Politische Erwachsenenbildung und Partizipation

Die politische Erwachsenenbildung hat sich das Ziel gesetzt, die Partizipation von Erwachsenen zu erhöhen – und zwar im Bereich des Politischen. Die Österreichische Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB) definiert politische Bildung wie folgt:
„Wir verstehen politische Bildung als angeleitete und institutionalisierte Möglichkeit der Reflexion über das Politische, um kritisches Bewusstsein, selbständige Urteilsfähigkeit und politische Mitgestaltung zu fördern. Gezielt in Gang gesetzte Reflexionsprozesse über Politik und Gesellschaft können individuelle und strukturelle Veränderungspotenziale verstärken, Handlungsoptionen eröffnen und konkrete Interventionen ermöglichen.“
Die zentralen Schlagwörter dieser Definition sind politische Mitgestaltung, Veränderungspotenziale, Handlungsoptionen und Interventionen. Ob die entsprechenden Ziele zu erreichen sind, hängt von bestimmten Rahmenbedingungen ab. Diese liegen wiederum selbst in der Sphäre des Politischen. Aktuell lassen sich einige Hürden auf den „Wegen zur aktiven Beteiligung“, wie sie im Konferenztitel erwähnt werden, feststellen.
Diskussion auf der EPALE Konferenz © OeAD APA-FotoserviceHörmandinger
Drei Hürden auf dem Weg zu Partizipation
Drei Tendenzen erscheinen mir besonders relevant: 1.) Autoritäre Wende, 2.) Verschwörungstheorien und Desinformation, 3.) exklusive Demokratie. Sie sollen im Folgenden skizziert und anschließend Lösungsvorschläge aus Perspektive der politischen Erwachsenenbildung präsentiert werden.
Autoritäre Wende
Unter dem Begriff der „Autoritären Wende“ werden Entwicklungen subsumiert, die einen politischen und gesellschaftlichen Autoritarismus vorantreiben.. Wesentliches Merkmal der autoritären Wende ist eine zunehmende Machtverschiebung von der Legislative zur Exekutive. Bei der Bearbeitung der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 ließ sich beobachten, wie die damals neu geschaffene „Troika“ (bestehend aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Kommission) dem EU-Mitgliedsland Griechenland strenge Sparmaßnahmen auferlegte. Diese Austeritätspolitik wurde von einer nicht-gewählten institutionellen Kooperation verordnet und hatte verheerende Auswirkungen auf die griechische Bevölkerung. Ein weiteres Beispiel für die Machtverschiebung von Legislative zu Exekutive lässt sich in Frankreich finden. Dort verhängte die politische Exekutive nach dem islamistischen Terroranschlag von 2015 einen Ausnahmezustand, der vom damaligen Staatspräsidenten François Hollande in den zwei Folgejahren mehrmals verlängert wurde. Die zentralen Regelungen dieses Ausnahmezustandes überführte der nachfolgende Präsident Emmanuel Macron in Form eines verschärften Sicherheitsgesetzes in nationales Recht. Auch die „illiberale Demokratie“, also eine autoritäre Spielart der repräsentativen Demokratie, ist wesentlicher Bestandteil einer Autoritären Wende. In Ländern wie Ungarn, der Türkei oder Russland existieren die institutionellen Anforderungen einer Demokratie, doch die Bevölkerung ist in der Ausübung von Grundrechten teils massiv eingeschränkt. Es lassen sich ein Mangel an Freiheitsrechten (z.B. Einschränkung der Opposition), staatliche Kontrollen von Medien sowie Verbote von NGOs beobachten. Staaten mit autoritären Elementen zielen auf inaktive Bürger*innen und verhindern so ihre Partizipation.
Verschwörungstheorien und Desinformation
Während der Covid-Pandemie kamen einerseits neue Verschwörungstheorien auf, andererseits erstarkten bereits existierende Verschwörungstheorien – gemein ist ihnen der zugrundeliegende Antisemitismus. Zudem erhielt in den vergangenen Jahren Desinformation, also das gezielte Verbreiten von Falschinformationen, mehr Bedeutung. Beide Phänomene bewirken ein „Schein-Informiert-Sein“ („Wir sind die einzigen, die die Wahrheit kennen!“) und ein „Schein-Aktiv-Sein“ („Wir decken die große Verschwörung auf!“) und erschweren somit die politische Beteiligung von Bürger*innen.
Exklusive Demokratie
Der Begriff der „Exklusiven Demokratie“ umfasst zwei Dimensionen: Die Verknüpfung des Wahlrechts mit der Staatsbürgerschaft und die Korrelation der Wahlbeteiligung mit sozialer Ungleichheit. In Österreich haben Nicht-Staatsbürger*innen kein Wahlrecht (Ausnahme: Unionsbürger*innen, die auf Gemeine- bzw. Bezirksvertretungsebene wählen dürfen). Dies führt dazu, dass immer mehr in Österreich lebende Menschen vom Wahlrecht ausgeschlossen sind. Um die politische Inklusion zu stärken, hätte der Gesetzgeber die Möglichkeit, über das Rechtsinstrument der Einbürgerung gegenzulenken. Jedoch herrscht hierzulande ein restriktives Einbürgerungsregime mit hohen Hürden für Einbürgerungen, was bewirkt, dass Österreich eine der geringsten Einbürgerungsraten in der EU aufweist. Auch soziale Ungleichheit gilt es zu thematisieren, wenn über die Hürden bei der Beteiligung von Erwachsenen gesprochen wird. Der Politikwissenschafter Armin Schäfer zeigte bereits 2015 in seinem Buch „Der Verlust politischer Gleichheit", dass der Rückgang der Beteiligung höchst ungleich erfolgt, da vor allem arme Bevölkerungsgruppen bzw. Arbeiter*innen Wahlen zunehmend fernbleiben. Dieser Verlust politischer Gleichheit wird auch nicht von anderen Beteiligungsformen ausgeglichen, da ehrenamtliches und politisches Engagement positiv mit Bildung und Einkommen korreliert. In einer „exklusiven Demokratie“ lässt sich ein struktureller Ausschluss bestimmter Bevölkerungsgruppen von Beteiligungsprozessen beobachten.
Aus den beschriebenen Tendenzen 1.) Autoritäre Wende, 2.) Verschwörungstheorien und Desinformation, 3.) exklusive Demokratie ergibt sich ein ambivalentes Verhältnis zwischen dem Politischen und der politischen Bildung. Denn einerseits sind politische Bildner*innen mit den Hürden auf dem Weg zu Partizipation konfrontiert, auf der anderen Seite sollen sie Beteiligung stärken. Politische Erwachsenenbildner*innen können diese Hürden nicht allein überwinden, nichtsdestoweniger lassen sich einige Ansatzpunkte finden, um Partizipation zu fördern.
Vorschläge für die politische Erwachsenenbildung
Den drei Hürden auf dem Weg zur Partizipation stelle ich drei Vorschläge zur Förderung von Partizipation entgegen. Sie sind als erste Anregungen gedacht und erfordern eine tiefergehende Auseinandersetzung und Erprobung in der Praxis.
Problematisierung der Gegenüberstellung von Demokratie und Diktatur
Im öffentlichen Diskurs, aber auch in der politischen Bildung ist die Darstellung politischer Systeme mittels Unterscheidung von Demokratie und Diktatur weit verbreitet – verfehlt dabei jedoch den Kern gegenwärtiger Probleme. Unter der Berücksichtigung aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen gilt es, Zwischenformen wie „illiberale Demokratien“ in der politischen Bildung verständlich zu machen. Oft wird in der politischen Bildung betont, dass Demokratie nicht nur ein Herrschaftssystem, sondern eine Lebensform sei. Viele Lernende fragen sich wohl zurecht, wo in ihrem Leben die Demokratie bleibt, wenn sie von dieser ausgeschlossen werden bzw. wesentliche Bereiche wie Schule, Arbeitsplatz, aber auch Erwachsenenbildung, nicht besonders demokratisch organisiert sind. Es ist zweifelsohne wichtig, die Möglichkeiten von Demokratien aufzuzeigen, gleichzeitig sollte ihre Überhöhung hinterfragt werden, auch um Frust bei Lernenden vorzubeugen.
Lebensweltbezug stärken
„Erwachsene sind nicht belehrbar“, war der 2022 verstorbene Erziehungswissenschafter und langjährige Professor für Erwachsenenbildung Horst Siebert überzeugt. Aus dieser Feststellung ergibt sich die Notwendigkeit, lebensweltliche Themen, Methoden und Zugangsbedingungen auch in der politischen Erwachsenenbildung zu forcieren. Ausgangspunkt ist demnach das, was Lernende in ihrem alltäglichen Leben erfahren und bewegt. Eine der zentralen Herausforderungen der politischen Bildung ist der Umstand, dass vor allem jene Personen an Veranstaltungen teilnehmen, die ohnehin schon ein Interesse für und ein Wissen über die behandelten Themen aufweisen – gewissermaßen bleibt die politische Bildung also selbst nicht vor Echokammern und Filterblasen verschont. Daher gilt es, lebensweltliche Bedingungen auch bei der Konzeption und Bewerbung sowie der Auswahl von Ort und Zeit der Veranstaltungen zu berücksichtigen. Angebote für strukturell ausgeschlossene Bevölkerungsgruppen zu schaffen und dabei zu betonen, dass Menschen nicht aufgrund ihres eigenen Versagens oder geringer Anstrengungen (bildungs-)benachteiligt sind, sondern herrschende Rahmenbedingungen ihnen die Teilhabe erschweren, kann als weitere wichtige Aufgabe identifiziert werden. Dabei geht es nicht vorrangig darum, etwas für die Zielgruppe anzubieten, sondern mit den Lernenden Bildungsangebote zu planen und gestalten.
Bessere Verankerung und Finanzierung der politischen Erwachsenenbildung
Zuletzt möchte ich einen möglicherweise naheliegenden, zugleich jedoch zentralen Vorschlag für die Förderung von Partizipation anführen: bessere Verankerung und Finanzierung der politischen Erwachsenenbildung. In Österreich existieren zweifelsohne viele Organisationen und Vereine, die engagierte politische Bildungsarbeit leisten. Sie sollten durch gesellschaftliche Akzeptanz, öffentliche Förderung und ausreichende Institutionalisierung von politischer Bildung weiter gestärkt werden, um längerfristig auch politische Partizipation zu fördern.
Über diesen Blog:
Der Beitrag basiert auf einem Key Note Beitrag im Rahmen der EPALE und Erasmus+ Konferenz 2024 „Partizipation im Fokus: Wege zur aktiven Beteiligung durch Erwachsenenbildung“
Über die Autorin:
Sonja Luksik, MA, studierte Politikwissenschaft an der Universität Wien und der Centre Européen Universitaire (CEU) in Nancy, Frankreich. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Trainerin im Geschäftsbereich „Bildungsangebote – Projektberatung“ der Österreichischen Gesellschaft für Politische Bildung (ÖGPB) und Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft Politische Bildung (IGPB).
https://politischebildung.at/
Literatur:
Bauböck, Rainer; Valchars, Gerd: Migration und Staatsbürgerschaft. Wien: ÖAW Verlag 2021. https://austriaca.at/0xc1aa5576_0x003cce28.pdf
Fauth, Lea (2018): „Frankreich: Der Ausnahmezustand als Regelfall“. In: https://www.blaetter.de/ausgabe/2018/januar/frankreich-der-ausnahmezust…
ÖGPB-Grundsatzpapier „Politische Bildungsarbeit in der Erwachsenenbildung“: https://www.politischebildung.at/upload/oegpb_image_folder_2018.pdf
Schäfer, Armin (2015): Der Verlust politischer Gleichheit. Warum die sinkende Wahlbeteiligung der Demokratie schadet. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2015
Wagner, Antonia (2020): Exklusive Demokratie. Vom Wahlrechtsausschluss fremder Staatsangehöriger. In: Die Armutskonferenz et al. (Hrsg.): Stimmen gegen Armut. BoD-Verlag, S. 207-212. https://www.armutskonferenz.at/media/wagner_exklusive-demokratie_2020.p…
Kommentar
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Paldies!
Materiāls noderēs pieaugušo izglītotājiem. Vajadzīgi faktos balstīti argumenti, lai runātu ar dažādi domājošiem izglītojamajiem.
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Zwischenformen zwischen Demokratie und Diktatur
Liebe Sonja,
ich finde den Beitrag sehr toll! Welche Zwischenformen zwischen Demokratie und Diktatur gibt es, wodurch zeichnen sich diese aus? Darüber ein Blog-Artikel wäre super fein! Viele (ich ;)) wissen dazu noch zu wenig.
Herzlich
Petra Steiner, wba
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Liebe Petra,vielen Dank für…
Liebe Petra,
vielen Dank für deine Rückmeldung!
Eine Zwischenform zwischen Demokratie und Diktatur erwähne ich im Blogbeitrag:
Auch die „illiberale Demokratie“, also eine autoritäre Spielart der repräsentativen Demokratie, ist wesentlicher Bestandteil einer Autoritären Wende. In Ländern wie Ungarn, der Türkei oder Russland existieren die institutionellen Anforderungen einer Demokratie, doch die Bevölkerung ist in der Ausübung von Grundrechten teils massiv eingeschränkt. Es lassen sich ein Mangel an Freiheitsrechten (z.B. Einschränkung der Opposition), staatliche Kontrollen von Medien sowie Verbote von NGOs beobachten. Staaten mit autoritären Elementen zielen auf inaktive Bürger*innen und verhindern so ihre Partizipation.
Im Rahmen der ÖGPB-Vortragsreihe "Wählen als Streitthema im Wahljahr" wird sich ein Vortrag dem erstarkenden Autoritarismus widmen, herzliche Einladung dazu und insgesamt zur Reihe!
Di., 26. November 2024, 19:00 Uhr, Depot, Wien
Janine Heinz: „Neuer“ Autoritarismus?
Mangelnde Glaubwürdigkeit, Wissenschaftsskepsis und eine Überhöhung der individuellen Freiheit – die Erklärungsansätze für die Zugewinne rechts-autoritärer Parteien sind vielfältig. Der Vortrag bietet einen Überblick darüber und geht auf Krisen-Erfahrungen, Medienkonsum und Verschwörungstheorien ein. Dazu werden Forschungsergebnisse aus Österreich herangezogen. Deutlich wird: Autoritäre Haltungen werden undurchsichtiger, es bestehen jedoch Anknüpfungspunkte für gesellschaftliche Solidarisierung.
Janine Heinz, Sozialforscherin, Wien
https://politischebildung.at/bildungsangebote/vortragsreihe-zur-politischen-erwachsenenbildung/
Liebe Grüße,
Sonja
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Politiskās izglītības nepieciešamība
Jā, arī Vācijā viens no izglītības virzieniem ir politiskā izglītība - Politische Bildung. Ar interesantām lekcijām un pasākumiem, kas pieejami visiem. Jo, lasot tikai priekšvēlēšanu aģitāciju,, nevar gūt izpratni par politiku. Mums Latvijā vajadzētu vairāk par to domāt.