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Perspektiven des Erfahrungslernens in der Erwachsenenbildung

Als Erfahrungslernen wird der Prozess des Lernens anhand von Erfahrungen bezeichnet.  Definiert wird es als Lernen durch Handeln und als erfahrungsbasiertes Lernen.  Bei Erwachsenlerner*innen entfaltet es eine große Wirkung, da diese konkrete Erfahrungen machen und über diese reflektieren, indem sie neu gemachte Erfahrungen mit bereits erworbenen Kenntnissen vergleichen. Lesen Sie in diesem Blog-Beitrag über verschiedene Perspektiven auf Erwachsenenbildung und weshalb aktive Partizipation sowohl für Erwachsenenlerner*innen als auch für die Gemeinschaft nutzbringend ist!

Lesedauer ca. 6 Minuten - Lesen, Liken, Kommentieren!

Originalsprache: Englisch


Einleitung

Als Erfahrungslernen wird der Prozess des Lernens anhand von Erfahrungen bezeichnet. Definiert wird es als Lernen durch Handeln nach Dewey (1915) und als erfahrungsbasiertes Lernen nach Wolfe & Bryne (1975).

Bei Erwachsenlerner*innen entfaltet es eine große Wirkung, da diese konkrete Erfahrungen machen und über diese reflektieren, indem sie neu gemachte Erfahrungen mit bereits erworbenen Kenntnissen vergleichen. Diese Art des Lernens ist aufgrund des Dualismus von Denken und Handeln und ihres ganzheitlichen Charakters in der Managementforschung und -praxis weit verbreitet. (Corbet 2005, und Fenwick 2003).

Im Folgenden sollen unterschiedliche wissenschaftliche Ansätze des Erfahrungslernens vorgestellt werden. Zusammenfassend wird kurz diskutiert, warum das Erfahrungslernen für Erwachsene Lerner besonders positive Effekte nach sich zieht.

Der Konstruktivistische Ansatz

Eine der bekanntesten Perspektiven des Erfahrungslernens in der Erwachsenenbildung ist der Konstruktivismus. Bei diesem humanistischen Ansatz steht das Individuum im Mittelpunkt der persönlichen Sinnbildung, wobei deren Erfahrungen durch Interaktion aus mentalen Strukturen und Wissen konstruiert werden (Fenwick, 2001, S. 3, 17).

In Kolbs konstruktivistischem Modell (1984) wird Erfahrungslernen als konfliktbeladener Prozess, als Spannung betrachtet. Dabei werden Wissen und Fähigkeiten durch konkrete Erfahrungen, reflektierendes Beobachten und abstrakte Konzeptualisierung erworben. Kolbs Modell zufolge denken Lernende über künftige Kontexte nach. Allerdings führt beim Konstruktivismus nicht jede Erfahrung zu einem Lernerfolg.

Boud und Walker (1991) haben ein für Kolbs Modell relevantes Modell entwickelt, bei dem die Erfahrung eines Individuums durch konkrete Kontexte auf verschiedene Art und Weise beeinflusst wird. Hier spielen beim Lernen Emotionen, festgelegte Lernstrategien und Erfahrungen eine wesentliche Rolle. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass negative Gefühle potenzielle Lernfortschritte blockieren können und das Lernen jedes Einzelnen von seiner jeweiligen Bereitschaft beeinflusst wird.

Was den Konstruktivismus als dominierendes Konzept hinsichtlich des Erfahrungslernens angeht, so sei auf Schöns (1983) Auffassung hingewiesen, bei der die kritische Reflexion für den Wissenserwerb maßgeblich ist. Für Schön lernen Individuen dadurch, dass sie die Probleme, die sie beschäftigen, innerhalb komplexer und wertkonfliktbeladener Arbeitsumgebungen in Worte fassen.

Mezirow (1991:9) diskutierte die Bedeutung kritischer Reflexion über Erfahrungen für das transformative Lernen und Brookfield (1995) betonte ihre Bedeutung für die Erfahrungen der Lernenden mit der Begründung, dass Erwachsene ihre Wissenskonstruktionen durch Reflexion weiterentwickeln oder korrigieren.

Der Psychoanalytische Ansatz

Nach Britzman (1986, S. 55) sprechen wir das Unbewusste nicht an, sondern es spricht uns an. Nach Fenwick (2001, S. 28) definiert sich die psychoanalytische Perspektive durch die Spannung zwischen der durch Dilemmata und Wünsche bestimmten Innenwelt und der durch Kultur und Wissen geprägten Außenwelt eines Individuums.

Britzmans Theorie (1998) basiert auf der psychoanalytischen Idee der gespaltenen Subjektivität. Demnach verschließt sich das Individuum aufgrund der Konflikte zwischen dem Bewussten und Unbewussten, zwischen der inneren und äußeren sozialen Welt häufig äußeren Einflüssen, wie zum Beispiel Vorkommnissen bei der Arbeit. Durch solche Konflikte jedoch lernen Erwachsene; sie lernen, auf ihre innere Welt zu achten, wenn sie mit schwierigen Situationen umgehen. Ein potenzieller Schwachpunkt des psychoanalytischen Ansatzes ist das Fehlen des sozialen Kontexts, der wiederum bei der soziokulturellen Perspektive berücksichtigt wird.

Der Situative Ansatz

Beim situativen oder soziokulturellen Ansatz stellen soziale Beziehungen und Diskussionen den wesentlichen Aspekt des Erfahrungslernens dar (Fenwick, 2001, S. 36). Von Lave und Wenger (1991) als „legitime periphere Partizipation“ beschrieben, lernt das Individuum in der Gemeinschaft durch Interaktion. Dabei konstruiert es Wissen durch die Teilnahme an Aktivitäten, die durch Geschichte, Kulturelle Einflüsse, Erwartungen, Normen und Sprache geprägt sind. Anders als beim Konstruktivismus wird Lernen hier nicht als individueller, sondern als sozialer Prozess verstanden, der in einem bestimmten Kontext stattfindet. Im Zentrum des Lernens steht dabei die Partizipation als Prozess des Lernens.

Vorwissen und Erfahrungen sind jedoch weitere Aspekte, die analysiert werden sollten. Dieses steht in engem Zusammenhang mit der sozialen und kulturellen Perspektive, da jedes Teammitglied kulturelle, historische, politische und soziale Facetten mit an den Arbeitsplatz oder in den Unterrichtsraum bringt, die mit den Werten der anderen im Team in Einklang gebracht werden müssen. Dabei sind Team-Neulinge bereit, die in der Arbeits- oder Schulgemeinschaft bereits etablierten Regeln anzuwenden und Aspekte ihrer eigenen Werte und Überzeugungen beizusteuern. Manchmal kann es auch zur Ablehnung der im Team bereits bestehenden kulturellen Dynamik kommen.

Da eine erfolgreiche Partizipation wichtiger ist als das Lernen über die Gemeinschaft (Fenwick, 2001, S. 34), sollten Vorwissen und Fertigkeiten als Voraussetzung für die Verbesserung des Lernpotenzials wertgeschätzt werden. In einem Team kommt es gelegentlich zu unangenehmen Situationen, in denen Erwachsene dazu neigen, negative Gefühle und Spannungen zu ignorieren. Diese Spannungen sind jedoch für den Aufbau sozialer Strukturen nützlich.

Der Kulturkritische Ansatz

Laut Fenwicks Darstellung (2001) ermöglichen die Methoden kritischer Kulturstudien die Analyse komplexer Machtverhältnisse und ihrer Konsequenzen (S. 40).

Die Machtverteilung in menschlichen Kultursystemen ist der Schlüssel zum Verständnis beim Lernen. In diesem Ansatz ist Macht entscheidend für Erfahrungen und das Erfahrungslernen. In multikulturellen Unterrichtsräumen oder an multikulturellen Arbeitsplätzen finden sich Männer und Frauen verschiedenen Alters mit unterschiedlicher Vorbildung und verschiedenen Überzeugungen und Werten zusammen.

Obgleich Macht prinzipiell durch alles und jeden zirkuliert, kann nach Foucault (1980, zitiert in Brookfield, 2001) am potenziellen Arbeitsplatz oder im potenziellen Unterrichtsraum ein ungleiches Machtverhältnis herrschen – zwischen dem Vorgesetzten und den Angestellten, den Angestellten und dem Unternehmen, dem Dozenten und den Studierenden, zwischen den Studierenden untereinander und zwischen Teammitgliedern.

Die „Bewusstwerdung“ über Macht (Freire, 1970, zitiert in Fenwick, 2001) ist auf jede der genannten eindeutigen Beziehungen beschränkt. Die Möglichkeiten für weiteres Handelns und kritische Reflexion sind durch die in der Unternehmenskultur vorherrschende Hierarchie begrenzt. Hierarchisch geprägte Machtverhältnisse bieten also nur wenige Möglichkeiten für einen offenen Dialog. Zudem lassen diese Machtverhältnisse eine unterschiedliche Einbindung einzelner in die Abläufe der Hochschule oder des Unternehmens zu, welche das Lernen einschränkt.

Der Enaktivistische Ansatz

Beim enaktivistischen oder umweltorientierten Ansatz findet das Erfahrungslernen interaktiv zwischen der Umwelt und dem Lernenden statt (Fenwick, 2011, S. 47). Erkenntnisse werden durch die Partizipation an Erfahrungen erworben, wobei Umwelt und Erkenntnisse zeitgleich bestehen. In der enaktivistischen Theorie ist Lernen in Handlung eingebettet, erfolgt kontinuierlich und entsteht durch Identität, Interaktionen und die strukturelle Dynamik komplexer Systeme (Fenwick, 2001, S. 48). Die Lerngemeinschaft, die das Individuum umgibt, gehört dazu, interagiert und ist in Systeme und Subsysteme unterteilt, in denen die Lernenden Wissen konstruieren.

Schlussfolgerung

Für Erwachsenenlerner stellt das Arbeiten in einem internationalen Umfeld oder das Lernen in multikulturell vielfältigen Unterrichtsräumen eine Herausforderung dar, was die Verbesserung von Kompetenzen nach sich zieht: so zum Beispiel die Wertschätzung von Diversität, die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Perspektiven, die Fähigkeit zur kritischen Reflexion und Aufgeschlossenheit. Durch eine solche Erfahrung öffnen sich neue Lernhorizonte für Erwachsenenlerner.

Die aktive Partizipation erwachsener Lernender am Erfahrungslernen – als Studierende oder Angestellte – ist sowohl für die Lernenden als auch für die Gemeinschaft nutzbringend.

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Sofia Bakirli.
Über die Autorin: Sofia Bakirli hat Pädagogik, Psychologie, Personalmanagement und Erwachsenenbildung  in Thessaloniki, Rom, und Linköping studiert. Bevor sie unserer Gemeinschaft beitrat, arbeitete sie für das griechischen Bildungsministerium, die Aristoteles-Universität, den Regierungsbezirk Darmstadt, das Europäische Patentamt sowie die Europäische Business School in München. Sie war Mitglied der European Society for Research on the Education of Adults (ESREA) sowie der Society for Human Resource Management (SHRM). Ihr Forschungsinteresse gilt internationalen wirtschaftspolitischen Analysen sozialer Inklusion, Migrantenintegration in Gastländern, vielfältigen Arbeitnehmerschaften in multikulturellen Arbeitsplätzen und weltweiter Mitarbeiterentwicklung.
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Literaturhinweise

Boud, D. & Walker, D. (1991). Experience and learning: reflection at work. Deakin University. Deakin University Press, Geelong, Victoria.

Britzman, D. (1986). Cultural Myths in the Making of a Teacher: Biography and Social Structure. In Teacher Education. Harvard Educational Review: Dezember 1986, Band 56(4), S. 442-457. Unter: https://doi.org/10.17763/haer.56.4.mv28227614l44u66

Britzman, D. (1998). Lost Subjects, Contested Objects: Toward a Psychoanalytic Inquiry of Learning. Albany, NY: State University of New York Press.

Brookfield, S. (1995). What it Means to be a Critically Reflective Teacher. In Becoming a Critically Reflective Teacher. Josey-Bass, S. 1-27. Unter: https://www.itslearning.com/main.aspx?CourseID=4841

Brookfield, S. (2001). Unmasking power: Foucault and adult learning. Canadian Journal for the Study of Adult Education, Band 15 (1), S. 1-23.

Corbett, A.C. (2005). Experiential learning within the process of opportunity identification and exploitation. Entrepreneurship Theory and Practice, Band 29 (4), S. 473–91.

Dewey, J. & Dewey, E. (1915). School of tomorrow. In J.A. Boydston (Hg.). John Dewey: The middle works (1899-1924), Band 8, S. 205-404. Carbondale Southern Illinois Press.

Fenwick, T. J. (2001). Experiential learning: A theoretical critique from five perspectives. Information series no. 385. Ohio State University: ERIC Clearinghouse on Adult, Career, and Vocational Education, Center on Education and Training for Employment.

Fenwick, T. (2003). Learning Through Experience: Troubling Assumptions and Expanding Questions. Malabar, Florida: Krieger.

Freire, P. (1970). Pedagogy of the oppressed. Übers. von Myra Bergman Tramos. New York: Seabury Press. New York: Continuum.

Lave, J. & Wenger, E. (1991). Legitimate Peripheral Participation in Communities of Practice Situated Learning: Legitimate Peripheral Participation. Cambridge: Cambridge University Press.

Mezirow, J. (1991). Transformative Dimensions of Adult Learning. San Francisco: Jossey-Bass.

Kolb, D. (1984). Experiential learning. Englewood Cliffs, NJ: Prentice Hall.

Schön, D. (1983). The reflective practitioner. San Francisco: Jossey-Bass.

Wolfe, D. E. and Byrne, E.T. (1975). Research on Experiential Learning: Enhancing the Process. Business Games and Experiential Learning in Action, Band 2. Unter:http://citeseerx.ist.psu.edu/viewdoc/download?doi=10.1.1.454.3484&rep=rep1&type=pdf

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Kommentar

I think it’s a recipe for success. While it might seem that teaching adults should be easier than teaching children, the fact is, it requires a much different approach. The experience requires participants to solve a problem or achieve a common goal by using newly learned skills and behaviours. this experiential learning theory suggests that adults learn best when textbooks and memorization are removed from the equation and replaced with experiences, which I would say it works for students also. Interesting thing is this “aha moments”. Everybody in classroom has experienced an “aha” moment, but not everybody knows that these sudden revelations are a result of the theory of transformational learning. This adult learning theory proposes that learning occurs when new meaning is conferred on a previous experience or when old understandings are transformed to have new meanings. The first thing is that you realize that previous knowledge was misunderstood. Identifying the personal relevance and what will be gained from the new learnings and critical thinking that allows learners to come to their own conclusions. Pretty logical. Thank you for the article!
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