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EPALE - Elektronische Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

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Projekte, Projekte, Projekte

Das neue Budget für Erasmus+ steht, und seit 20 Jahren werden Projekte in der Erwachsenenbildung durch die EU gefördert. Zeit für einen persönlichen Blick auf die europäische Förderpolitik.

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Cartoon zur Geldverteilung des Erasmus+ Topf.

Karikatur: Gerhard Mester

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Gerade wurde der neue Finanzrahmen für die EU in den Verhandlungen zwischen Parlament und Rat festgelegt und damit auch das Budget für Erasmus+. 23,4 Milliarden sollen dem Bildungsprogramm in den nächsten sieben Jahren zustehen, immerhin 60 Prozent mehr als in der vergangenen Förderperiode.

Für alle, die in der europäischen Bildungsarbeit unterwegs sind, ist das eine erfreuliche Entwicklung. Wenn alle Berechnungen und Prognosen stimmen, werden wir in der Erwachsenenbildung jetzt nicht mehr vier, sondern „sogar“ sechs Prozent dieses Budgets zugeteilt bekommen. Das wären dann 1,4 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Im Jahr 2000 standen uns 280 Millionen zur Verfügung. Seit 20 Jahren werden Projekte in der Erwachsenenbildung gefördert, und immer ging es mit dem Budget bergauf.

Schaut man in den Jahresbericht von Erasmus+ (Annual Report 2018, Brussels 2019) werden derzeit pro Jahr rund 500 Projekte in der Erwachsenenbildung europaweit über Erasmus+ bewilligt. In Zukunft dürften es wahrscheinlich wesentlich mehr werden.

Europäische Projekte begleiten mich selber seit 2004. Die Entwicklung, Wirkung und Nachhaltigkeit dieser Projektförderung lassen sich vielleicht nicht typischerweise, aber exemplarisch an dem persönlichen Verlauf ganz gut darstellen.

Leidenschaft Europa

Mein europäisches Schlüsselerlebnis: Als Kursleiter war ich Mitte der 90er Jahre mit jungen Journalistinnen und Journalisten in Polen. Anfang November, ein nebliger Tag. Thema: Die Ermordung polnischer Intellektueller durch die Deutschen 1939. Unser lokaler Partner, ein älterer Kollege von der Lokalpresse, zeigte uns einen Gedenkort mitten im Wald. „Hier habe ich mich versteckt“, sagte er. „Dort haben sie meinen Vater erschossen. Ich konnte fliehen und mich bis zum Kriegsende bei deutschen Bauern verstecken.“ (Beim Massaker von Piaśnica in der Nähe von Danzig ermordeten die Deutschen ca. 10.000-13.000 Menschen, insgesamt fielen der sog, „Intelligenz-Aktion“ nach dem deutschen Überfall 1939 etwa 60.000 Polinnen und Polen zum Opfer.)

So etwas darf nie mehr in Europa passieren. Durch Bildung, durch gegenseitige Besuche, gemeinsames Handeln und Wirtschaften in einem gemeinsamen Europa können wir das erreichen.

Aber nicht nur Kriege und Gewalt hat Europa hervorgebracht. Besonders attraktiv macht die europäische Projektarbeit die kulturelle Vielfalt, die Reisen in die vielen schönen und interessanten Städte. Wenn ich irgendwo ein Projektmeeting habe, dann nehme ich mir vor, wenn immer es geht, etwas von dieser Kultur mitzubekommen. Nach Lissabon fliegen, Meeting im Hotel machen, zurückjetten – ohne wenigstens einmal mit der Straßenbahn durch Alfama geknattert zu sein – das geht gar nicht!

.Was man alles so lernt

2004 kam das erste europäische Projekt und damit ein neuer Erlebnisraum. Als normaler Arbeitnehmer hat man mit normalen Aufgaben und Zielen zu tun, mit normalen Kolleginnen und Vorgesetzen. Und nun dies: Ein vielseitiger, sprachlich (in etwas verzweifelter englische Übersetzung) verschwurbelter Antragstext mit einem offenkundig unterfinanziertem Budget (Chef: „Und wer zahlt die Eigenbeteiligung?“) ist nun jenseits des Alltagsbetriebs mein Leitfaden. Ein „Steering Committee“ tritt plötzlich in mein Leben, ein Kollege aus Finnland, der unendliche Satzketten in perfektem Englisch von sich gibt, und ein ebensolcher aus Portugal, der in völlig unperfektem Englisch (?) ähnlich intensive Inputs einbringt. Aber doch: die Truppe ist kreativ, innovativ und produktiv. Man muss diese Vielfalt akzeptieren und mit Gewinn wirken lassen. Wir leisten echte Pionierarbeit, die überall Anerkennung findet. Nur, um ehrlich zu sein, in meiner Organisation höchstens insofern bemerkt wird, weil ich mal wieder „irgendwo in Europa“ bin.

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Professionelle Projekteuropäer

Praktische Projektarbeit.
Kommunikative und kulturelle Kompetenz, Sprache, Projektmanagement, Innovation und Kreativität – die unmittelbar Beteiligten lernen sehr viel und können beruflich wie persönlich großen Nutzen von der Projektarbeit gewinnen. Ein Transfer in die dahinterstehende Organisation ist aber wohl der schwierigere Teil des Lernprozesses. So hat sich bis heute ein Netzwerk von professionellen Projekteuropäern in der Erwachsenenbildung entwickelt. Die Gruppe kennt sich bestens in dem Metier aus, viele haben mittlerweile eigene Projektberatungs- und Durchführungsorganisationen gegründet. Anträge schreiben, Budgets berechnen, innovative Konzepte entwickeln, Produkte erstellen – für die Qualität der Projektarbeit kann die Bündelung der Kompetenzen viele Vorteile bringen.

Für mich ist es mittlerweile so, dass wir als „richtige“ Einrichtung der Erwachsenenbildung ein begehrtes Objekt auf dem Heiratsmarkt der Partnerschaften sind. Teilnehmende mit Migrationshintergrund? Dozentinnen und Dozenten, die Bedarf in Sachen Digitalität haben? Umweltschutz? Inklusion? Es ist eben von entscheidendem Vorteil, wenn sich die Projekte nicht zu sehr von der Wirklichkeit vor Ort entfernt. So hat sich jetzt auch bei uns ein eigener Fachbereich „Projektentwicklung“ gebildet, dem ich mich nun vollständig widme. Früher waren Projekte on top zusätzliche Arbeit (und Belastung) – jetzt sind sie alleiniger Zweck des Fachbereichs, und plötzlich tauchen Begriffe wie „Controlling“, „Arbeitszeitnachweise“, „Kosten-Nutzen-Rechnung“ auf…

Ach ja: Die Produkte, vielfältig und kreativ

Natürlich produzieren wir in den Projekten etwas. In den ersten Jahren gehörte auch das europäische Zusammenwachsen, das Teambuilding, die interne Kommunikation zu den gewünschten Projektzielen. Das ist (leider) ganz verschwunden – geblieben ist aber die Konzentration auf die Entwicklung von innovativen Produkten, die möglichst nachher genutzt werden sollen.

Ich erinnere mich an eine der vielen Beratungsveranstaltungen zur EU-Projektförderung in Bonn, dort sagte eine Kollegin: „Wir wollen, dass Sie die Freiheit haben, etwas Neues zu entwickeln. Das sind Projekte, keine Aufträge.“ Jede und jeder hatte schon das ungute Gefühl, viel Mühe und Kraft (und EU-Geld) in ein Produkt zu stecken, das dann eigentlich gar nicht so richtig gebraucht wird. Landen all diese schönen Curricula, Lerntools, Leitfäden und Handbücher im Limbus der vergessenen Projektprodukte? Diese Kollegin sagte auch: „Die Ergebnisse sollen auch Anregungen geben für weitere Entwicklungen, Ideen anstoßen, eine große Vielfalt abbilden, in der man immer wieder etwas Passendes für die eigene praktische Arbeit finden kann.“

Es werden viele tolle Dinge mit der EU-Förderung entwickelt. Wer die Ergebnis-Datenbank von Erasmus+ durchblättert, sich die Best-Practice-Beispiele hier auf EPALE einmal anschaut, kann sich für seine praktische Arbeit nicht nur fantastische Anregungen holen,  sondern die Bildungsmaterialen lizenzfrei als Open Education Ressource (OER) nutzen. Ich habe es mir jetzt zur Angewohnheit gemacht, regelmäßig diese Quellen anzusehen und auch über meine Medien zu verbreiten.

Aus meinem ersten Projekt wurde ein Netzwerk, das insgesamt zehn Jahre lang gut funktioniert hat (und immer wieder EU-Projektmittel erhalten hat), schließlich mit einem damals bestehenden Angebot fusioniert ist und so heute noch besteht. Die Ergebnisse selber ruhen wohl irgendwo im Produktlimbus, aber die Strukturen und das Know-how haben bis heute Bestand. Und da kann ich nur sagen: Es lohnt sich!


EPALE-Botschafter Michael Sommer.
Über den Autor

Michael Sommer ist Redakteur der Zeitschrift „Erwachsenenbildung“ und des Online-Magazins European Lifelong Learning Magazine ELM (www.elmmagazine.eu) sowie Mitarbeiter der Akademie Klausenhof. Er hat 2004/5 das European InfoNet Adult Education zur Verbreitung und Austausch von Berichten und Nachrichten rund um die Erwachsenenbildung gegründet und zehn Jahre lang koordiniert. Erfahrungen aus InfoNet sind in die Entwicklung von EPALE eingeflossen. InfoNet ist mit dem Vorgängermagazin von ELM fusioniert. Derzeit ist er Koordinator oder Projektpartner zahlreicher Erasmus+-Projekte (z.B. www.stop-child-abuse.net).

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