Bildung als Ausweg aus der Kriminalität

Von Dorthe Kirkgaard Nielsen – Link zum Linkedin-Profil - für EPALE Dänemark.
Bildung ist entscheidend für die Eingliederung benachteiligter Gruppen in die Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund bietet das dänische Strafvollzugssystem seit vielen Jahren eine breite Palette von Bildungsangeboten für erwachsene Häftlinge in Gefängnissen und Strafanstalten in ganz Dänemark an.
Bildung ist ein Weg aus der Kriminalität, ein Weg zur Eigenständigkeit und ein Weg, ein gleichberechtigtes Mitglied in einer demokratischen Gesellschaft zu werden.
„Unser Ziel bei der Gefängnisausbildung ist dasselbe wie bei all unseren anderen arbeitsmarktorientierten Dienstleistungen – die Häftlinge sollen in die Zivilgesellschaft entlassen werden und ein Leben ohne Kriminalität führen“, sagt Maja Borch Hansen, Entwicklungsberaterin beim Justizvollzugsdienst.
In Dänemark werden die Gefängnisse und Haftanstalten von der Strafvollzugsbehörde verwaltet, und das Bildungsangebot im Strafvollzug ist in der nationalen Gesetzgebung durch das Strafvollzugsgesetz und den Beschäftigungserlass geregelt. Die Strafvollzugsbehörde erhält vom Finanzministerium einen Teil der Gelder für Maßnahmen zur Verbrechensverhütung (einschließlich Schulungen).
„Der Bedarf an Bildungsangeboten schwankt von Jahr zu Jahr, je nach den Häftlingen“, erklärt Maja.
Die verschiedenen Kursangebote
In Haftanstalten haben die Häftlinge das Recht auf arbeitsmarktorientierte Dienstleistungen – einschließlich Bildung. In den Gefängnissen haben sie das Recht und die Pflicht, 37 Stunden pro Woche zu arbeiten.
„Ein Häftling kann problemlos in einer Werkstatt arbeiten und zudem Dänischunterricht nehmen. Andere verbringen alle 37 Stunden mit der Ausbildung“, erklärt Maja.
In den Haftanstalten werden sowohl AVUs (Allgemeine Erwachsenenbildung) als auch FVUs (Vorbereitende Erwachsenenbildung) und OBUs (Legasthenie-Bildung für Erwachsene) angeboten. Die FGUs (Vorbereitende Grundbildung für Jugendliche), die HFs (Vorbereitung zur Hochschulreife) und einzelne Fächer der HFs sowie AMUs (berufliche Erwachsenenbildung) werden ebenfalls sowohl in Haftanstalten als auch im Gefängnis angeboten.
Zu diesem Zweck beschäftigt die Justizvollzugsanstalt eigene Erziehungsberater:innen und rund 70 ausgebildete staatliche Schullehrkräfte. Der Justizvollzugsdienst vermittelt den Vorbereitungskurs für die HF-Prüfung entweder durch Fernunterricht oder das örtliche Erwachsenenbildungszentrum (VUC) stellt Lehrkräfte zur Verfügung. Die AMU-Kurse werden entweder über die nächstgelegene AMU-Einrichtung angeboten oder indem diese Einrichtung einen bestimmten Kurs anerkennt, der von den Fachkräften oder Fachlehrkräften der Haftanstalt unterrichtet wird.
Im Rahmen der AMU-Kurse führt der Strafvollzugsdienst auch einige OPS-Kooperationen durch, d. h. öffentlich-private Kooperationen, die auf Vereinbarungen mit Privatunternehmen basieren. Ein Beispiel wäre ein lokaler Steinmetzbetrieb, der eine Fachkraft entsendet, um einen im AMU-System zugelassenen Steinmetzlehrgang zu unterrichten.
„Wir bieten also nicht nur eine Beschäftigungsmöglichkeit, sondern vermitteln den Häftlingen auch echte Kompetenzen, für die sie ein Zertifikat erhalten. Gleichzeitig findet die Fachkraft des Privatunternehmens unter den Häftlingen möglicherweise potenzielle Mitarbeiter, wenn die Häftlinge einige Monate später entlassen werden. Bisweilen führen die Kurse also auch zu einer Beschäftigung gleich nach der Entlassung“, sagt Maja.
In einigen Gefängnissen werden auch EUD-Berufsausbildungskurse (in der Regel der Grundkurs 2) in Bereichen wie Baugewerbe, Gastronomie, Landwirtschaft und Mechanik angeboten.
Wenn die Häftlinge im offenen Vollzug sind, haben sie die Möglichkeit, für die Teilnahme an einem Kurs freigestellt zu werden.
Wir ermutigen die Häftlinge, eine Ausbildung zu machen
Die Ausbildung im Rahmen des Strafvollzugsdienstes ist für Häftlinge kostenlos, und im Allgemeinen kann jeder von ihnen an der Ausbildung teilnehmen, die in der Regel in kleineren Gruppen stattfindet.
„Alle Häftlinge können eine Ausbildung bekommen, wenn sie auch wirklich eine benötigen. Unter manchen Bedingungen kann es jedoch schwierig werden, die Ausbildung vollständig zu absolvieren. Zum Beispiel, wenn ein Häftling in Isolationshaft sitzt oder weil er sich so verhält, dass ein Kontakt mit anderen nicht möglich ist“, erklärt Maja.
Auch die Länge der Strafe und die Notwendigkeit der Ausbildung korrelieren, denn die Optionen sind sehr unterschiedlich, je nachdem, ob die Strafe vier Monate oder 12 Jahre beträgt.
„Unsere wichtigste Aufgabe ist es, den Häftlingen den Mut zu geben, eine Ausbildung zu beginnen. Sie dazu zu bringen sich zu überwinden und ihnen klarzumachen, dass ihnen eine Ausbildung Vorteile bringt. Aber bisweilen finden wir uns in einer Situation wieder, in der ein Häftling 15 Jahre lang schlechte Erfahrungen mit Bildung gemacht hat, und wir haben vier Monate im offenen Vollzug, um daran zu arbeiten. In diesen Fällen können wir nicht viel mehr erreichen, als ihnen berufliche Klarheit zu verschaffen und ihnen zu helfen, einen neuen Weg zu finden“, sagt sie.
Ein hochmotivierender Job
Der Weg zur Ausbildung beginnt für die Häftlinge mit dem LS/RNR-Screening, das bei allen Gefangenen durchgeführt wird. Das Screening dient dazu, das Rückfallrisiko des Häftlings zu ermitteln und festzustellen, in welchen Bereichen noch Handlungsbedarf besteht, um das Rückfallrisiko so gering wie möglich zu halten.
„Das kann eine Behandlung wegen Drogenmissbrauchs, eine kognitive Therapie oder eine Ausbildung sein. Wenn wir feststellen, dass der beste Weg eine Ausbildung ist, wird der oder die Gefangene ein Gespräch mit unserer Bildungsberatung führen, und sie werden gemeinsam den richtigen Kurs finden. Der Häftling wird auch in verschiedenen Fächern getestet, denn selbst wenn die Betreffenden die Schule besucht haben, kann es sein, dass sie alles, was sie gelernt haben, vergessen haben, vor allem, wenn sie z. B. seit 10 Jahren kiffen.“
Die Häftlinge tragen oftmals einen riesigen Rucksack mit allen möglichen Problemen mit sich herum, und auch wenn sie selbst eine Ausbildung als Ausweg aus der Kriminalität sehen, müssen sie vielleicht erst ihre Sucht in den Griff bekommen, sich einer kognitiven Therapie unterziehen und ein Training absolvieren, um wieder zur Schule gehen zu können.
„Bevor ein Häftling eine Ausbildung absolvieren und von ihr profitieren kann, muss er oft einiges tun. Man kann Akademiker:in sein, aber wenn man nicht aus dem Bett kommt, zur Schule gehen und Hausaufgaben machen kann, dann ist es sinnlos. Ein großer Teil der Aufgabe einer Lehrkraft im Gefängnis besteht also darin, zu motivieren – d. h. es ist eher eine sozialpädagogische Aufgabe, die Häftlinge auf eine Ausbildung vorzubereiten“, erklärt Maja.
Sicherheit steht immer an erster Stelle
Die vielen Bildungsmöglichkeiten sind ein großer Vorteil für die Häftlinge, denn viele von ihnen haben keine brauchbare Ausbildung, auf die sie zurückgreifen könnten. So erlebt Maja auch eine wachsende Nachfrage nach Bildung.
„Heutzutage kann man ohne eine Ausbildung keinen Job bekommen (egal, ob es sich um AMU-Zertifikate handelt) und die Häftlinge sind sich dessen bewusst, aber unser System hat gewisse Grenzen“, sagt sie.
„Obwohl wir ein breites Spektrum an Kursen anbieten, sind wir noch immer ein Gefängnis und keine Bildungseinrichtung. Sicherheit steht also immer an erster Stelle, und das kann gelegentlich zu Problemen mit den Qualifikationen und Niveaus der verschiedenen Programme führen. Aus Sicherheitsgründen hat zum Beispiel keiner der Häftlinge Zugang zu einem Computer, was bei einigen Kursen und Niveaus, wie zum Beispiel in Mathematik, wo man digitale Lernmittel verwenden muss, zu Einschränkungen führt“, fügt Maja hinzu.
Schwierige Übergangsphasen
Die Teamgrößen in den verschiedenen Kursen variieren – je nach Sicherheitsstufe am jeweiligen Standort. Allerdings sind die Teams immer viel kleiner als in normalen Bildungseinrichtungen.
Gerade die Tatsache, dass Häftlinge nach ihrer Entlassung in Ausbildungsstätten mit vielen unterschiedlichen Menschen in Berührung kommen, kann zu Problemen führen.
„Manche brechen ihre Ausbildung ab, weil sie in einer anderen Umgebung mit zu vielen Schüler:innen nicht zurechtkommen“, sagt Maja.
Die Übergangsphasen sind oft schwierig, weshalb die Strafvollzugsbehörde eng mit den Angestellten der Behörden in den Gemeinden und mit zivilen Organisationen wie dem Café Exit zusammenarbeitet, die die Häftlinge nach ihrer Entlassung unterstützen können.
Trotz dieser Herausforderungen hat Maja jedoch keinen Zweifel daran, dass Bildungsmaßnahmen während der Verbüßung einer Strafe einen enormen Beitrag zur Rehabilitation in der Gesellschaft leisten.
„Bildung kann zu einem ruhigeren Strafvollzug führen und gibt den Häftlingen die Möglichkeit, ihre Zeit mit etwas Sinnvollem zu verbringen. Wenn sie entlassen werden, ist Bildung ein Ausweg aus der Kriminalität, ein Weg zur Eigenständigkeit und eine Möglichkeit, Teil der Gesellschaft zu werden, in der man einen wichtigen Beitrag leistet, einer Arbeit nachgeht, seinen Kindern bei den Hausaufgaben helfen und eine E-Mail an das Jobcenter oder andere öffentliche Stellen schreiben kann“, erzählt Maja.
Den Lebensweg geändert
Für den 37-jährigen Kasper Asmussen hat die Ausbildung während eines Gefängnisaufenthalts einen einschneidenden Wendepunkt dargestellt. Sie hat seinen Lebensweg verändert, sodass er heute einen Masterstudiengang in Psychologie an der Universität von Kopenhagen belegt.
Als er 2013 verhaftet und anschließend wegen schwerer Drogendelikte zu 14 Jahren Haft verurteilt wurde, war er 26 Jahre alt. Er war in mehreren Haftanstalten und mehreren geschlossenen Gefängnissen, im offenen Vollzug, in einer Pension und in seinem eigenen Haus mit Fußfesseln untergebracht. Im Sommer 2021 wurde er zu Ausbildungszwecken auf Bewährung entlassen – die ersten zwei Jahre unter Aufsicht.
Seine Ausbildung begann er in einer Justizvollzugsanstalt, wo er einige Fächer im Rahmen der AVU (Allgemeine Erwachsenenbildung) und der FVU (Vorbereitende Erwachsenenbildung) belegte. Er erinnert sich vor allem daran, dass es durch die verschiedenen Wahlfächer in unterschiedlichen Haftanstalten etwas zu unstrukturiert und ein wenig zu gemütlich war.
„Wir hatten ein paar wirklich nette Lehrkräfte, aber es war ein bisschen zu sehr ein Spaß-Club, ein bisschen zu einfach, ein bisschen zu langsam, also gab es für mich nicht sehr viel professionelles Lernen, stattdessen habe ich gelernt, Kontakte zu knüpfen“, sagt Kasper.
Als er in die Gefängnisverwaltung wechselte, setzte er den AVU und FVU fort, belegte dann einen kombinierten naturwissenschaftlichen Kurs aus Biologie, Geografie und Chemie zusammen mit den HF-Fächern auf Stufe C – und nebenbei noch Religionsunterricht. Im Laufe der Jahre durchlief er die verschiedenen Stufen und schloss mit einem vollen HF ab – mit einer Durchschnittsnote von 11,7 (12 ist die bestmögliche Note im dänischen Bildungssystem, Anm. d. Ü.).
Er ist ein großer Befürworter der Umschulungsmöglichkeiten während des Haftaufenthalts. Damit die Ausbildung aber auch erfolgreich ist, braucht man die Unterstützung des gesamten Gefängnispersonals und einige motivierte und engagierte Lehrkräfte, die nicht genervt reagieren, wenn die Schüler:innen zum x-ten Mal fragen, was denn ein Substantiv ist.
„Obwohl ich bis einschließlich der 9. Klasse die Schule besucht hatte, konnte ich nicht mithalten und habe keine Prüfungen bestanden, sodass ich mit fast nichts dastand. Ich habe mein erstes Buch im Gefängnis gelesen und meine erste schriftliche Arbeit im Gefängnis geschrieben“, sagt er.
Dass er selbst einen vollen HF erreicht hat, führt er vor allem auf die persönliche Studienunterstützung durch das Jugendrotkreuz zurück.
„Ich glaube nicht, dass ich meine Ausbildung ohne meine Lernpatin Josefine gemacht hätte und schon gar nicht mit einem so guten Ergebnis, denn sie hat mich an die Hand genommen, mich unterstützt und mir das Schreiben beigebracht. Ich konnte zwar sprechen, wusste aber nicht, wie man Sätze aneinanderreiht“, erklärt Kasper.
Bedenken und Offenheit
Obwohl er in den geschlossenen Gefängnissen einen vollständigen Sekundarschulabschluss erworben hatte, besuchte Kasper auch nach seiner Verlegung in den offenen Vollzug weiterführende Schulen.
„Ich wollte meine Ausbildung fortsetzen, aber hatte Bedenken, ob ich in eine Klasse mit vielen anderen Leuten passen würde. Ich bekam also die Freiheit, selbständig zu kommen und zu gehen, und belegte einige HF-Fächer an der VUC Frederiksberg. Es lief wirklich gut und ich habe in allen Fächern 12 Punkte bekommen“, sagt er.
Da die Schule seine Anwesenheit überwachen musste, wussten die Lehrkräfte von Anfang an von seinem Gefängnisaufenthalt, und schon bald erzählte er auch seinen Mitschüler:innen davon.
„Man kann ein paar Mal sagen, dass man abends keine Gruppenarbeit machen kann, aber nicht sechs Mal, und meiner Erfahrung nach ist es am besten, einfach offen mit seiner Situation umzugehen. Auf jeden Fall habe ich nur positive Reaktionen erhalten. Nicht zu meinen Straftaten, sondern wegen der Tatsache, dass ich versuche, aus der Kriminalität herauszukommen, indem ich eine Ausbildung mache“, sagt Kasper.
Hilfe und Unterstützung erforderlich
Kasper wird sein Psychologiestudium voraussichtlich im Sommer 2025 abschließen und möchte dann in einer Mischung aus klinischer Psychologie und Forschung arbeiten. Für ihn ist Bildung eindeutig ein Weg, um ein demokratisch und verantwortungsvoll handelnder Bürger zu werden.
„Viele Kriminelle können oft nicht schreiben und sind nicht besonders reflektiert, aber durch Bildung lernt man, sein Verhalten zu überdenken und zu ändern, daher glaube ich wirklich, dass Bildung der Weg aus der Kriminalität ist, auch wenn das schwer umzusetzen ist. Denn in der Umgebung der Häftlinge gibt es viele Faktoren, die diesen Weg sehr steinig machen. Wenn man sich für eine Ausbildung entscheidet, wird man von den anderen Häftlingen als Streber:in angesehen“, meint er.
Um Erfolg zu haben, braucht man jemanden, der oder die einen antreibt und unterstützt, oder es müssen Sonderschulabteilungen eingerichtet werden, wie es in Søbysøgård der Fall war, wo er auch einen Teil seiner Strafe verbüßte. Da dort alle in der Bildung tätig sind, ist es einfacher, motiviert zu bleiben.
DER GEFÄNGNISDIENST Im ersten Halbjahr 2023 gab es in Dänemark insgesamt 4.214 Häftlinge. Davon befanden sich 1.634 in Untersuchungshaft und 2.580 im Strafvollzug, davon 1.145 im offenen Vollzug. Ausbildungsmöglichkeiten werden in allen Haftanstalten und Gefängnissen angeboten. Der Justizvollzugsdienst verfügt über insgesamt 44 Register, in denen den Gefangenen im Rahmen der beschäftigungsorientierten Dienstleistungen eine Ausbildung beginnen können. In den Gefängnissen ist die Teilnahme an arbeitsmarktorientierten Programmen für die Häftlinge verpflichtend – in den Haftanstalten haben sie das Recht, daran teilzunehmen, aber es ist keine Pflicht. |
Das Kursangebot AVU (Allgemeine Erwachsenenbildung): 9. und 10. Klasse für Erwachsene |
I still remember someone…
I still remember someone saying that 'Education is the key to your success'. I agree that Education and Training Programmes can contribute to employability. For sure even within a prison context.