Wie populär ist Erwachsenenbildung in Deutschland?

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Foto: Gerd Altmann/Pixabay
Meinungsumfragen und Wahlversprechen nach zu urteilen, stößt kaum eine Forderung auf so ungeteilte Zustimmung wie die nach einer Erhöhung der öffentlichen Bildungsinvestitionen. Die beispiellose Krise, die durch den Ausbruch der Corona-Pandemie und die anschließende weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens ausgelöst wurde, hat Wirtschaftszweige, soziale Gruppen und den Arbeitsmarkt unterschiedlich schwer betroffen und im Bildungsbereich zu wachsender Ungleichheit geführt. Wie viele europäische Länder bemüht sich auch Deutschland nach Kräften, die Folgen wirtschaftlichen und sozialen Folgen von dem Lockdown abzufedern. Die Europäische Union und die Regierungen der EU-Mitgliedstaaten wenden im Rahmen eines Wiederaufbauplans ungeheure Summen auf, um Familien zu unterstützten und das Überleben von Unternehmen und Wirtschaftszweigen zu sichern.
Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Erwachsenenbildung
Welche Auswirkungen die Pandemie speziell auf die Erwachsenenbildung hatte, ist noch nicht eingehend untersucht worden. Fest steht jedoch: Fast überall konnten Präsenzangebote von einem Tag auf den anderen nicht mehr durchgeführt werden.
Seit dem 16. März 2020 waren Weiterbildungsanbieter in Deutschland durch einen Beschluss von Bund und Ländern gezwungen, ihre Einrichtungen vorübergehend zu schließen - mit weitreichenden Folgen für ihren Betrieb.
Weiterbildungseinrichtungen und Lehrkräfte mussten ihre Arbeit einstellen oder mindestens drastisch reduzieren – und fanden sich nicht selten in wirtschaftlicher Bedrängnis wieder. Lernmöglichkeiten für Erwachsene wiederum entfielen in großem Stil – oder wurden in Online-Angebote umgewandelt.
So wirkte die Corona-Pandemie nicht zuletzt als Katalysator für die digitale Wende auch in der Erwachsenenbildung.
Um diese digitale Wende jedoch auch nachhaltig zu gestalten und um die negativen Auswirkungen der monatelangen Lockdowns im Weiterbildungsbereich abzumildern, ist öffentliche Unterstützung erforderlich: Der Aufbau einer digitalen Infrastruktur für Weiterbildungsanbieter, die Qualifizierung der Lehrkräfte für die vielfach noch ungewohnte Onlinelehre – all dies verlangt großzügige Investitionen. Nicht vergessen werden dürfen die Lernenden: Auch für sie müssen zusätzliche Angebote zur Entwicklung digitaler Kompetenzen bereitgestellt werden.
Öffentliche Finanzierung der Erwachsenenbildung
Die jüngsten Zahlen aus dem 4. Globalen Bericht der UNESCO zur Erwachsenenbildung (GRALE) geben diesbezüglich wenig Anlass zu Optimismus, auch wenn die Bedeutung des lebenslangen Lernens im Allgemeinen und der Erwachsenenbildung im Besonderen weithin anerkannt ist.
Laut GRALE gaben 33 Prozent der 107 Länder, welche Angaben zu ihren öffentlichen Bildungsausgaben gemacht haben, weniger als ein Prozent ihres Bildungsbudgets für die Erwachsenenbildung aus. 19 Prozent der Länder – darunter neben Deutschland noch Finnland und etliche asiatische Länder wie Laos, Bhutan, Malaysia, Neuseeland und Thailand – gaben an, mehr als vier Prozent ihres Bildungsbudgets für die Erwachsenenbildung aufzuwenden.
Warum ist es offenbar so schwierig, die Ausgaben für die Erwachsenenbildung deutlich zu erhöhen, obwohl alle dies für sinnvoll halten? Eine mögliche Erklärung ist, dass politische Entscheidungsträger/innen unter den Zwängen der Tagespolitik zögern, öffentliche Ausgaben im Allgemeinen zu erhöhen. Eine andere Erklärung könnte sein, dass die Erwachsenenbildung tatsächlich weniger populär ist, als man aufgrund öffentlicher Verlautbarungen annehmen könnte. Entscheidungsträger/innen wie auch Wähler/innen, finden Weiterbildungsausgaben zwar allgemein gesprochen gut – wenn sie selbst aber vor schwierige Entscheidungen gestellt werden, erweist sich diese Unterstützung als wenig belastbar. Und offensichtlich erfreuen sich manche Bildungsbereiche auch größerer Unterstützung als andere.
Wie steht es also um die Finanzierung der Erwachsenenbildung in Deutschland - und warum wäre es sinnvoll, die öffentlichen Ausgaben in diesem Bereich zu erhöhen?
Auf den ersten Blick sieht die Situation nicht schlecht aus. Die Verantwortung für das Feld der Erwachsenenbildung teilen sich in Deutschland staatliche und nichtstaatliche Akteure. Die Erwachsenenbildung kann auf eine lange Geschichte der Institutionalisierung zurückblicken, die bis ins 18. Jahrhundert reicht. Bereits 1919 wurde in der Weimarer Republik der Grundstein für das Verständnis von Erwachsenenbildung als Gemeingut gelegt, das von staatlichen Stellen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene gefördert und öffentlich finanziert werden sollte. Heute erkennen fast alle Bundesländer (15 von 16) in ihren Verfassungen die Erwachsenenbildung ausdrücklich als Politikbereich an und haben spezifische Gesetze erlassen, welche ihre öffentliche Finanzierung regeln. Diese öffentliche Finanzierung sorgt für eine flächendeckende Grundversorgung mit Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung.
Betrachtet man den Weiterbildungsbereich als Ganzes, dominiert deutlich die private Finanzierung: Drei Viertel der Weiterbildungsausgaben stammen aus privaten, nur ein Viertel aus öffentlichen Mitteln. Für den Bereich der allgemeinen Erwachsenenbildung jedoch, welcher typischerweise stärkere Verbindungen zu Akteuren der Zivilgesellschaft aufweist, bilden öffentliche Mittel weiterhin die wichtigste Finanzierungsquelle.
Während bei berufsbezogenen Angeboten nachfrageorientierte öffentliche Finanzierungsinstrumente (z. B. Weiterbildungsgutscheine oder -zuschüsse) dominieren, überwiegt in der allgemeinen Erwachsenenbildung eine angebotsbasierte öffentliche Finanzierung. Öffentlich gefördert werden dabei Angebote, von denen angenommen wird, dass sie im öffentlichen Interesse liegen, z.B. Angebote der politischen Bildung oder werteorientierte Angebote, Kurse zur Entwicklung von Schlüsselkompetenzen oder Angebote, welche das familiäre, soziale und interkulturelle Zusammenleben fördern.
Dennoch besteht wenig Grund, in Begeisterung auszubrechen. Seit langem stagniert in der allgemeinen Erwachsenenbildung der Anteil der öffentlichen Finanzierung oder ist sogar rückläufig. Dies ist möglich, weil die Erwachsenenbildungsgesetze keine absoluten Vorgaben zur Höhe der öffentlichen Förderung machen. Die Einführung von Modellen des New Public Management seit Anfang der 2000er Jahre hat die Anbieter von Erwachsenenbildung gezwungen, verstärkt marktorientiert zu agieren. Die Volkshochschulen, einer der wichtigsten Anbieter allgemeiner Erwachsenenbildung in Deutschland, finanzieren sich mittlerweile zu 40 Prozent aus Teilnahmegebühren.
Auch ein Blick auf die Teilnahmestatistik liefert interessante Erkenntnisse.
Weiterbildung hat in der deutschen Bevölkerung ein gutes Image. Seit vielen Jahren bewegen sich die Teilnahmequoten stabil auf einem hohen Niveau. Im Jahr 2018 nahmen 54 Prozent der 18- bis 64-jährigen Bevölkerung an Weiterbildungsaktivitäten teil. Allerdings entfielen 82 Prozent dieser Aktivitäten auf berufliche oder betriebliche Weiterbildung. Nur 18 Prozent ließen sich Angeboten der allgemeinen Erwachsenenbildung zuordnen.
Mehr Anerkennung für die allgemeine Erwachsenenbildung
Ist die allgemeine Erwachsenenbildung bei den Politikerinnen beliebter als in der Gesamtbevölkerung? Offensichtlich nicht, wenn man sich wichtige politische Initiativen aus jüngster Zeit anschaut. Ein besonders markantes Beispiel ist die Nationale Weiterbildungsstrategie, welche eine ressortübergreifende Allianz aus Bund und Ländern unter Beteiligung der Sozialpartner im Sommer 2019 verabschiedete. Eine beeindruckende Zahl von Akteuren hat sich dort zusammengeschlossen, um nicht nur eine neue Weiterbildungskultur, sondern – noch ambitionierter – die „Weiterbildungsrepublik” zu etablieren. Leider weist die Weiterbildungsrepublik blinde Flecken auf: Die Nationale Weiterbildungsstrategie konzentriert sich ausschließlich auf berufliche und betriebliche Weiterbildung.
Die allgemeine Erwachsenenbildung kämpft seit langem um breitere Anerkennung ihrer Leistungen. Und sie hat einiges vorzuweisen, denn ihre – insbesondere nicht-monetären – Erträge wurden bereits in etlichen Studien nachgewiesen: So geht die Teilnahme an allgemeiner Erwachsenenbildung z.B. einher mit höherem bürgerschaftlichem Engagement, stärkerer politischer Partizipation oder einem gesünderen Lebensstil. Mit ihrer engen Verankerung in der Zivilgesellschaft kann die Erwachsenenbildung wichtige Beiträge leisten zu einer demokratischen Öffentlichkeit, einer nachhaltigen Entwicklung und einer offenen und toleranten Gesellschaft.
Es gibt viele Gründe, der allgemeinen Erwachsenenbildung mehr Aufmerksamkeit zu schenken, wenn man sich die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen vor Augen führt: die alternde Bevölkerung, die wachsende Zahl von Migrantinnen und Flüchtlingen, die immer mehr Lebensbereiche durchdringende Digitalisierung, die drohenden Auswirkungen des Klimawandels, die Corona-Pandemie, Zunahme von Fake News, Verschwörungstheorien, Hassreden und politischer Radikalisierung... Der Zusammenhalt der Gesellschaft ist von vielen Seiten unter Druck geraten. Viele Personen oder ganze Gruppen sehen sich durch Ausgrenzung und Marginalisierung bedroht. Die allgemeine Erwachsenenbildung kann nicht alle diese Probleme auf magische Weise lösen, sie kann aber zu jedem einzelnen einen wertvollen Beitrag leisten.
Über die Autorinnen
Dr. Alexandra Ioannidou hat die Stabstelle Internationalisierung am DIE - Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen in Deutschland inne und ist Geschäftsführerin und Vorstandsmitglied der European Society for Research on the Educations of Adults (ESREA) ioannidou@die-bonn.de
Susanne Lattke, M.A., ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung "Lehren, Lernen, Beraten" am DIE - Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen in Deutschland und Mit-Koordinatorin des ESREA ReNAdET-Netzwerks lattke@die-bonn.de