„Ich glaube felsenfest daran, dass der Sport verbindet.“

Wie können wir Strafgefangene darauf vorbereiten, sich nach ihrer Entlassung wieder in die Gesellschaft einzugliedern? Und welche Rolle spielt dabei der Sport? Das war Thema einer Gesprächsrunde mit Peter Dohmen, Projektleiter beim Westdeutschen Handwerkskammertag und Vorsitzender des Baseballvereins BSV Wassenberg, Alexandra Nowack-Dittmer, Trainerin beim BSV Wassenberg, und Leif Herfs, Sportbeamter in der Jugendvollzugsanstalt Heinsberg. Inhaltlich ging es dabei um Erkenntnisse und Erfahrungen aus dem Erasmus+-Projekt NEXT STEPS.
Was verbirgt sich hinter NEXT STEPS?
Dohmen: Mit dem Projekt, das bis Juni 2024 lief, wollten wir aufzeigen, wie es möglich ist, Menschen, die einen schwierigen Stand in der Gesellschaft haben, mitzunehmen und ihnen die Rückkehr in den Alltag zu erleichtern. Hintergrund ist, dass es zahlreiche ehemalige Inhaftierte gibt, die den Weg zurück in die Gesellschaft nicht schaffen oder rückfällig werden. Im Projekt haben wir eng mit der Justizvollzugsanstalt Heinsberg (JVA Heinsberg) zusammengearbeitet. Ziel war es, zugleich einen arbeitsmarktrelevanten Beitrag zu leisten und den Beteiligten Perspektiven im Handwerk aufzuzeigen.
Welche Rolle spielte dabei der Sport?
Dohmen: Der Sport war und ist hier eine Art „Türöffner“. Wenn die Gefangenen mit uns arbeiten, dann ist das komplett anders als wenn ein Bediensteter in Uniform eine Sprechstunde anbietet. Wir begegnen uns quasi auf Augenhöhe und gewinnen Einblick in die Bedürfnisse der Inhaftierten. Das Besondere bei NEXT STEPS ist für mich dabei die enge Verzahnung zwischen Handwerk, Sport und Vollzugsanstalten. Daraus resultieren sehr gute Effekte.
Seit wann gehen Sie mit dem Angebot in die JVA? Und wie war das zu Beginn?
Nowack-Dittmer: Wir machen das jetzt seit November 2016, also seit fast acht Jahren. Wenn ich zurückdenke, muss ich sagen, dass ich anfangs schon ein mulmiges Gefühl hatte, auch weil es immer bestimmte Bilder und Vorurteile in unseren Köpfen gibt. Ich habe jedoch schnell gemerkt, dass ich mit viel Respekt behandelt werde und für die Stunden in der JVA einfach „die Trainerin“ bin. Mittlerweile freue ich mich richtig darauf, weil die Jungs einem durch die Art und Weise, wie sie trainieren, sehr viel zurückgeben.
Herr Herfs, Sie sind jetzt seit 17 Jahren Sportbeamter in der JVA. Was macht der Sport mit den jugendlichen Straftätern?
Herfs: Dass sich Sport positiv auf Gesundheit und Stimmungslage auswirkt, ist unbestritten. Gerade im Gefängnis ist es ein guter Ansatz, um den Jungs eine gesunde Lebensweise aufzuzeigen. Oft hatten sie in der Vergangenheit Kontakt zu Drogen oder ähnliches – der Sport kann ihnen helfen, wieder zu sich selbst zurückzufinden. Das passiert auf mehreren Ebenen: einmal auf der Ebene der körperlichen Fitness, zugleich aber auch beim Selbstvertrauen und der der mentalen Gesundheit. Uns geht es darum, immer den ganzen Menschen anzusprechen.
Warum eignet sich gerade der Baseball-Sport dazu?
Dohmen: Gerade in unseren Breitengraden kennen wir Baseball eigentlich kaum, weil wir anders als in den USA nicht damit groß werden. Hinzu kommt, dass wir es nicht mit einem gespiegelten Feld zu tun haben, auf dem die linke Seite des Feldes genau dasselbe macht wie die rechte Seite – wir müssen hier also immer wieder komplett umdenken. Das ist für die Gefangenen – wie für jeden anderen auch – eine echte Herausforderung.
Nowack-Dittmer: Das Tolle ist, wie gut sie sich darauf einlassen. Das merken wir auch an den Fragen, die kommen, wenn wir die Regeln oder die englischsprachigen Fachbegriffe erklären. Ich habe das Gefühl, die möchten das alles gerne lernen und sagen: „Zeig mal, wie das geht und was wir machen müssen“. Zudem haben sie eine große Lust auf Spiel und Bewegung.
Kann es dabei nicht auch zu Konflikten kommen?
Herfs: Klar, das sind Dinge, die immer in Gruppensportarten und Gemeinschaftsaktionen passieren können. Irgendwer macht eine Aktion, ein anderer muss darauf reagieren … unter Umständen kommen auch Entscheidungen des Schiedsrichters hinzu. Wenn Du im Sport agierst, hat das immer mit Spontaneität und Emotionen zu tun. Da fallen irgendwann die Fassaden, denn im Sport sieht man das wahre Gesicht eines Menschen. – Das ist genau das Setting, das wir brauchen, um häufig verkannte Fähigkeiten der Gefangenen zu sehen: von Konfliktfähigkeit über Einsatzbereitschaft bis zu Kommunikations- und Teamfähigkeit. Der Sport kann hier neue Sichtfenster öffnen. Wichtig dazu ist, dass die Beteiligten sich an eine Situation zurückerinnern und hinterfragen, warum sie auf eine bestimmte Art und Weise reagiert haben. Diese Form der Reflektion gelingt über den Sport manchmal leichter als über andere Alltagssituationen …
Spielt es eine Rolle, dass regelmäßig jemand „von außen“ kommt und mit den Jugendlichen trainiert?
Herfs: Auf jeden Fall, und ich möchte vor allem das Wort „regelmäßig“ unterstreichen. Dass Fußballvereine zu uns kommen und mal ein Freundschaftsspiel machen, passiert jeden Monat einmal, irgendwo in einem Gefängnis in Deutschland. Aber dass eine derartige Kooperation acht Jahre lang funktioniert und auch heute noch positive Ergebnisse liefert, das ist schon toll. Aus einem einmaligen Spieltag vor acht Jahren sind schließlich gleich mehrere Erasmus+-Projekte entstanden – neben NEXT STEPS beispielsweise das Projekt SPORT CAMPS mit der JVA Bremen und das gerade erst gestartete Projekt „Perspektive“, bei dem wir den Sport über erlebnispädagogische Angebote integrieren wollen.
Wie muss ich mir das vorstellen?
Dohmen: Wie auch bei den anderen Projekten handelt es sich um eine Strategische Partnerschaft im Programm Erasmus+, in diesem Falle mit elf Partnerorganisationen und fünf Haftanstalten aus Deutschland, Griechenland, Italien, Island und Rumänien. Gemeinsam mit den Expertinnen und Experten der Talentbrücke GmbH & Co. KG aus Köln erarbeiten wir ein Handbuch zum Thema Erlebnispädagogik. Wir wollen versuchen, die Gefangenen über individuelle Angebote aus Sport und Spiel in eine Wachstumszone zu bekommen, ohne sie zu überfordern. Dazu muss man behutsam vorgehen und mit kleinen Schritten arbeiten. Ich glaube, dass es sowohl für Trainer als auch für Sportlehrer enorm wichtig ist, für jeden Sportler und jede Sportlerin die passende Rolle zu finden. Die Innovation bei „Perspektive“ ist, dass wir erstmal überhaupt ein Netzwerk europäischer Haftanstalten auf der konkreten Arbeitsebene etablieren wollen.
Zurück zu NEXT STEPS: Wie groß ist die Gruppe beim Baseballtraining?
Herfs: Im Regelfall sind das knapp 15 Leute. Das ist für die, die dabei sind, eine Art Bonus. Die Gefangenen können durch gutes Benehmen alles dafür tun, dass sie an dem Event teilnehmen dürfen. Das ist ein sehr gutes Anreizsystem und diszipliniert die Jungs.
Nowack-Dittmer: Ich kann dazu ein gutes Beispiel erzählen. Vor kurzem hat mir ein Inhaftierter erzählt, dass er während der Haftzeit unfassbar viel gelernt und noch nie in seinem Leben soviel Sport gemacht habe. Der Sport sei für ihn extrem wichtig, um nicht soviel „auf Zelle sein“ zu müssen und immer wieder einen Ausgleich zu finden. Das gelte gerade auch für die Strukturen, die es beim Sport braucht. Viele kennen das vorher so gar nicht, sie haben nie oder selten in ihrem Leben klare Strukturen erlebt und etwas zu Ende gebracht.
Kann man sagen, dass derartige Projekte zeigen, was der Sport als Lernort auch gesellschaftlich leisten kann?
Herfs: Ja, und dabei spielt es eine große Rolle, dass die Insassen der JVA lernen, ihre Emotionen zu kontrollieren und miteinander statt gegeneinander zu agieren. Gerade im Teamsport können soziale Barrieren abgebaut werden, der Sport kann ein hervorragendes Mittel zur Integration sein. Man muss sich ja nur einmal anschauen, wie viele unterschiedliche Nationalitäten, Sprachen und Kulturen in einer ganz normalen Fußballgruppe am Samstagnachmittag zusammenkommen. Ich glaube felsenfast daran, dass der Sport verbindet. Bei alledem wird das Thema „Lernort Sport“ – zumindest im Kontext eines Gefängnisses – immer noch ein wenig unterschätzt. Deshalb wünsche ich mir, dass wir das Projekt „Perspektive“ nutzen können, um es stärker in den Fokus der JVAs zu rücken. Ich möchte andere Akteure davon überzeugen, dass sie durch den Sport Jugendliche viel einfacher ansprechen können als auf herkömmlichen Wegen.
Dohmen: Meiner Ansicht nach passt der Begriff vom „Lernort Sport“ übrigens nicht nur nach innen. Bei unserer Arbeit im Projekt NEXT STEPS ist es uns sehr bewusst geworden, dass das Thema Vorurteile – wenn wir von Inhaftierten reden – auf vielen verschiedenen Ebenen mitschwingt. Sei es beim Zugang zu Betrieben oder allgemein bei der Rückkehr in die Gesellschaft. Wer den Kosmos hinter Gittern nicht kennt, bringt seine eigenen Vorurteile mit, die durch Filme und Medienberichte geprägt sind und bei denen meist das Negative im Vordergrund steht.
Was machen acht Jahre Arbeit in der JVA mit einem Sportverein?
Dohmen: Das ist eine sehr interessante Frage. Wir als Verein haben so die Chance erhalten, unseren Nischensport in einem ganz anderen Licht darzustellen. Das rückt uns immer wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses. Zugleich wollen wir aber auch eine gesellschaftliche Aufgabe wahrnehmen und andere Sichtweisen in den Verein hineinbringen. Das Engagement erdet, es weitet den Blick für den Rand der Gesellschaft und offenbart uns Einblicke in die Welt von Menschen, die mit ihrem Leben anders zurechtkommen müssen als wir. Das Verbindendende dabei ist der Sport. Und wir als Trainer agieren immer auch ein Stück weit wie ein Sozialarbeiter.

Hintergrundinfo: Die JVA Heinsberg ist eine Vollzugsanstalt für männliche, jugendliche Straftäter im Alter von 14 bis 24 Jahren. Sie ist mit 566 Haftplätzen die größte Jugendstrafanstalt in NRW.
Mehr zum Erasmus+-Projekt NEXT STEPS erfahren Sie auf der Website https://nextsteps.whkt.de/de/content/ueber-uns. Informationen zu den Projekten „Perspektive“ und SPORT CAMPS gibt es unter https://perspektive-project.eu bzw. https://bsv-wassenberg.de/sportcamps/.
Foto Header: Alexandra Nowack-Dittmer/BSV Wassenberg)
I agree with the text and…
I agree with the text and think it’s great how it highlights the role of sports as an opportunity for education and integration for young offenders. What I find particularly interesting is that sports not only promote physical fitness but also teach important social skills like teamwork, emotional control, and discipline. I really like how projects like “NEXT STEPS” and “Perspektive” are described because they show how innovative sports can be as a tool for reintegration. I also think it’s important that the reflection on prejudices against former prisoners is addressed—it really encourages people to think.