Die Aufnahme von Senioren in das System des lebenslangen Lernens

Durch die steigende Lebenserwartung und die Erhöhung des Anteils von Senioren in der Gesellschaft ist die Alterung der Bevölkerung zu einer der größten Herausforderungen in Lettland geworden. Laut Angaben des Lettischen Statistikamtes war der Anteil von älteren Leuten (65+) Ende des vorigen Jahrhunderts nicht höher als 15%, 2019 betrug diese Zahl bereits 20 %. In diesem Zusammenhang ist Lettland keine Ausnahme, denn auch in der Europäischen Union beträgt der durchschnittliche Anteil von Menschen im Alter von 65+ ca. 20% der Bevölkerung. In Osteuropa und in den ehemaligen Sowjetrepubliken wird die zunehmende Alterung der Bevölkerung durch die Arbeitsmigration und durch andere Gründe beschleunigt. In Lettland erfolgt die Alterung der Bevölkerung territorial unregelmäßig, besonders sind einzelne Regionen- Lettgallen und Vidzeme-, sowie einzelne Städte davon betroffen. Die demographischen Prognosen zeigen, dass die lettische Gesellschaft nie mehr so jung sein wird wie früher, in den nächsten Jahrzehnten wird die Alterung der Bevölkerung weiter zunehmen, und der Anteil älterer Menschen wird rasant steigen.
Die Alterung der Bevölkerung ist ein langwieriger und unumkehrbarer Prozess, den man nicht aufhalten kann, jedoch kann man versuchen, dessen negative Folgen zu mindern. Dank dieser Feststellung kann der Begriff des Alterns neu bewertet und die Denkweise darüber geändert werden.
Das in den vorigen Jahren entstandene Stereotyp über das Alter als „Verbringen der letzten Jahre des Lebens” ist aus heutiger Sicht ungültig geworden, stattdessen sollte ein neues Bild vom Alter als eine aktive, vielseitige und sinnvolle Lebensphase entwickelt werden.
Die durchschnittliche Altersrente in Lettland gehört zu den niedrigsten in der Europäischen Union. Falls jedoch das Ruhegehalt höher wäre und den reellen Marktpreisen entsprechen würde, wäre das materielle Wohlbefinden nicht die einzige Frage, worüber sich die Senioren Sorgen machen. In den Massenmedien werden immer wieder Berichte zum Thema “Der arme Rentner und seine ungedeckten Bedürfnisse“ veröffentlicht, sie schaffen ständige Unzufriedenheit in der älteren Bevölkerung, in deren Umgebung und mit den Lebensumständen insgesamt. Für die wirtschaftlich aktiven Menschen werden die Älteren ununterbrochen als Bittsteller dargestellt. Dies führt zur Deformierung der moralischen Werte und schafft die Illusion, dass Trauer, Einsamkeit und Verlust des Lebenssinns im Alter kein Leid zufügen. Die sozialen Probleme, die die Alterung der Bevölkerung mit sich bringt, sollten nicht nur durch die Erhöhung der Finanzierung und langfristige Zugänglichkeit der medizinischen und sozialen Hilfe gelöst werden.
Zu den wichtigsten Wohlstandsbedingungen für ältere Menschen gehören regelmäßige soziale Kontakte.
Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Senioren mehr als Vertreter anderer Altersgruppen den Risikofaktoren soziale Isolierung, Einsamkeit, Depression und Krankheiten, die im Zusammenhang mit einer Störung des zentralen Nervensystems auftreten, ausgesetzt werden. Diejenigen, die gesellschaftlich aktiv sind und sich mit anderen Menschen treffen, fühlen sich besser und sind mit ihrer Lebensqualität zufriedener. Und umgekehrt: Senioren, denen es an sozialen Kontakten fehlt, fühlen sich meistens einsam und leiden unter sozialer Isolation. Für ältere Menschen sind neue Eindrücke- Geschmack, Düfte, Bewegung und Emotionen- nicht weniger wichtig als für die Jugendlichen. Dies nicht aus Langeweile, sondern, um einen guten körperlichen und psychischen gesundheitlichen Zustand zu erhalten. Aus dem Grund ist es wichtig, die Prinzipien einer aktiven Alterung auszuweiten, die Möglichkeiten des lebenslangen Lernens anzubieten und die Senioren in sämtliche Lebensbereiche einzubinden.
Ein Teil der älteren Menschen weiß nicht, wo man Hilfe oder Beratung bekommen kann. Sie kennen sich schlecht in rechtlichen Angelegenheiten, Gesetzen und Verordnungen aus. Darüber hinaus fühlen sich viele Senioren im Umgang mit Beamten unsicher und haben Angst, ihre Interessen zu vertreten, weil sie in der Zeit des Autoritarismus aufgewachsen sind, demzufolge zu den wichtigsten Eigenschaften eines Menschen Gewissenhaftigkeit und Gehorsam gehörten. Die Mehrheit der Menschen im Alter von 65+ ist alleinstehend oder verwitwet. Die meisten von ihnen sind Frauen, denn ihre durchschnittliche Lebenserwartung ist erheblich höher als die der Männer (in Lettland beträgt der Unterschied 10 Jahre). Nach dem Verlust des Ehepartners und der Freunde fühlen sie sich einsam und überflüssig, viele sind psychischer und sogar körperlicher Gewalttätigkeit ausgesetzt. Darüber hinaus werden viele mit der Altersdiskriminierung (engl. ageism) konfrontiert, die sich in der Öffentlichkeit als verbreitete negative Stereotypen über ältere Menschen offenbart.
Die Folgen der Alterung der Bevölkerung kommen in mehreren Bereichen zum Ausdruck. Wegen der Abnahme der Anzahl der Menschen im Erwerbsalter sinken die Steuereinnahmen, und dies führt zu Schwierigkeiten in dem Teil des sozialen Haushalts, der für die Sicherung der sozialen Garantien verwendet wird. Dies bedroht das Niveau der Lebensqualität aller Altersgruppen. Das Wirtschaftswachstum nimmt ab, die Struktur des Arbeitsmarktes ändert sich und es entsteht ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften. Der Konsum nimmt zwangsläufig ab, die Ersparnisse gehen zurück. Der wachsende Anteil älterer Menschen in der Bevölkerung verursacht langfristig immer höhere Ausgaben für die medizinische Fürsorge. Es gibt auch wesentliche politische Folgen, wie die Erfahrung der bereits “veralteten” Länder, beispielsweise Japan, wo die Politiker von der stärksten sozialen Gruppe- den Senioren- direkt abhängig sind, zeigt. Die Senioren sind sehr einflussreich, weil die ältere Generation traditionell aktiver an den Wahlen teilnimmt als die junge Generation. Viele politische und wirtschaftliche Entscheidungen werden gerade im Interesse der Senioren getroffen.
Lebenslanges Lernen für die Senioren
Eine der üblichen Praktiken zur Reduzierung der negativen Folgen der Alterung der Bevölkerung ist das lebenslange Lernen (lifelong learning) für Senioren. Der Mythos, dass der Mensch mit dem Alter die Fähigkeit verliert, sich neue Kenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, wurde völlig widerlegt, es wird schon lange über kontinuierliche lebenslange Ausbildung gesprochen. In einigen Fällen ist die Teilnahme an den Programmen des lebenslangen Lernens mit dem Wunsch verbunden, die Karriere fortzusetzen, jedoch entstehen in mehreren Ländern in der letzten Zeit auch spezielle Bildungseinrichtungen für Senioren, die nicht vorhaben, künftig zu arbeiten.
Seniorenuniversitäten / Universitäten des dritten Lebensalters (engl. The University of the Third Age - U3A) sind eine weit entwickelte internationale Bewegung, die in ihrem Tätigkeitsfeld vielseitige Ausbildungsarten und Formen der Arbeitsorganisation anbieten. Insgesamt sind die Ziele von U3A (die Einbeziehung von Senioren ins soziale Leben, Stärkung der Gesundheit, Prophylaxe der Isolierung und Einsamkeit) und die Programme ähnlich, jedoch haben diese Einrichtungen in verschiedenen Ländern unterschiedliche Bezeichnungen: offene Universität, Universität für die Freizeit, Volksschule, generationsübergreifende Universität, Universität für jedes Alter und andere. Trotz der Unterschiede zwischen den einzelnen U3A-Modellen benutzen die Senioren aktiv die Möglichkeit zu lernen, sich nützliche Fertigkeiten und Kompetenzen anzueignen, um in der Entwicklung nicht stehen zu bleiben. Eins der wichtigsten Ergebnisse ist dabei die systematische Arbeitsbelastung für das Gehirn mit dem Ziel, neurodegenerative Störungen (Alzheimer, Parkinson und andere.) abzuwenden oder mindestens hinauszuzögern. Meistens werden den Senioren Lehrgänge wie Computerlehre, Rechts- und Finanzwissen, Grundlagen gesunder Ernährung, Grundkenntnisse in Englisch oder in einer anderen Fremdsprache, Tanzen, Chorsingen, Handarbeiten und andere angeboten. Mit der Erhöhung des Bildungsniveaus von älteren Menschen verbessern sich ihre Kenntnisse im Bereich der vom Staat und von den Banken angebotenen elektronischen Dienstleistungen, sie nehmen aktiv an der Freiwilligenarbeit teil, und es gibt weitere positive Veränderungen mit einer Vielzahl von sozialen Folgen.
In Lettland werden die Senioren vorläufig nicht ins System des lebenslangen Lernens aufgenommen, die ersten Kurse werden jedoch jetzt in Riga und Daugavpils angeboten. Als ein U3A-Analog wurde in Kraslava 2015 eine “Seniorenschule” eröffnet (mehr dazu im Facebook unter Senioru skola/Школа сениоров), die einmal wöchentlich in der Zentralbibliothek des Kreises Unterrichte anbietet. An jedem Treffen nehmen etwa 30 Senioren teil, um ihre Zeit nützlich zu verbringen und etwas Neues zu lernen. Ähnliche Seniorenschulen gibt es in zwei weiteren Städten- in Kuldiga und Aglona. Die Mehrheit der älteren Menschen besucht die Kurse und Lehrgänge aus Wissensdurst und um andere Leute zu treffen, Zertifikate oder Diplome sind für sie nebensächlich.
Die Erfahrung derartiger Lernzentren zeigt, dass eine aktive Lebensweise im Alter die Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Gleichgesinnten spüren lässt und hilft, die Aufmerksamkeit von schlechtem Wohlbefinden, traurigen Gedanken und Ängsten abzulenken. Wenn die Menschen regelmäßige und interessante Beschäftigungen haben, sind sie weniger von Depressionen bedroht, sie werden seltener krank und suchen weniger medizinische Hilfe, sie orientieren sich besser in gesellschaftlichen Prozessen und spüren größere Freude am Leben.
Die lettische Bevölkerung beginnt erst jetzt, sich an die neue demographische Situation zu gewöhnen und über die Perspektiven für die nächsten Jahre und für die weitere Zukunft nachzudenken. Zur gleichen Zeit werden sich die Senioren immer mehr ihrer ungenutzten Möglichkeiten bewusst, sie möchten nach dem Erreichen des Rentenalters noch lange ein sinnvolles Leben führen.
Tatjana Azamatova, Gründerin des Verbandes Agentur für soziale Entwicklung “Fünf Ruder”.
Der Verband organisiert und implementiert Kurse informeller Bildung für Menschen im Rentenalter in der “Seniorenschule” in Kraslava. Die Autorin hat einen Bakkalaureus-Grad in Soziologie und einen Magistergrad in der Managementwissenschaft.
Kommentar
Väärikate ülikool
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Datorprasmes senioriem
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The University for Senior Citizens in Estonia
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Lieliski! Zinām, ka arī citās
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Thanks for the comment! I am
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Eakad õppijad on normaalsus