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EPALE - Elektronische Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

Blog

Zwischen Ich und Wir - Erwachsenenbildung im Spannungsfeld zwischen Individualität und Kollektivität

Individualität vs. Kollektivität in der Erwachsenenbildung: Wie beeinflusst dieser Konflikt Projekte und die EU-Kompetenzrahmen?

Warum dieses Thema? Was haben Sie davon?

Das Thema „Individualität vs. Kollektivität“ ist das Fokusthema von EPALE Deutschland für das 4. Quartal 2023. Warum? Das Thema hat „Konjunktur“. Einerseits gibt es immer mehr Möglichkeiten, individualisiert zu lernen und den Lernpfad für eine Person sehr gezielt zu entwickeln, dies ist vor allem durch den Einsatz von IT-basierten Lerntechnologien mehr als bisher möglich. Gerade in der Erwachsenenbildung erhält diese Idee Bedeutung, denn die allgemeine Annahme ist, dass Erwachsene vor allem lernen, weil sie einen konkreten Anlass haben. Aber: das gemeinsame Lernen, das Lernen auf ein gemeinsames Ziel hin scheint immer mehr in den Hintergrund zu geraten, dabei ist es doch gerade jetzt, wo wie existenzielle Bedrohungen vor uns haben, von besonderer Bedeutung. Stimmt das so?

Dieser Blogartikel (und die im Quartal folgenden Angebote auf EPALE) wendet sich an Menschen in der Erwachsenenbildung, besonders an diejenigen, die in Projekten arbeiten oder Projekte beantragen wollen (ob nun Erasmus+ oder andere).

Was erwartet Sie?

Sie erhalten eine grundlegende Auseinandersetzung mit diesem aktuellen Thema, das sich in fast jedem Projektantrag oder der Arbeit in einem Projekt verankern lässt: wo sind die verfolgten Ziele zu verorten, wie /wo sind Inhalt und Methode des Lernens in diesem Spannungsfeld verankert, wie passen die Evaluations- und Monitoring-Methoden in dieses Spektrum?

Aktuelles Wissen über dieses Themenfeld kann Ihnen bei der Beantragung und Durchführung Ihres (EU-)Projekts helfen. Wie aktuell dieses Thema ist, können Sie (gerade auf der europäischen Ebene) sehr gut sehen:

Die EPALE Community Conference beschäftigte sich in diesem Monat mit den drei Jahresthemen Empower, Engage, Include. Schon hier wird das Spannungsfeld abgebildet: bei „Empower“ ging es um die Lernmöglichkeiten und -zugewinne Einzelner, bei „Engage“ und „Include“ wurden klar kollektive Ziele und Lernfelder angesprochen. Das spiegelt sich sehr gut im Programm:

Sehen Sie hier die Highlights der EPALE Community Conference: Empower, engage, include

Was ist denn eigentlich gemeint?

Versucht man sich an einer grundsätzlichen Einordnung der beiden Begriffe „Individualität“ und „Kollektivität“, und dies im Kontext der Erwachsenenbildung, kommen schnell Bilder in den Kopf, die ein „Entweder-Oder“ vermuten lassen. Individualisierung wird z.B. als Megatrend bezeichnet. Tatsächlich konstatiert aber gerade das Zukunftsinistitut (zu dem M.Horx gehört), dass sich die Definition des „Ich“ im „Wir“ neu beschreiben lässt, und dies besonders seit der COVID-Pandemie.

„In Zukunft steht immer weniger das solitäre Ich und zunehmend das Ich im Kontext von Beziehungen im Mittelpunkt. …..Das Ich wird neu definiert, die Konzepte von Freiheit und Verantwortung richten sich neu aus. Identity Design und Diversity behalten einen elementaren Stellenwert.“ 1 Was heißt das eigentlich und ist das tatsächlich neu? Dazu unten mehr.

Trotzdem: je nach Standort wird die Frage der individualisierten Lernmöglichkeiten stärker in einen Zusammenhang gestellt mit einer „egoistischen“ Verfolgung der eigenen Ziele, mit weniger gesellschaftlichem Zusammenhalt. Individualisiertes Lernen wird auch als Antwort auf die Anforderungen der von der VUCA-Welt geprägten Arbeitsumgebungen gesehen und zielt zugleich auf die individuelle Kompetenz- und Bildungsentwicklung, so in einem Vortrag von Prof.Peter Dehnborstel 2 von 2023.

Phillipe Wampfler stellt für den Bereich Schule die „traditionelle“ Vorstellung von Bildung dem Ansatz des „individualisierten Lernens“ (durchaus kritisch) gegenüber und bemerkt, dass die individualisierte Bildung letztlich auf Konformität ausgerichtet ist und keineswegs auf Selbstbestimmung, weil die technischen Bedingungen für den von einer App oder Plattform vorgeschlagenen Lernpfad nicht selbstgewählt sind, sondern letztlich von einem Algorithmus bestimmt sind. 3 Kollektivität stellt das Lernen zum Erreichen von gemeinsamen, gesellschaftlichen Zielen in den Vordergrund, besonders wichtig, wenn man an Umweltbildung, Diversity Education oder Interkulturalität denkt. Dies impliziert aber auch, dass nicht nur das Ziel ein kollektiv wichtiges ist, sondern auch die Inhalte und Methoden dem Gedanken der Kollektivität entsprechen. Dazu später mehr.

Einordnung: ein Blick in die Geschichte der Erwachsenenbildung

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als wenn das Spannungsfeld „Individualität vs. Kollektivität“ ein neues, aus der Entwicklung von Bildung, Technik und gesellschaftlichen Strömungen entstandenes Thema ist. Tatsächlich ist das Thema so alt wie die Geschichte der Erwachsenenbildung. Birte Egloff beschreibt dieses Spannungsfeld als konstituierend für die Bildung, besonders für die Erwachsenenbildung, bei der ja von erwachsenen, entscheidungsfähigen Individuen auszugehen ist. 4 Ihrer Meinung nach ist in der  Erwachsenenbildung in ihrer theoretischen wie auch praktischen Ausrichtung eine Entwicklung zu größerer Individualisierung festzustellen, das lässt sich auch an den tragenden Begriffen verdeutlichen. War in den Anfängen des 20. Jahrhunderts der Begriff „Volksbildung“ Ausdruck dafür, dass Bildung für Erwachsene den/die Einzelne/n in seinem/ihrem Kollektiv stärken sollte (z.B. Arbeiterbildung), setzten sich immer mehr Begriffe durch, die die einzelne Person mit ihren Bedürfnissen in den Vordergrund stellte, aber auch die Selbst- Verantwortung für die Verfolgung von Bildungszielen betonte. Ein breiteres Angebot, eine Ausdifferenzierung von „Zielgruppen“, aufsuchende Bildung und Lebensweltorientierung waren Ausdruck dieser neuen Sicht.

Daneben hat aber immer das Kollektiv eine wichtige Rolle gespielt: in der gewerkschaftlichen und politischen Bildung ist das tragende Motiv die Verbesserung der Lebensverhältnisse nicht nur des/der Einzelnen, sondern der Gemeinschaft. Der Ansatz der „Community Education“, wie er besonders im englischen Sprachraum verwendet wird, beinhaltet diese Perspektive ebenfalls. (Siehe dazu den sehr lesenswerten Artikel auf EPALE von Elke Beneke, Link unten). Neu in diesem Zusammenhang ist das Konzept der Soziokratie. Lesenswert ist dazu der Artikel über ein Erasmus+- Projekt, SoNeC. 5

Was sagt die EU zu diesem Thema? Und warum ist das für Projektdurchführende/ Antragstellende von Bedeutung?

Sie kennen es: jede Projektbeantragung beinhaltet die Frage nach der Relevanz des Themas und den Bedürfnissen der Zielgruppe. Sich hier nur auf eigene Erfahrungen zu verlassen, ist zu kurz gedacht. Ein Blick in relevante Veröffentlichungen der EU zum Thema Bildung gibt hier einen besseren Hintergrund. Lassen Sie uns also einen Blick auf diese Ebene wagen, und wo ginge dies besser als in den relevanten Veröffentlichungen der EU zu den diversen Kompetenzrahmen?

Der DigiComp 6bezieht sich auf die immer wichtiger werdenden Kompetenzen im digitalen Bereich. Hier finden wir diese Aussage (alle Hervorhebungen sind von mir):

„Digital competence involves the confident, critical and responsible use of, and engagement with, digital technologies for learning, at work, and for participation in society. It includes information and data literacy, communication and collaboration, media literacy, digital content creation (including programming), safety (including digital well-being and competences related to cybersecurity), intellectual property related questions, problem solving and critical thinking.”

Der GreenComp 7 macht ähnliche Aussagen. Im Kapitel 4.4. wird dies deutlich:

„Acting for sustainability encourages learners to take action at individual and collective level to shape sustainable futures, to the extent possible.“

Der EntreComp 8, der sich auf unternehmerisches Denken im weiteren Sinne bezieht, zeigt ebenfalls beide Zieldimensionen auf:

„….which benefit individual and society as a whole. „. Und unter der Dimension „Working with others“ heißt es: „Learners can work in a team to create value. Learners can work together with a wide range of individuals and groups to create value. Learners can build a team and networks based on the needs of their value-creating activity.“.  Auch hier findet sich ein klares Bekenntnis zu einer zweigeteilten Ausrichtung.

Bleibt noch der Life Comp 9. Hier heißt es gleich in der Einleitung: „These competences are fundamental to achieve personal fulfilment and satisfaction, develop ourselves and relate to others, learn how to learn and keep being employable. They are also essential for our social inclusion and for our civic participation in society.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass alle aktuell veröffentlichten Kompetenzrahmen der EU die gleiche Antwort geben: Lernen in den diversen Bereichen dient immer dem Individuum und dem Kollektiv.

Warum ist das wichtig für (EU- )Projekte?

Bei der Konzeption eines Projektantrags stellen Sie sich die Frage, welche Ziele das Vorhaben verfolgt. Auch beim Design des Projekts und dem geplanten Vorgehen stehen diese Ziele im Fokus: mit welchen Inhalten und Methoden lassen sich die anvisierten Ziele am besten erreichen?  Für wen sind sie relevant? Letztlich sind sie aufgefordert, ein Monitoring zur Überwachung Ihrer Zielerreichung einzurichten und Evaluationsmethoden (oft mit Indikatoren) zu benennen, die die Zielerreichung auch demonstrieren. Diese „Kette“ von Ziel über Inhalt/Methode zu letztlich Evaluation und Monitoring muss in sich stimmig sein. Daher ist die Verortung Ihres Projekts (oder Ihrer Projektidee) in dem Spannungsfeld von Individualität vs. Kollektivität von Relevanz. Sie selbst müssen sich positionieren: verfolgen Sie Ziele, die vor allem den einzelnen Personen Ihrer Zielgruppe Lernerfolge ermöglichen, oder verfolgen Sie ein Ziel, das eher in der Verbesserung der Situation für ein Kollektiv (die Nachbarschaft, eine Gruppe etc.) liegen? Oder verfolgen Sie eine Strategie, in der die individuellen Ziele aufgehoben sind in den kollektiven Zielen? Wie auch immer, es ist gut, sich zu überlegen, ob Sie im Projektdesign konsistent sind. Und es ist gut, wenn Sie diese „Strategie“ auch mit Quellen belegen können.

Vor allem beim Aufzeigen von Relevanz und Innovation, aber auch bei der Beschreibung der Bedürfnisse der Zielgruppe(n) sollten Sie nicht auf Bezugnahme auf offizielle Quellen verzichten.

Ausblick

Was erwartet Sie zu diesem Thema in der kommenden Zeit?

  • Ein Glossar mit den wichtigsten Begriffen in diesem Themenfeld, jeweils mit Quellenangabe. So haben Sie bei Bedarf gleich die Möglichkeit, die Information für Ihre Anträge/Berichte etc. zu verwenden. (in ca. 1 Woche)
  • Eine Gelegenheit zu konkreten Fragen, die ich gern beantworte. Ich selbst habe 15 Jahre Erfahrung als Projektmanagerin, bin aber auch seit 4 Jahren Gutachterin für die Nationale Agentur und habe in diesem Zusammenhang mehr als 100 Projektanträge und -berichte begutachtet.  (in ca. 2 Wochen). Sie können ab JETZT Ihre Fragen stellen, z.B. unter diesem Artikel….

Darüber hinaus wird es weitere thematische Angebote geben, eine Serie von Podcasts, ein Videogespräch, einen Workshop und viele weitere inhaltliche Angebote.


Links zur Literatur:

  1. Der Megatrend Individualisierung (zukunftsinstitut.de)
  2. (31) Keynote: Prof. Dr. Peter Dehnbostel - YouTube
  3. KI und das problematische Versprechen der Individualisierung – Schule Social Media
  4. Erwachsenenbildung und Individualisierung : sveb (ep-web.ch)
  5. SoNeC-Concept-Layout-Deutsch-Zusammenfassung.pdf
  6. DigComp: the EU Digital Competence Framework | Digital Skills & Jobs Platform (europa.eu)
  7. GreenComp: the European sustainability competence framework (europa.eu)
  8. EntreComp: The entrepreneurship competence framework (europa.eu)
  9. LifeComp: The European framework for the personal, social and learning to learn key competence

Weitere Artikel auf EPALE zu diesem Thema:

The 2023 Community Stories Initiative | EPALE (europa.eu)  

Quo vadis, Erwachsenenbildung? Trends im Vergleich (Teil I) | EPALE (europa.eu)

Community Education – wie sich Gemeinschaften durch Lernen verändern | EPALE (europa.eu)

CoMo EPALE Beiträge.
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Kommentar

Besten Dank für diesen super strukturierten Artikel. Individuelles und kollektives Lernen haben beide ihre Vorteile, aber auch ihre Herausforderungen. Interessant ist ja auch die Verknüpfung von beiden Methoden.

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