Themenwoche: Le Talus, ein Dritter Ort in Marseille

Stellen Sie sich einen Gemeinschaftsgarten zwischen Bahngleisen und Autobahn vor, der nur einen Steinwurf vom Stadtzentrum von Marseille entfernt liegt und in dem es um mehr geht als nur um gemeinsames Gärtnern. Le Talus, der in diesem ganz besonderen Gebiet liegt, definiert sich selbst als Dritter Ort. Der Ort fungiert als Bindeglied zwischen Bevölkerung, Vereinen, Schulen, lokalen Behörden und Unternehmen. Sein Schwerpunkt? Übergänge.
Tatsächlich macht es wenig Sinn, den ökologischen Wandel isoliert zu betrachten, wirft er doch so viele Fragen über die Art und Weise auf, wie wir leben, arbeiten, interagieren und am gesellschaftlichen Leben teilnehmen.
Um diese Bewegung durch konkrete Maßnahmen zu fördern, experimentiert Le Talus mit verschiedenen Aktivitäten in folgenden Themenbereichen:
- Agrarökologie;
- nachhaltige Ernährung;
- Umwelterziehung;
- Wiederverwendung;
- soziokulturelle Aktivitäten;
- Gemeinschaftsdynamik.
So können die Nutzenden beispielsweise ein Gemüsebeet mieten, einen der Wohnbereiche nutzen, pflanzliche Rezepte ausprobieren oder Konzerte besuchen.
Seit der Gründung 2018 wächst das Team ständig und strukturiert sich laufend neu. Mittlerweile hat Le Talus 10 Mitarbeitende und 5.500 Mitglieder. Die Teammitglieder sind offen für Initiativen in Marseille und darüber hinaus und begrüßten deshalb den Kontakt zu ähnlichen Strukturen in Rom (Sommer 2022) und Madrid (Sommer 2024). Der Verein beantragte eine Erasmus+-Förderung für „Mobilitätsförderung für Erwachsene“.
Um ein Einblick in dieses Projekt zu vermitteln, hat EPALE Frankreich das untenstehende Interview mit dem Verwaltungs- und Finanzmanager Hippolyte Le Bougnec geführt. Das Gespräch ist mit Fotos des Gartens und der Projektbeteiligten unterlegt.

© Luce Ringette
Interview mit Hippolyte Le Bougnec, Verwaltungs- und Finanzmanager von Le Talus
EPALE France: Hallo Hippolyte, könnten Sie sich kurz vorstellen? Was hat Sie dazu bewogen, dem Heko Farm Verband beizutreten?
Ich kam vor drei Jahren zu Le Talus, nachdem ich einen Master 2 in Innovationsmanagement an der Sorbonne (Universität Paris 1) erworben hatte. Zunächst arbeitete ich als Freiwilliger im Rahmen des Zivildienstes, bevor ich als Verwaltungs- und Finanzmanager eingestellt wurde.
Seit dem Alter von 18 Jahren faszinieren mich Dritte Orte und andere assoziative Räume, die Verbindungen innerhalb ihrer lokalen Umgebung schaffen, ökologische, soziale und zivilgesellschaftliche Übergänge fördern und die Nutzenden und Begünstigten durch die Idee verbinden, Dinge gemeinsam zu tun.
Mein Vater stammt aus Marseille. Deshalb wollte ich in Marseille leben und trat dem Verband Heko Farm bei, der seit über sechs Jahren den Dritten Ort Le Talus in Marseille betreibt.
Le Talus nahe dem Stadtteil Air Bel und Bahngleisen © Jean-Marie Muggianu
Woher kommt der Name „Le Talus“? Wie ist das Projekt entstanden? Was sind seine wichtigsten Werte?
Der Name Le Talus bezieht sich auf das Grundstück, auf dem unser Projekt errichtet wurde. Es fällt sanft von der Bahnlinie zur Rue Saint Pierre ab. Das französische Wort Talus bedeutet Böschung, Erdwall oder ein erhöhtes Stück Land. Das Projekt entstand aus dem Wunsch der Mitbegründenden heraus, ein Schaufenster für erfolgreiche Übergänge zu schaffen. Durch die Pflege eines Gemeinschaftsgartens sollte eine Verbindung zwischen Natur und Kultur hergestellt werden. Das Ziel bestand darin, soziokulturelle Dynamiken zu schaffen, um die Menschen indirekt für die Umwelt zu sensibilisieren. Der Garten befindet sich in der Nähe des Stadtteils Air Bel, einem benachteiligten Viertel, das von der „Politique de la Ville“ (einer speziellen Förderung) profitiert. Von Anfang an wollten wir alle Teile der Öffentlichkeit in das Projekt einbinden, insbesondere benachteiligte Gruppen, und sie zur Teilnahme ermutigen.
So arbeiten wir seit mehreren Jahren mit der Grundschule von Air Bel zusammen, deren Klassen den Garten sechs- bis achtmal im Jahr besuchen. Dabei lernen die Kinder, wie Ökosysteme funktionieren, wie man sich in der Stadt um die Natur kümmert und wie man einen Lehrgarten pflegt. Und sie wiederum geben ihr Wissen an ihre Eltern weiter!
Der Garten, ein Raum für viele Zwecke © Alban Besson |
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Was sind die Hauptaktivitäten des Projekts?
Le Talus ist ein Ort zum Experimentieren! Und in der Tat, wir experimentieren viel!
Derzeit betreibt Le Talus sechs operative Programme mit dem Ziel, die verschiedenen Nutzenden, Bewohner/innen, lokalen Behörden und Vereine der Region miteinander zu verbinden.
Wir sind ein gemeinschaftlich geführter Dritter Ort, der sich über eine Reihe von Themen (nachhaltige Lebensmittel, Agrarökologie, Wiederverwendung) der ökologischen Sensibilisierung widmet, die lokale Kultur fördert und die lokale Dynamik anregt.
Wir organisieren Kulturveranstaltungen, Tage der offenen Tür, partizipative Arbeitssitzungen und Bildungsworkshops, um die Nutzenden des Dritten Orts zusammenzubringen und eine gemeinsame Basis für Austausch und Zusammenarbeit zu schaffen.
Wer bei Le Talus vorbeischaut, kann an partizipativen Bauprojekten teilnehmen, im Garten arbeiten, sich um die Hühner kümmern, eine Kleinigkeit essen oder sich auf dem Sofa entspannen, ein eigenes Gemüsebeet anlegen, ein Konzert oder eine Aufführung besuchen, ein lokales Gericht kochen, an einem Bildungsworkshop teilnehmen und vieles mehr.
Derzeit richten wir neue Austauschkanäle ein, um die Interessengruppen zusammenzubringen und ihnen die Möglichkeit zu geben, über die Funktionsweise der Website mitzuentscheiden.
Sie waren auf der Suche nach anderen Inspirationsquellen in Frankreich und in Europa, insbesondere über das Erasmus+-Programm. Sie unternahmen 2022 eine Mobilitätsreise nach Rom und 2024 nach Madrid. Was sind Ihre wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Erfahrung?
Die Erasmus+-Reisen boten uns die Möglichkeit, andere Bildungsmodelle für ökologischen Wandel, Projektmanagement, Öffentlichkeitsarbeit und Integration benachteiligter Zielgruppen kennenzulernen.
In Rom konzentrierten wir uns 2022 auf Modelle für Organisationen, die sich mit Experimenten und der Sensibilisierung für die Agrarökologie in der Stadt beschäftigen. 25 Teammitglieder verbrachten sieben Tage damit, unseren Partner – den Zappata Romana Verein Hortus Urbis – kennenzulernen, der den Gemeinschaftsgarten betreibt. Wir besuchten gemeinsam andere Orte, die sich der Lösung ähnlicher Probleme verschrieben haben, wie z. B. dem Anbau von Feldfrüchten mit wenig oder gar keinem Wasser (im mediterranen Kontext) und dem Standort in einer ultraurbanen Umgebung. Wir lernten auch einige partizipative Managementmethoden für unseren Kulturraum und einen offenen Ansatz zur Einbeziehung der Öffentlichkeit kennen.
In Madrid definierten wir diesen Sommer eine Reihe von bewährten Verfahren, um die Beziehungen zu allen Beteiligten von Le Talus – insbesondere zu den Bewohnerinnen und Bewohner der „Politique de la Ville“-Viertel – zu fördern . Wir nutzten dazu Bildungs- und soziokulturelle Aktivitäten. Wir konnten feststellen, dass die spanische Öffentlichkeit durch viele selbstverwaltete Projekte stark eingebunden wird. Dank unserem Hauptpartner Naturbana konnten wir fünf Standorte besuchen. Nicht alle von ihnen hatten direkt mit Agrarökologie zu tun, denn wir wollten auch andere Themenfelder kennenlernen. Wir achteten speziell auf den Umgang mit der Öffentlichkeit, insbesondere mit benachteiligten Personen und Gruppen. Die Besuche des Gartens Esta es Una Plaza und des Matadero-Zentrums für Kultur und Zeitgenössische Kunst waren aufgrund ihrer bedingungslosen Offenheit besonders inspirierend.
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Erasmus+-Mobilitäten: Madrid (links) und Rome (rechts) © Le Talus
In Madrid experimentierten Sie mit kollektiver Intelligenz, um über Ihre jeweiligen Besuche vor Ort und den Austausch zu berichten. Können Sie uns mehr darüber erzählen?
Um von unseren Erfahrungen und Besuchen der verschiedenen Strukturen optimal zu profitieren, beendeten wir unsere Reise mit einer Übung zur kollektiven Intelligenz, basierend auf den Regeln des Konsensprinzips. Die Idee war, sich von der Mehrheitslogik (die von Natur aus spaltend ist) zu lösen und ein konsensbasiertes Modell der Zusammenarbeit zu nutzen.
Zur Vorbereitung auf diese Übung wurden alle Reiseteilnehmenden einer Gruppe zugeteilt, deren Aufgabe es war, die täglichen Besuche zusammenzufassen und die wichtigsten Ideen und Praktiken der besuchten Einrichtungen hervorzuheben. Jede Gruppe musste eine bewährte Praxis vorstellen, die in Le Talus angewendet werden könnte. Vorgesehen war, dass die restlichen Teilnehmenden den Vorschlag (durch Änderungen aller Art) ergänzen sollte. Die bewährte Praxis sollte dadurch so modifiziert werden, dass sie die Zustimmung der gesamten Gruppe fand und in Le Talus ausprobiert werden konnte.
Wie wählten Sie die Partner für die Zusammenarbeit in Rom und Madrid aus?
Wir wählten unsere Hauptpartner anhand des Verzeichnisses der Plattformen mit einem OID-Code auf der Plattform der Europäischen Union aus. Für die anderen Besuche erarbeiteten wir gemeinsam mit unserem Hauptpartner ein Programm mit Aktivitäten, die den Bildungszielen der Reise entsprachen.
Wir würden diese europäischen Erfahrungen gerne im Rahmen von Erasmus+ wiederholen, um uns über Initiativen in Berlin, Barcelona und Kopenhagen zu informieren. Die Herausforderung besteht darin, bei allen diesen Reisen Flugreisen zu vermeiden!

© Le Talus
Das Thema der nächsten Jahreskonferenz von Erasmus+ France Education/Formation lautet: „Gemeinsam eine nachhaltige Zukunft gestalten“. Wie stellen Sie sich Le Talus im Jahr 2050 vor?
Das ist eine schwierige Frage! Ich habe dazu zwei Vorstellungen:
- Die erste ist die eines symbolträchtigen Dritter Ort in der Region Marseille, der von den Institutionen getragen wird und den ökologischen, sozialen und zivilgesellschaftlichen Übergang in Marseille vorantreibt, indem er den Menschen hilft, auf ihrer eigenen Ebene etwas zu bewirken.
- Die zweite ist die eines Dritten Orts, der von den Anwohnern selbst verwaltet wird und ein Refugium für Biodiversität und heitere Gelassenheit ist.
Weitere Fotos des Gartens finden Sie auf der Website von Le Talus
Siehe den Tätigkeitsbericht, der nach der Mobilitätsreise nach Rom erstellt wurde.

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