Inklusion? Gilt das auch für die Erwachsenenbildung?

Lesedauer ca. 6 Minuten - Lesen, Liken, Kommentieren!

Dies haben alle Staaten der Europäischen Union unterzeichnet. Bemerkenswert an diesem Kapitel ist, dass die Erwachsenenbildung ausdrücklich erwähnt wird, was sonst in Dokumenten dieser Art nicht unbedingt der Fall ist.
Teilhabe ermöglichen
Die Konvention definiert Menschen mit Behinderung als Personen mit langfristigen körperlichen, geistigen, geistigen oder sensorischen Beeinträchtigungen, die ihre Teilhabe an der Gesellschaft aufgrund der Einschränkungen als beeinträchtigt sehen. Die WHO (2015) rechnet zusätzlich diejenigen hinzu, die aufgrund von Erkrankungen, Verletzungen, Alter u.ä., Funktionsstörungen haben.
Nach der UN-BRK bedeutet Inklusion Teilhabe innerhalb des „normalen“ Bildungsangebots. Inklusion bedeutet nicht, Angebote nur für Menschen mit Behinderung zu machen und erst recht nicht, lediglich mit einer Rampe und ähnlichen Baumaßnahmen für Barrierefreiheit zu sorgen.
Erhebliche Veränderung nicht-inklusiver Bildungspraxis
Idealerweise sollte Inklusion so aussehen: Alle Angebote einer Volkshochschule, eines Bildungswerks, eines Weiterbildungsinstituts sind auch für Menschen mit jeder Art von Einschränkungen und Behinderungen konzipiert, und zwar von der Programmplanung bis zur Durchführung. Wer aber plant einen Excelkurs so, dass damit auch Menschen mit Behinderung so angesprochen werden, dass diese dann auch wirklich kommen und gerne mit Gewinn teilnehmen – und am Ende der Anbieter davon auch noch auf seine Kosten kommt?
Aus diesem Beispiel sieht man sofort: Inklusion im Sinne der UN-BRK zu realisieren, bedeutet eine erhebliche Veränderung etablierter nicht-inklusiver Bildungspraxis.
Netzwerke mit Partnern aus der Behindertenarbeit
Es gibt in Deutschland durchaus engagierte Initiativen, die inklusive Projekte und Angebote in der Erwachsenenbildung auf die Beine gestellt haben. So gibt es zum Beispiel in Hamburg das „Netzwerk inklusive Erwachsenenbildung“. Dort haben sich ganz unterschiedliche Träger der Erwachsenenbildung, der Eingliederungshilfe und der Selbsthilfeverbände für Menschen mit Behinderungen zusammengeschlossen. Das Netzwerk bietet entsprechende Fortbildung für Kursleitende an (www.hamburg.de/skbm/12127984/netzwerk-inklusive-erwachsenenbildung-nieb). Die VHS Hamburg hat eine eigene Kategorie im Angebot „Kurse für Menschen mit und ohne Behinderung, dort sind einige Workshops vornehmlich aus dem kreativen Bereich und Yogakurse (für krebskranke Frauen) aufgeführt.
Die VHS und die Lebenshilfe Bamberg haben ab 2013 begonnen, inklusive Kurse, in denen Menschen mit Lernbehinderung teilnehmen können, zu realisieren. Es wurde ein VHS-Rat für Menschen mit Behinderung geschaffen, entsprechende Kurse konzipiert und vor allem die Grenzen zwischen den Institutionen der Erwachsenenbildung und Behindertenhilfe, die bis dato jeweils Angebote für ihr eigenes Klientel „exklusiv“ geplant und durchgeführt haben, durchbrochen. Rund 100 Menschen mit Behinderung pro Jahr nutzen die inklusiven Angebote. Diese Erfahrungen wurden in einer Broschüre festgehalten, die viele Anregungen zur Nachahmung enthält (Michael Hemm, Lebenshilfe Bamberg: So gelingt inklusive Erwachsenenbildung. Der Bamberger Weg zu einer inklusiven Volkshochschule – ein Praxisleitfaden, Verlag der Bundesvereinigung Lebenshilfe 2018, 19,50 Euro, https://www.lebenshilfe.de/shop/artikel/so-gelingt-inklusive-erwachsenenbildung/).
Auch andere Volkshochschulen sind in dem Feld aktiv. Die VHS Stuttgart verfügt z.B. über ein eigenes inklusives Programmheft, und die VHS Göppingen hat ähnlich wie in Bamberg eine Kooperation mit der dortigen Lebenshilfe aufgebaut. Den entsprechenden Programmflyer gibt es in Leichter Sprache („Für erwachsene Menschen gibt es interessante Freizeit-Programme. Zum Beispiel: Ein Computer-Kurs bei der Volks-Hochschule. Oder ein Yoga-Kurs im Haus der Familie.“)
Auf Bundesebene ist die „Gesellschaft Erwachsenenbildung und Behinderung e.V.“ (Hochschule Merseburg, www.geseb.de) aktiv. Sie bieten Konferenzen, eine Zeitschrift zum Thema sowie konkrete Tipps und Hilfen zur Umsetzung inklusiver Erwachsenenbildung an. Auch der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. nimmt sich dem Thema an und veranstaltet am 3. Mai 2021 einen Projekttag dazu (https://bvkm.de/veranstaltung/projekttag-erwachsenenbildung-fuer-menschen-mit-und-ohne-behinderung).
Europäische Aktivitäten
Schaut man in andere europäische Länder, so fällt Österreich mit der Organisation biv integrativ (Wien) ins Auge, die nicht nur schon lange inklusive Kurse realisiert, sondern auch österreichweit politisch und beratend aktiv ist. Besonders erwähnenswert ist ein aktueller Ratgeber zur barrierefreien Bildungsarbeit von biv (https://erwachsenenbildung.at/themen/barrierefreie-eb/).
Auch bei den EU-Projekten in Rahmen von Erasmus gibt es immer wieder gute Ansätze, so etwa das Projekt AMEA (www. http://aemanet.eu), das Indikatoren für barrierefreie Erwachsenenbildung sowie eine Methode entwickelt hat, diese selbst zu überprüfen. Bei dem Projekt hat wesentlich die europäische Dachorganisation für Erwachsenenbildung EAEA mitgewirkt. Daran zeigt sich, die gesamteuropäische Dimension dieses Themas. Immerhin leben in Europa rund 80 Millionen Menschen mit Behinderung. Wie viele davon an Erwachsenenbildung teilnehmen, ist, wie der aktuelle vierte „Global Report on Adult Learning and Education“ (GRALE IV 2019) beschreibt, mangels Daten kaum bekannt. Ein jetzt gerade genehmigtes Erasmus+-Projekt „All inclusive - Erwachsenenbildung und Inklusion: neue kooperative Ansätze“ wird an fünf Modellstandorten in Europa versuchen, inklusive Erwachsenenbildung zu realisieren und entsprechende Lernmaterialien und Empfehlungen entwickeln. Beteiligt daran sind wieder u.a. die EAEA, biv sowie die Katholische Erwachsenenbildung Deutschland. Die Koordination hat die Akademie Klausenhof.
Auch wenn es Mühe macht
Betrachtet man die bisherigen Initiativen und Projekte, so lassen sich einige Muster erkennen:
- Ein guter Weg ist es, wenn die Institutionen der Erwachsenenbildung und Behindertenhilfe vor Ort kooperieren und gemeinsam Wege für inklusive Kurse suchen.
- Barrierefreiheit ist Voraussetzung auf dem Weg zu Inklusion, aber längst nicht alles. Einrichtungen der Erwachsenenbildung sollten grundsätzlich nach dem Prinzip der Inklusion die Zielgruppe auf alle Menschen, auch auf diejenigen mit Behinderungen und Einschränkungen, ausweiten. Erreiche ich mit meinen – öffentlich geförderten Kursen – auch z.B. Hörgeschädigte? Können die Excel-Kurse wirklich alle besuchen?
- Die Weiterbildungsförderung ist nicht auf Sonderausgaben für Menschen mit besonderen Bedürfnissen ausgerichtet. Einrichtungen der Erwachsenenbildung agieren jetzt schon am wirtschaftlichen Limit. Hier müsste die Regelförderung etwa über die Weiterbildungsgesetze entsprechend angepasst werden.
- Ein wichtiger Punkt ist die Kommunikation und Didaktik. Inklusive Kurse zu konzipieren und durchzuführen ist eine eigene Herausforderung. Hierzu ist gründliche Aus- und Weiterbildung nötig.
- Menschen mit Behinderung sind sehr vielfältig und individuell. Sie haben ebenso wie alle anderen Menschen Spaß am Lernen und ein Recht auf adäquate Erwachsenenbildung. Auch wenn es manchmal Mühe macht.
Weitere Literatur:
Ulla Raike: Adressat*innenansprache in inklusiven Kursen der allgemeinen Erwachsenenbildung am Beispiel des ERW-IN-Programms an den Berliner Volkshochschulen – Eine Programmanalyse. Masterarbeit Humboldt-Universität zu Berlin 2019, https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/21501/EPR%20Band%2064_Ulla%20Raike.pdf?sequence=4&isAllowed=y
Hessische Blätter für Volksbildung 01/2019: Themenheft Inklusive Erwachsenenbildung, https://www.wbv.de/journals/zeitschriften/hessische-blaetter-fuer-volksbildung/artikel/shop/detail/name/_/0/1/HBV1901WI/facet/HBV1901WI///////nb/0/category/736.html
Menschen - Inklusiv leben 2/2019: Lebenslanges Lernen, Magazin der Aktion Mensch, https://www.aktion-mensch.de/inklusion/bildung/bestellservice/materialsuche/detail?id=111
Siehe auch die Blogs und Ressourcen auf Epale:
Autismus & VR: Wenn der Alltag die besondere Herausforderung ist
Teilhabe an Bildung für und mit Menschen mit Behinderung – Ehrenamtler machten sich stark
Herausforderung Leichte Sprache: Erwachsenen-Bildung auch für Lese-Schwache?