COVID-19: Digitale Exklusion ist Realität
Als ich an diesem Artikel zu arbeiten begann, saß ich zu Hause in meinem Homeoffice. Da zu diesem Zeitpunkt offensichtlich auch viele andere Menschen ihre privaten Breitbandanschlüsse nutzten, vermutlich um – wie ich – von zu Hause aus zu arbeiten oder zu lernen, fiel das Internet immer wieder aus. Das führte mir die Absurdität der Situation vor Augen: Hier saß ich, um über digitale Integration und Lernbarrieren während der COVID-19-Pandemie zu schreiben, und ich selbst hatte keinen Internetzugang. Eines hat die Coronavirus-Krise sehr deutlich gezeigt: Im Beruf und in der Ausbildung gehen wir wie selbstverständlich davon aus, zu Hause über eine gute Internetverbindung und über alle elektronischen Geräte zu verfügen, die wir brauchen, um verschiedenste neue Apps reibungslos auszuführen und Webinar- und Konferenzsoftware problemlos zu nutzen. Doch die Krise hat noch etwas anderes gezeigt: Diese Vorstellung entspricht nicht der Realität.
Digitale Exklusion ist Realität
„Wir sehen, dass einige Lernende digital ausgeschlossen sind. Sie haben keinen Zugang zu IT-Geräten oder zum Internet, sodass sie nicht an Online-Lernprogrammen teilnehmen können", erklärt Alex Stevenson, Direktor für Englisch, Mathematik und ESOL (English for Speakers of Other Languages) des britischen Learning and Work Institute. „In Großbritannien experimentieren einige Anbieter damit, den Lernenden Laptops und Computer, die in den Volkshochschulen derzeit nicht genutzt werden können, leihweise zur Verfügung zu stellen. Einige unterstützen die Lernenden auch bei der Deckung der Internetkosten, damit sie sich den Zugang zu Online-Inhalten leisten können.“
Doch nicht in allen Ländern werden Lernende aus benachteiligten Gruppen so tatkräftig unterstützt. Während einige Regierungen, z. B. die finnische, zusätzliche finanzielle Ressourcen für die Erwachsenenbildung zur Verfügung stellten, um Online-Lernen zu ermöglichen und die Lernenden in den Kursen zu halten, stießen die meisten anderen europäischen Länder sehr bald an ihre finanziellen Grenzen.
„Das Problem entsteht dort, wo die Finanzierung an die Anzahl der persönlich anwesenden Lernenden oder an die nachweisliche Dauer ihrer Anwesenheit in Bildungseinrichtungen geknüpft ist", sagt Zvonka Pangerc Pahernik vom Slowenischen Institut für Erwachsenenbildung und slowenische Koordinatorin der Europäischen Agenda für Erwachsenenbildung. „Deshalb mussten Verhandlungen mit Ministerien und anderen zuständigen Stellen geführt werden, um flexible Lösungen zu erarbeiten.“
Digitale Exklusion ist nicht nur eine Frage des fehlenden Zugangs der Lernenden zu einer adäquaten Internetverbindung und zu elektronischen Geräten. Die digitale Kluft wird auch durch das Lernangebot und durch die Art der Finanzierung der Erwachsenenbildung verstärkt.
Die Gelder können aus Projektfinanzierungsmitteln, Kursgebühren und – in einigen Ländern – öffentlichen Förderungen von Lernprogrammen für bestimmte Gruppen von Lernenden stammen. Die Finanzierungsformel beruht häufig auf der Anzahl der Lernenden und den Anwesenheitsstunden in den Bildungseinrichtungen. Nach den Regeln der meisten öffentlichen Finanzierungsstellen dürfen Gemeinkosten nicht abgedeckt werden. Das bedeutet, dass die Digitalisierung der Erwachsenenbildung über andere Mittel finanziert werden muss – Mittel, über die viele Erwachsenenbildungsorganisationen nicht verfügen. Die Organisationen, die in erster Linie bildungsfernen Erwachsenen Grund- und Lebenskompetenzen vermitteln, sind meist auch jene, die über die geringsten Ressourcen zum Aufbau einer angemessenen technologischen Infrastruktur in ihren Institutionen verfügen. Sie sind weit davon entfernt, Computer oder andere Geräte an die Lernenden verleihen zu können. So überrascht es nicht, dass viele Anbieter von Erwachsenenbildung zu Krisenbeginn nicht über die notwendige Infrastruktur verfügten und dass die Online-Unterrichtskompetenzen ihrer Lehrkräfte mangelhaft waren.
Gleichzeitig wurde die Digitalisierung der Erwachsenenbildung, insbesondere in der Arbeit mit gefährdeten Gruppen, von den Anbietern kritisch gesehen, verlangte sie doch, in einem Bereich, in dem der persönliche Kontakt und die soziale Interaktion als unverzichtbar gelten, ganze Bildungskonzepte auf den Kopf zu stellen.
Die Coronavirus-Pandemie und die von vielen Ländern erlassenen Ausgangssperren ließen den Anbietern jedoch kaum eine Wahl, zumal sich bald zeigte, dass die einzige Alternative zum digitalen Lernen das Nicht-Lernen war.
„In Österreich verwandelte sich der anfängliche Widerstand in den ersten vier Wochen nach Schließung der Schulen und Bildungseinrichtungen schnell in eine regelrechte Digitalisierungswelle unter den Bildungsanbietern“, so Gerhard Bisovsky, Generalsekretär des Verbands Österreichischer Volkshochschulen (VÖV). Der Bundesverband leitete eine rasante Digitalisierung in die Wege, indem er sofort damit begann, Schulungen zur Nutzung von Online-Werkzeugen und zu allgemein- und fachdidaktischen Aspekten des digital unterstützten Lernens anzubieten. „Wir sind jetzt dabei, eine Digitalisierungsstrategie zu entwickeln“, erklärt Gerhard Bisovsky. Auch andere europäische Organisationen berichten Ähnliches. Damit die Anbieter von Erwachsenenbildung mit der Digitalisierung beginnen konnten, mussten die Finanzierungsregeln für europäische Programme, insbesondere Erasmus+ und ESF, aber auch für nationale und regionale Förderprogramme, geändert wurden, um den neuen Gegebenheiten Rechnung zu tragen und das Lernen in den digitalen Raum zu verlegen.
„In Großbritannien bedeutete das, die Lehrpläne an die Online-Umgebung anzupassen, indem zum Beispiel anstelle einer längeren wöchentlichen Unterrichtseinheit kürzere, aber dafür tägliche Einheiten angeboten wurden“, sagt Alex Stevenson. Innovative Modelle wie dieses können dazu beitragen, dass die Lernenden einen neuen Lernrhythmus finden und dass Engagement und Motivation beim Online-Lernen aufrechterhalten werden.
Wo liegen die Chancen und Schwachpunkte?
Doch während sich die Erwachsenenbildungseinrichtungen bemühten, ihre Lernangebote so schnell wie möglich in den digitalen Raum zu verlagern, waren einige Lernende vom Tempo der Veränderungen überfordert. Ben Hendriksen, Advocacy Lead bei AONTAS, dem irischen Verband für Erwachsenenbildung, sagt dazu: „Als Mitgliederorganisation holen wir stets die Erfahrungen von Organisationen in ganz Irland ein. In den ersten Wochen des Lockdown berichteten einige unserer Mitgliedsorganisationen, dass nur noch ein Viertel der Lernenden an ihren Online-Programmen festhielt. Das zeigt uns, wo die Chancen liegen, und wo – insbesondere bei den bildungsfernsten Personengruppen – die Schwachpunkte sind.“
Obwohl die Situation nicht überall so grau ist, berichten Erwachsenenbildungsanbieter in ganz Europa über einen Rückgang der Zahl der Lernenden seit Beginn der Krise und des Lockdown. Zu den Abbrechern zählen nicht nur Lernende, die zu Hause keinen Zugang zum Internet oder zu einem Computer haben, sondern auch Personen ohne ausreichende digitale Fähigkeiten und Eltern, die ihre Kinder während des Lockdown betreuen mussten, indem sie sie beispielsweise beim Lernen unterstützten.
„Die britischen Anbieter zeigen großen Erfindungsreichtum, um Familien beim Lernen zu unterstützen. So verwenden sie beispielsweise unterhaltsame pädagogische Softwareprogramme, die Eltern den Heimunterricht ihrer Kinder erleichtern. Regelmäßig kommen neue Inhalte hinzu, über die die Lernenden per WhatsApp benachrichtigt werden. So werden sie ermutigt, sich mit den Ressourcen zu beschäftigen“, erklärt Alex Stevenson.
Die Kommunikation über Telefon, WhatsApp und andere Dienste hat sich als zentral erwiesen, um Lernende aus sozial benachteiligten Verhältnissen zu erreichen.
Die Rolle der Erwachsenenbildung bei der Einbindung von Menschen in soziale Netzwerke sollte nicht unterschätzt werden. Durch die Krise wurde diese Rolle noch stärker in den Vordergrund gerückt.
Zvonka Pangerc Pahernik spricht in diesem Zusammenhang von der „therapeutischen Dimension" der Erwachsenenbildung. Nicht überall waren Anbieter von Erwachsenenbildung in der Lage, Lernangebote online zu stellen, und nicht überall waren die Lernenden in der Lage, Zeit für das Online-Lernen zu finden. Doch selbst in diesen Fällen waren viele Erwachsenenbildungsanbieter bestrebt, mit ihren von sozialer Exklusion bedrohten Lernenden in Verbindung zu bleiben, sei es durch Anrufe, Textnachrichten und Chatgruppen in Messenger-Diensten. Einige Organisationen schlossen sich auch mit Anbietern von Gesundheits- und Sozialdiensten zusammen, um die am stärksten gefährdeten Gruppen zu erreichen. „Sie begannen, sehr kurze Online-Kurse anzubieten, deren Ziel es war, das geistige Wohlbefinden zu unterstützen. Themen waren unter anderem Achtsamkeit, handwerkliche Tätigkeiten und andere Inhalte, um das Abdriften der Menschen zu verhindern“, sagt Alex Stevenson.
Ein weiteres großartiges Beispiel dafür, wie das Lernengagement aufrechterhalten werden kann, ist „Keep London Learning“. „Diese Initiative geht auf eine Gruppe von Anbietern in der Londoner Innenstadt zurück. Eine benutzerfreundliche Website ermöglicht es den Londonern, auf einen Blick zu erkennen, welche Online-Kurse in ihrer Gegend und in der ganzen Stadt verfügbar sind. Die Website empfiehlt auch Links zu Arbeits- und Umschulungsmöglichkeiten in London, zu Organisationen, die es ermöglichen, gesellschaftliche Beiträge zu leisten, die Isolation zu lindern, gesund und fit zu bleiben, die Familie zu unterstützen und wesentliche Fähigkeiten (Kommunikation, kritisches und kreatives Denken, Selbstvertrauen usw.), die die Londoner in den kommenden Monaten und Jahren benötigen werden, weiterzuentwickeln“, erklärt Alex Stevenson.
Ein neues Gleichgewicht zwischen digitalem Lernen und der sozialen Dimension der Erwachsenenbildung finden
Eines scheint bereits jetzt klar zu sein: Die Coronavirus-Krise wird nicht nur den Arbeitsmarkt und andere Teile der Wirtschaft, sondern auch das Lernangebot nachhaltig beeinflussen. Digitales Lernen wird in absehbarer Zukunft eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Für Anbieter von Erwachsenenbildung bedeutet das, ein Gleichgewicht zwischen der Dimension der sozialen Inklusion von Lernenden durch Präsenzunterricht und der Anpassung an sich verändernde Umstände herzustellen. Initiativen wie „Keep London Learning“ sind bestrebt, digitales Lernen und soziale Integration und Interaktion nicht als Gegensätze zu verstehen, sondern als großes Ganzes. Obwohl der Sektor der nichtformalen Erwachsenenbildung mit großen finanziellen Herausforderungen konfrontiert ist, hat er seine Krisenfestigkeit durch größte Anstrengungen, flexible, lernerzentrierte Lösungen anzubieten, um das Aussteigen von Lernenden zu verhindern und auch die schwächsten Gruppen zu erreichen, unter Beweis gestellt.
Autorin Raffaela Kihrer ist seit 2013 auf EU-Ebene in den Bereichen Erwachsenenbildung und lebenslanges Lernen tätig. Als Head of Policy der European Association for the Education of Adults (EAEA) fördert sie die Werte der nichtformalen Erwachsenenbildung und des Lernens durch Überzeugungs- und Informationsarbeit auf europäischer Ebene.
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