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Was ist politische Jugend- und Erwachsenenbildung?

Politikwissenschaftler Benedikt Widmaier spricht über die Entwicklung der außerschulischen politischen Bildung.

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Der Originalbeitrag ist ursprünglich im Journal für Politische Bildung erschienen. 


Mit der Etablierung eines demokratischen politischen Systems in der Bundesrepublik nach 1945 waren von Anfang an politische und konzeptionelle Überlegungen für eine außerschulische politische Bildung (PB) verbunden. Das schloss den Aufbau und die Förderung staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen ein. Heute gehören zu dieser öffentlichen staatlichen Infrastruktur der PB die Zentralen für politische Bildung, zur öffentlichen gesellschaftlichen Infrastruktur bundesweit arbeitende Trägerverbände unter dem Dach des „Bundesausschusses für politische Bildung“ (bap) mit seiner Untergliederung der „Gemeinsamen Initiative der Träger der politischen Jugendbildung“ (GEMINI).

Rechtlich gelten die Verbände und ihre Mitglieder in Anlehnung an das Achte Sozialgesetzbuch (SGB VIII) als sogenannte „frei Träger“. Gesellschaftspolitisch sollen sie die plurale Struktur und die klassischen Milieus der Gesellschaft abbilden (Kirchen, Arbeiterbewegung, Erwachsenenbildung u.a.). Sie genießen in diesem Rahmen weltanschauliche und inhaltliche Freiheit (Tendenzbetriebe), solange sie „eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Arbeit“ gewährleisten (§75 SGB VIII). Im Zuge einer schnellen Pluralisierung der Gesellschaft, des Bedeutungsverlusts von klassischen Milieus und einer starken Zuwanderung hat sich der Blick auf die Strukturen erweitert – exemplarisch abzulesen etwa an der Entwicklung des postmigrantischen Dachverbands „Neue deutsche Organisationen“ (NDO). Die Träger der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung sollen subsidiär arbeiten, was bedeutet, dass der Staat keine Aufgaben übernehmen sollte, die von gesellschaftlichen Institutionen in eigener Leistung und Verantwortung erfüllt werden können (§4 SGB VIII). Das Subsidiaritätsprinzip setzt sinnvollerweise ein gewisses Maß an materiellen und immateriellen Eigenleistungen der Träger voraus, um die Freiheit dieser (zivil-) gesellschaftlichen Nicht-Regierungs-Organisationen (NROs/NGOs) nicht durch eine übermäßig starke staatliche Steuerung zu gefährden.

Das erklärt auch, dass Förderprogramme wie das Programm „Politische Bildung“ im Kinder- und Jugendplan des Bundes oder das bpb-Förderprogramm zur politischen Erwachsenenbildung in der Regel nur einen Zuschuss (Festbetragsfinanzierung) vorsehen, was eine nicht unbeträchtliche Eigenleistung bei den Trägern notwendig macht. In den meisten neuen Programmen, die der PB ebenfalls nahestehen (bspw. Bundesprogramm „Demokratie leben!“), werden in der Regel alle Personal- und Maßnahmenkosten vom staatlichen Fördergeber übernommen, oft in einer Ko-Finanzierung aus Bundes- und Landesmitteln. Das hat zu einer unguten Schieflage und einer bisher kaum produktiven Konkurrenz um Inhalte und staatliche Ressourcen bei der Weiterentwicklung einer leistungsfähigen öffentlichen Infrastruktur der PB geführt.

Ziele der PB sind die Vermittlung von politischem Wissen, die Stärkung der politischen Urteilsfähigkeit der Teilnehmenden sowie die Motivation und Befähigung zum politischen Handeln (Sehen – Urteilen – Handeln). Das ist in Anbetracht der zunehmenden Internationalisierung und einer damit einhergehenden gestiegenen politischen Komplexität sehr ambitioniert. Ohne eine exemplarische Auswahl von Themen und eine an den Zielgruppen orientierte Reduktion der politischen Komplexität ist PB kaum angemessen zu betreiben. Nicht zufällig hat sich PB in ihrer Themenvielfalt deshalb ausdifferenziert. Es sind Felder entstanden, die zwar der PB zugerechnet werden können, aber jeweils besondere inhaltliche Schwerpunkte setzen („Bindestrich-Pädagogiken“). Dazu zählen etwa die Umweltbildung, die Friedenserziehung sowie die Mädchen- und Frauenbildung, die aus den Neuen Sozialen Bewegungen der 1970er-Jahre entstanden sind, später dann beispielsweise das Interkulturelle Lernen, die Bildung für nachhaltige Entwicklung und das Globale Lernen und heute die sich weiter ausdifferenzierenden Felder von Demokratiepädagogik und Demokratiebildung. Solange in dieser vielfältigen Praxis auf Politik und das Politische rekurriert wird und dabei den hier beschriebenen Standards gefolgt wird, kann diese Praxis als PB bezeichnet werden. Allerdings hat sich das Professionsverständnis von PB seit den 1990er Jahren zunehmend entgrenzt und verflüssigt. Sowohl in Programmen des Bundes als auch der Länder sind die seit den 1970er Jahren an den Zielen von PB ausgerichteten Förderprogramme entpolitisiert und an allgemeinen Bildungszielen der (Ressourcen-)Stärkung und (Lebenswelt-)Orientierung für Jugendliche ausgerichtet worden.

PB hat die Aufgabe ihre Themen so aufzubereiten, dass die Teilnehmenden sich ihr eigenes Urteil bilden können. Das hat didaktisch zur Folge, dass die in einer pluralen Gesellschaft üblicherweise kontroverse Sicht und Einschätzung politischer Themen in der PB auch deutlich werden sollte. Als entsprechendes berufsethisches Prinzip hat sich deshalb der „Beutelsbacher Konsens“ aus dem Jahr 1976 durchgesetzt (Widmaier/Zorn 2016). Danach sollen Themen, die in Wissenschaft und Politik kontrovers sind, in der PB auch entsprechend kontrovers vermittelt werden (Kontroversitätsgebot).

weitere Texte Journal für politische Bildung.

Nur so kann eine einseitige politische Indoktrination und pädagogische Überwältigung der Teilnehmenden verhindert werden (Überwältigungsverbot). Das Königsziel der PB ist die Befähigung zur politischen Partizipation: Teilnehmende sollen, so der dritte Grundsatz des Beutelsbacher Konsenses, in die Lage versetzt werden, ihre eigenen Interessen zu erkennen, und Kompetenzen und „operationale Fähigkeiten“ entwickeln, um diese in politische Prozesse einzubringen (Teilnehmendenorientierung).

Neben den erwähnten langfristigen Programmen der Regelförderung werden in Modellprogrammen aktuelle politische Themen aufgegriffen. Die PB wird dabei schnell als „Feuerwehr“ instrumentalisiert und in ihrer freien Themenwahl mitunter deutlich eingeschränkt. Aktuelles Beispiel ist die sogenannte „extremismuspräventive Demokratieförderung“, die seit 2016 mit dem bereits erwähnten Bundesprogramm „Demokratie leben!“ aufgebaut wurde.

Trotz ihrer bescheidenen Größe ist die PB eine produktive Profession. Das liegt u. a. an der oben beschriebenen gut ausgebauten Infrastruktur staatlicher und freier Träger. Die PB verfügt mit dem vom bap herausgegebenen „Journal für politische Bildung“ über eine eigene Fachzeitschrift und mit der Reihe „Non-formale politische Bildung“ über eine eigene Schriftenreihe.

 


Zum Weiterlesen

Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 48/2022, Politische Bildung (dort insbesondere die Beiträge von Helle Becker sowie von Marlon Barbehön/ Alexander Wohnig), https://t1p.de/c75fe (zuletzt geprüft: 4.4.2023).

Bap/GEMINI (2022): Stellungnahme zum Koalitionsvertrag, https://t1p. de/1irdc (zuletzt geprüft: 4.4.2023).

Widmaier, Benedikt (2021): Politische Bildung. In: Amthor, Ralph-Christian u. a. (Hg.): Kreft/Mielenz – Wörterbuch Soziale Arbeit, 9. Aufl., Weinheim/ München, S. 654–656.

Widmaier, Benedikt (2022): Zwischen staatlicher Steuerung und zivilgesellschaftlicher Freiheit. Was sind Träger der politischen Bildung? In: Wohnig, Alexander/Zorn, Peter (Hg.): Neutralität ist keine Lösung!, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 10592, Bonn, S. 279–296.

Widmaier, Benedikt (2022): Extremismuspräventive Demokratieförderung. Eine kritische Intervention. Frankfurt/M.

Widmaier, Benedikt/Zorn, Peter (2016) (Hg.): Brauchen wir den Beutelsbacher Konsens? Eine Diskussion der politischen Bildung, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 1793. Bonn.


 

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