidaten) die Mittel dazu geben, ihre Laufbahn, und im weiteren Sinne auch ihre persönlichen und beruflichen Entscheidungen, selbst in die Hand zu nehmen. Diese Fähigkeit, Urheber des eigenen Erfahrungswissens zu sein, ist an Bedingungen geknüpft, darunter der Zugang zu Wissen und Ressourcen und die Möglichkeit, sich diese anzueignen und zu teilen. Dies sind die Schlüssel für eine gleichzeitige Weiterentwicklung der Person und der Arbeit. Es ist sicherlich kein Zufall, dass die über eine VAE Diplomierten, die zuvor einen Prozess der Analyse ihrer eigenen Tätigkeit durchlaufen haben, beim Zugang zu einer langfristigen Anstellung einen Vorsprung von 10 % gegenüber Personen haben, die ihre Zertifizierung durch eine Ausbildung erworben haben.[1]
3- Die Möglichkeit der Anzeige von gesellschaftlich wirksamen Signalen der Qualifikation auf dem (nationalen und/oder internationalen) Arbeitsmarkt ist für die Bewegung in einer aus Mobilitätsanforderungen auf beruflicher, sektorbezogener und geografischer Ebene bestehenden Umgebung unerlässlich...
Die große Herausforderung ist hier die Referentialisierung der Kompetenzen innerhalb eines gemeinsamen nationalen und/oder europäischen Rahmens, damit eine möglichst große Zahl an Personen Zugang zu einer „glaubwürdigen“ Zertifizierung erhalten, die tatsächlich auch dem Broterwerb dienen kann. Diesbezüglich haben die Systeme für eine Anerkennung des Erfahrungswissens (Frankreich, Luxemburg) die richtige Richtung aufgezeigt: Die Anerkennung des Erfahrungswissens mittels einer Zertifizierung oder eines Diploms ermöglichen, die/das über die gesamte Laufbahn vergleichbar „würdige“ Zugangsmodalitäten garantiert.
Den Übergang zu verstärkt hybriden, flexibleren Systemen ermöglichen, die den Bedürfnissen der Menschen und Unternehmen besser angepasst sind. Aber wie ist das zu bewerkstelligen? Worauf muss die Erarbeitung und Entwicklung eines Laufbahn-Engineerings beruhen, das die 3 vorgenannten Herausforderungen berücksichtigt?
Die Betreuung im Rahmen einer VAE kann als ein Prozess definiert werden, dessen Ziel die auf Zusammenarbeit beruhende Selbstausbildung ist, die aber ohne Mediation mit anderen nicht auskommt. Diese Mediationen sind vielgestaltig: Mediation des die Aktivität betreffenden verbalen Ausdrucks, Mediation des schriftlichen Ausdrucks, der Ausdruck gegenüber dem Betreuenden, gegenüber Kollegen, der Jury, und selbst gegenüber dem sozialen Umfeld.
Denn die Zeit der Betreuung ist eine Zeit, in der viel gelernt wird: der Kandidat ruft sein Erfahrungswissen ab, bildet neue Zusammenhänge, gibt seiner Erfahrung einen Sinnzusammenhang und formalisiert auf dieser Grundlage sein Wissen. Diese beiden besonderen Augenblicke – zum einen die Wiedergabe seiner Erfahrung gegenüber Fremden, zum anderen die Benennung seines Erfahrungswissen in einem Antrag oder gegenüber einer Jury – haben etwas gemeinsam: Etwas wird in Worte gefasst. Die Erfahrung in Worte zu fassen bildet den Kern dieser Betreuungszeit. Diese Aktivität wird vom Bewerber gefordert. Durch diese Aktivität ist er in der Lage, seine Bewerbung aufzubauen und zu präsentieren und ermöglicht ihm die Rechtfertigung seiner Handlungen in der Praxis oder im Rahmen eines Gesprächs.
Um produktiv zu sein (ein Produkt zu erzeugen: die Bewerbungsunterlagen, die bei einer Simulation gelieferten Erklärungen) und konstruktiv zu sein (die dem Erfahrungswissen der Person gebotenen Entwicklungsmöglichkeiten), ist diese Aktivität der verbalen Formulierung an zwei Bedingungen gebunden:
- Zum einen muss sie einen Empfänger haben, der eine einzelne Person/ eine Gruppe von Personen sein kann,
- Zum anderen muss sie sich auf ein Gedächtnis der Abfolge der Formulierungen stützen können,
- Und nicht zuletzt beruht sie auf den Interaktionen mit anderen, die das Engagement der Person in diesem Bereich unterstützen können.
Hier wird deutlich, dass diese Ausbildungszeiten in einer beruflichen Laufbahn von besonderer Bedeutung sind: Erst sie ermöglichen die Erarbeitung und die Formalisierung des Erfahrungswissens als Spuren und Nachweise des zurückgelegten Wegs – und von ihnen ausgehend wird es möglich, gemeinsam mit der Person neue berufliche Perspektiven zu entwickeln bzw. ihre weitere Laufbahn zu erdenken.
Bei dieser Transaktion bildet sich die berufliche Identität der Person heraus und es wird deutlich, wie wichtig es ist, dem „Ausbildungs“-Weg dieser im Wandel befindlichen Identität die Form einer schrittweisen Betreuung zu geben.
Die Entwicklungen des Arbeitsmarktes und der Organisation der Arbeit führen zu holprigeren Entwicklungen der beruflichen Existenz, die vermehrt Gefahr läuft, zu bestimmten Zeitpunkten in Frage gestellt zu werden, und die – in diesen beiden Punkten sind sich die europäischen Länder mehr oder weniger einig – „flüssiger“ gemacht und „abgesichert“ werden muss. Es wird deutlich, dass ein System der Anerkennung des Erfahrungswissen, wie es in Frankreich existiert, dem Erreichen dieses Ziels dienen kann.
Dennoch ist die VAE zuvorderst ein (im restlichen Europa fehlendes) Zugangsrecht des Einzelnen: Er kann beschließen, das aus seiner persönlichen, beruflichen oder sozialen Erfahrung entstandene Wissen anerkennen zu lassen.
Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die in breiter angelegte Systeme übernommene VAE weiter diesem garantierten Recht Folge leistet und nicht alleine der Logik der von außen kommenden Verordnung durch Stellen für Ausbildung und Beschäftigung folgt; davon hängt eine echte Entwicklung von Erfahrungswissen und der Aktivität der betroffenen Personen ab, und davon hängt auch die zukünftige soziale Glaubwürdigkeit der Betreuungssysteme von Berufslaufbahnen ab.
[1] Bilanz der beruflichen Titel 2016; Erstellung des Dokuments mit Unterstützung der Nationalen Stelle für Erwachsenenbildung (Agence Nationale pour la Formation des Adultes, AFPA) im Rahmen ihres öffentlichen Auftrags.
