Konduktive Förderung: ein Rehabilitationskonzept für Erwachsene

Dr. Melanie R. Brown, Direktorin & Senior Conductor der Conductive Rehabilitation Services am National Institute of Conductive Education in Birmingham, Vereinigtes Königreich, erläutert, was unter „konduktiver Förderung“ zu verstehen ist und wie sie Erwachsenen mit zerebralen Bewegungsstörungen helfen kann.
Konduktive Förderung
Das Konzept der „Konduktiven Förderung“ (CE) geht auf den ungarischen Arzt András Pető zurück. Dr. Pető hat seine Therapie nach dem Zweiten Weltkrieg in der ungarischen Hauptstadt Budapest entwickelt, als er mit Kindern und Erwachsenen mit neurologischen Bewegungsstörungen arbeitete. Im Vereinigten Königreich begann die Medizin sich in den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts für diese Behandlungsmethode zu interessieren, und nach der Veröffentlichung einer Dokumentation über das Thema in der BBC mit dem Titel Standing Up for Joe in den 80er Jahren wuchs das Interesse rasant. Diese Dokumentation konzentrierte sich auf Kinder mit Zerebralparese. 1984 schickte die Parkinson’s Disease Society des Vereinigten Königreichs eine Arbeitsgruppe in das Pető-Institut, um die Arbeit mit Erwachsenen zu beobachten, die an Parkinson erkrankt waren. Daraus entstand die Idee, im Vereinigten Königeich ein Zentrum für konduktive Förderung für Erwachsene in Birmingham zu errichten. 1990 nahm das Zentrum seine Arbeit auf.
Wer kann von dieser Behandlungsmethode profitieren?
Konduktive Förderung ist ein Konzept für Rehabilitation für Erwachsene und Kinder, die an zerebralen Bewegungsstörungen leiden. Die Ursache für Bewegungsstörungen sind Schäden am Zentralnervensystem, die zur Folge haben, dass die Betroffenen ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren können. Jeder, der unter Bewegungsstörungen leidet, kann also von konduktiver Förderung profitieren. Zum Beispiel Menschen mit:
- lebenslanger Zerebralparese
- Parkinson-Erkrankung und Parkinsonismus
- multipler Sklerose und Demyelinosierung
- Schlaganfall
- Ataxie.
Ein medizinischer Ansatz oder ein Bildungsansatz?

Quelle: conductive-education.org.uk
Die Arbeit von Dr. Pető war revolutionär. Er kombinierte Methoden aus dem Bereich Bildung mit medizinischen Methoden. Daraus entstand ein ganzheitliches System der Rehabilitation für Erwachsene, das das bisherige rein medizinische Modell ersetzte. Ein medizinisches Modell konzentriert sich auf den Verlauf der Erkrankung, untersucht das Ausmaß der Schäden am zentralen Nervensystem und zieht mögliche Behandlungen in Betracht. Dieser Vorgehensweise liegt häufig die Annahme zugrunde, dass der aktuelle Verlauf der Erkrankung weitgehend durch die Schäden am zentralen Nervensystem verursacht wird. Neurologisch stimmt das zwar, aber die konduktive Förderung geht davon aus, dass die Auswirkungen der Symptome abgemildert werden können, und zwar dadurch, dass der Patient lernt, wie er die Kontrolle über seinen Körper zurückgewinnen und Bewegungen ausführen kann, die durch die Erkrankung beeinträchtigt wurden. Zu diesem Zweck wird eine breite Palette von Lehr- und Lerngrundsätzen eingesetzt, mit dem Ziel, neue Verbindungen im Gehirn zu schaffen. Die Vorstellung von der Plastizität des Gehirns und von der Verbindung mit einer potenziellen Verbesserung wird erst in den letzten zehn Jahren von der Medizin anerkannt.
Diese Information allein reicht jedoch nicht aus. Im Rahmen des medizinischen Modells werden Personen mit neurologischen Erkrankungen als „Patienten“ angesehen. Das lässt vermuten, dass es sich um passive, kranke Menschen handelt, von denen man nicht erwarten kann, dass sie wieder die Kontrolle über ihr Leben übernehmen können. In der konduktiven Förderung werden die Menschen dagegen als „Lernende“ betrachtet, als Menschen, die Fähigkeiten und Techniken erlernen können, die vorher automatisch ausgeführt wurden. Dies verändert den Ansatz in Richtung auf Rehabilitation: weg vom medizinischen Modell und hin zu einem Bildungsmodell. Einem Modell, das überlegt, wie die Menschen lernen können und nicht, was sie lernen sollten.

Quelle: conductive-education.org.uk
Ein medizinisches Modell geht davon aus, dass der Patient lernen will. Dabei wird nur wenig Wert gelegt auf Methoden, wie dieses „wollen“ aussieht. Fehlende Motivation, Depressionen und Verlust des Selbstvertrauens und der Selbstachtung sind ebenfalls häufige Folgen neurologischer Erkrankungen. Wenn wir bedenken, dass das Gesamtziel jeder Rehabilitation die Verbesserung der Lebensqualität ist, müssen wir den Einzelnen als Lernenden ansehen und parallel mit den psychologischen und physiologischen Auswirkungen auf den Alltag arbeiten. Heute wird allgemein anerkannt, dass die Lebensqualität nicht allein von der Schwere der Behinderung abhängt, sondern auch vom psychologischen Wohlergehen.
Aus diesem Grund werden bei der konduktiven Förderung medizinisches Wissen und Bildungsmethoden kombiniert, mit dem Ziel, die betreffende Person in die Lage zu versetzen, zu lernen, WIE sie die Kontrolle über ihre Bewegungen zurückgewinnen kann. Dies wiederum verbessert das Selbstvertrauen, hebt die Selbstachtung und hilft dabei, Kompetenzen zu erwerben, die dabei helfen, Probleme im Alltag zu überwinden.
Gestaltung einer Sitzung
Für Erwachsene dauert eine Sitzung in der Regel zwischen 1,5 und 2 Stunden. Die betroffenen Personen arbeiten in kleinen Gruppen mit Menschen, die an derselben Erkrankung leiden. Gruppenarbeit wird als wesentlicher Teil der Philosophie der konduktiven Förderung angesehen, da sie den Teilnehmern die Möglichkeit bietet, Lösungen für Probleme auszutauschen. Sie bietet auch das Medium für eine positive Lernumgebung. Der Therapeut bemüht sich, sicherzustellen, dass alle Mitglieder der Gruppe ein Erfolgserlebnis haben, sich Herausforderungen stellen und neue Fähigkeiten im Rahmen einer Umgebung erlernen, die Anstrengungen belohnt und nicht nur Ergebnisse honoriert.
Während der Sitzung wird die Gruppe bewegungsgestützte Übungen ausführen, und zwar im Liegen, Sitzen und im Stehen. Die Aufgaben sind so gestaltet, dass alle Bewegungen des Körpers vorkommen und dass spezielle Elemente eingeschlossen sind. So enthalten sie zum Beispiel für Parkinson-Kranke Übungen im Schreiben und zur Kontrolle des Gesichtsausdrucks; für Menschen mit multipler Sklerose geht es um Atemübungen, die bei der Entleerung der Blase helfen sollen, aber auch Augenübungen.
Die Aufgaben

Quelle: conductive-education.org.uk
Die Aufgaben werden als Bewegungen angesehen, die erlernt werden müssen. Der Therapeut hilft den Teilnehmern, zu lernen, wie sie die Bewegung korrigieren können. Seine Aufgabe ist, die Teilnehmer zu einer Lösung zu führen und nicht die Aufgaben für sie durchzuführen. Dies bedeutet, dass der Therapeut den Teilnehmer nur sehr vorsichtig unterstützen darf, denn dieser muss einen Teil des Lernprozesses fühlen. Bei der konduktiven Förderung geht es um einen Lernprozess, der vom Therapeuten und der Person mit der Erkrankung gemeinsam absolviert werden muss. Ausgangspunkt ist, was der Teilnehmer und der Therapeut zusammen erreichen können, z. B. aufstehen. Schritt für Schritt wird der Therapeut dann dem Teilnehmer helfen, die betreffende Fähigkeit zu erlernen und ihm helfen, zu lernen, wie er ohne Hilfe aufstehen kann. Wie bei jeder Ausbildung muss der Therapeut das Vertrauen der Person bewahren. Die Übertragung von Fähigkeiten sollte ein positiver Prozess sein, kein Prozess des Scheiterns, sondern des Erfolgs. Worauf es dabei ankommt, ist jedoch die Übertragung von Fähigkeiten. Jeder Teilnehmer muss Erfolge erleben und Fortschritte feststellen, sonst verliert er rasch die Motivation und fühlt, dass er keine Fortschritte machen kann.
Der Therapeut setzt vor allem auf Lehrmethoden, um Erfolg zu erzielen. Die Aufgaben lassen sich individuell anpassen, die Hilfe wird so abgeändert, wie es notwendig ist, und bei den Übungen wird stärker auf die Fähigkeiten gesetzt, über die eine Person verfügt, als auf die Fähigkeiten, die der Betreffende verloren hat.
Der Einsatz von Rhythmus
Die konduktive Förderung kombiniert Sprache, Gedanken und Bewegung. In der Praxis funktioniert das so, dass der Therapeut sagt, welche Übung ausgeführt werden soll, also „ich hebe meinen rechten Arm“. Die Gruppe wiederholt diesen Satz und führt dann die Bewegung aus. Dabei zählt sie bis fünf. Dabei kann der Therapeut den Teilnehmern helfen, sich auf die Bewegung zu konzentrieren, die er gerade ausführt und eine optimale Zeitskala bieten, in der der Patient die Übung ausführen soll. Dabei kann er dem Teilnehmer zeigen, wie er die Symptome überwinden und die Bewegung erfolgreicher durchführen kann. Der Einsatz von Sprache hilft den Teilnehmern, die Bewegung zu verinnerlichen und dies auch außerhalb der Sitzung zu wiederholen. Zum Beispiel werden die Teilnehmer die Bewegung zu Hause häufig wiederholen und sie innerhalb der Zeitspanne ausführen, die sie in der Therapie gelernt haben. Es ist sehr wichtig, dass Pfleger und Familienangehörige in diese Methoden eingebunden werden, um die Anwendung von Fähigkeiten in allen Aspekten des Alltags umzusetzen.
Dr. Melanie R Brown ist CEO & Senior Conductor beim National Institute of Conductive Education, Birmingham, Vereinigtes Königreich.