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EPALE - Elektronische Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

Blog

Computer, Kunst, Corona und ich

Ein europäisches Projekt lässt Menschen ihre persönlichen Corona-Geschichten erzählen. Und nebenbei lernen sie den Umgang mit dem Computer.

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Michaela ist eigentlich Hausfrau und Mutter. Doch während der Pandemie kam unerwartet eine neue Aufgabe hinzu: IT-Expertin. Ihre Kinder mussten zuhause mit Online-Homeschooling versorgt werden. Für viele Aktivitäten, die sonst ganz bequem bei ihren Nachbarn im Dorf in Deutschland ablaufen könnten, waren plötzlich ein geeignetes Endgerät, aktuelle Software und gute Internetverbindungen nötig – und ihr Know-how in diesen Dingen. Das hatte sie aber nicht, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als ihre Kinder zu fragen, die immer gerne diese Rolle übernahmen.

Vor allem ältere Frauen werden digital abgehängt

Eine typisches, auch statistisch nachgewiesenes Phänomen. Gerade Frauen ab dem mittleren Lebensalter tun sich schwer mit der digitalen Revolution. In Deutschland zählen 18 % zu den Menschen, die wenig oder gar kein Computer und Internet nutzen Initiative. Sie leben häufig in ländlichen Region, haben einen niedrigen Bildungsstand und sind mindesten 60 Jahre alt. 14 % Der Bevölkerung zählt sogar zu den Offlinern, die gar keine digitalen Medien besitzen und nutzen. Die Mehrheit aus dieser Gruppe sind über 70 Jahre alt, weiblich und leben auf dem Land  (D21 e. V. (2021): Digitalindex 2020. Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft).

Zurück zu Michaela. Sie sitzt im Wohnzimmer einer Freundin aus dem Dorf – und beteiligt sich an einem europäischen Projekt, bei dem Menschen wie sie digital nachzuholen. Neben ihr sitzen noch zwei andere Bekannte, die Pädagogin Pia Ziyout von der Akademie Klausenhof in Deutschland (www.akademie-klausenhof.de), drei Tablet-PCs und Kunstpostkarten. Welches Kunstwerk passt wohl am besten zu meiner Corona-Situation, zu meinem persönlichen Leben? Sie diskutieren gemeinsam, betrachten die Bilder, reflektieren und denken nach. Michaela wählt ein fröhliches Bild, geselliges Bild: die „Bootspartie“ von Mary Stevenson Cassatt. Ihre Aufgabe: Anhand eines solchen Bildes sollen sie ihre persönliche Situation während der Corona-Zeit reflektieren und daraus ein kleines Video erstellen. In dieser familiären Umgebung entwickelt sich nun eine intensive auch sehr emotionale Erfahrung. „Es ist das erste Mal, dass ich mir meiner eigenen Situation bewusst wurde und dies auch in Worte und Bilder gefasst habe“, erzählt die 48-Jährige. 

ArtDiCo-Workshop.

Digitales Storytelling: Erzähle deine eigene Geschichte

Digitales Storytelling (DST) heißt diese Methode, bei der Menschen ihre persönlichen Geschichten mit einfachen digitalen Methoden visualisieren. Sie ist in einigen europäischen Ländern, wie etwa in England oder Dänemark in der Jugend- und Erwachsenenbildung weit verbreitet. Ohne große technische Vorkenntnisse werden einfache Videos erstellt, die etwas über die eigene Geschichte, persönliche Erlebnisse oder Empfindungen erzählen. In Anderlecht/Brüssel etwa, beim Projektpartner MAKS, bearbeiten Jugendliche und Geflüchtete oft zum ersten Mal ihre persönliche Biographie. „Die Teilnehmer erleben, dass sie überhaupt eine spannende und eindrucksvolle persönliche Geschichte haben. Sie beschäftigen sich damit und lernen, diese Geschichte anderen nach den Prinzipien des Storytelling mitzuteilen. Gleichzeitig durchlaufen sie einen sehr kreativen Prozess und lernen – ganz nebenher – digitale Kompetenzen, nutzen die Geräte nicht nur zur Kommunikation und passiven Rezipieren. Die meisten sind sehr motiviert und fühlen sich als Mensch ernst genommen“, bestätigt DST-Experte Petar Veljačić vom Innovation Team bei MAKS (https://maksvzw.org/).

Die Partner dieses EU-Projekts (Erasmus+) namens ArtDiCo (Art, Digitality and Corona: Digital storytelling for people with little digital literacy – new e-learning approaches) aus Portugal, Italien, Litauen, Slowenien, Griechenland, Belgien und Deutschland führen gerade solche Workshops mit kleinen Teilnehmergruppen durch. Diese Erfahrungen fließen in verschiedene Materialien ein, die in diesem Projekt umgesetzt werden: Ein Situationsbericht über digital benachteiligte Menschen in Europa, eine Sammlung von Kunstwerken, die sich mit der Pandemie beschäftigen mit kunstpädagogischen Hinweisen und eine Anleitung zur Nutzung der Methode in der Erwachsenenbildung.

Beim digitalen Storytelling geht es nicht darum, komplexe Videos zu drehen. Nach bestimmten dramaturgischen Prinzipien des Storytellings wird zunächst eine Geschichte erstellt, vorgelesen und gespeichert. Anschließend werden passende Fotos und Bilder dazu ergänzt. Pia Ziyout: „Die Methode konnte sogar meine Gruppe mit einiger Hilfestellung erlernen. Die größte Herausforderung war es aber, erst mit den grundlegenden Funktionen des Tablets umgehen zu können.“ So hat sie über den Zeitraum des Wohnzimmer-Kurses immer kleine Aufgaben, wie z.B. E-Mails schreiben oder etwas im Internet recherchieren, gegeben. Ein Treffen fand sogar als Zoom-Meeting statt. „Meine Frauen haben so ganz beiläufig den Umgang mit der Technik gelernt. Im Vordergrund stand für sie immer, ihre Geschichte zu erzählen.“

Kunst als Ausdruck der Corona-Krise

Nicht nur die Beschäftigung mit der eigenen Person hat dem Projekt einen besonderen Charakter gegeben. Auch die thematische Ausrichtung auf Kunst öffneten für machen neue Perspektiven: „Ich kann überhaupt nicht malen“, gesteht etwa Prof. José Paulo Oliveira von der Universidade Lusófona, Lissabon. „Wir haben in dem Projekt virtuelle Kunstführen gemacht, eine kunsttherapeutische Sitzung durchlaufen, Online-Vorträge über Kunstvermittlung und Online-Kunstwerke gesammelt, die sich explizit mit der Coronazeit beschäftigen. Das war für mich eine ganz neue Welt, eine faszinierende Welt.“ Künstler haben sich in Europa sehr eindrucksvoll insbesondere mit dem Lockdown beschäftigt, mit dem Eingesperrt-Sein, den Verlust von Freunden und Kultur, der Angst vor Ansteckung, Krankheit und Tod. Auch die Verbindung mit dem individuellen Leben, das durch solche Kunst ausgedrückt und interpretiert wird, ist ihm jetzt sehr deutlich geworden. Kunstwerke eigenen sich auch besonders gut, sie in Video-Geschichten einzubauen, wie es Projektpartnerin Valentina Grineviciene von der Kunstakademie Vilnius bestätigt. Präsentiert wurden die Ergebnisse auf zwei digitalen Erzählcafés, die ganz im Sinne des Projekts online abgehalten wurden.

Wer sich diese kleinen Kostbarkeiten ansehen möchte, die an den sechs verschiedenen Projektstandorten erstellt wurden, kann sie hier aufrufen:  https://drive.google.com/drive/folders/1E7zWPQOcs5XKUNotetYiJ2Y2TZZIswZ2

„Gelernt, gelernt habe ich viel“, sagt Michaela. „Vor allem ist mir zum ersten Mal bewusst geworden, wie es mir wirklich in der Corona-Zeit ergangen ist. So eingesperrt zuhause, gemeinsam mit den Kindern, ohne meine alltäglichen Kontakte im Dorf. Und meine Kinder nehmen mir nicht mehr mein neues Tablet vom Projekt weg, um für mich meine Sachen zu erledigen. Das kann ich jetzt selber!“

ArtDiCo-DST.

 

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