Gesundheit und Gesundheitliche Ungleichheit

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Zusammen im Quartier - Gesundes Aufwachsen
Im Rahmen des Förderprogramms „Zusammen im Quartier – Kinder stärken – Zukunft sichern (ZiQ)“ fördert das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen seit 2018 mit jährlich bis zu acht Millionen Euro aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds und Landesmitteln Projekte zur Bekämpfung von Kinder- und Jugendarmut in benachteiligten Stadtquartieren. Ziel ist es über niederschwellig angelegte Projekte, Hilfsangebote vor Ort einzurichten, deren Ansatz die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten von Menschen, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, unterstützt und so zu einer positiven Zukunftsgestaltung der Menschen im Quartier beiträgt. Gefördert werden aktuell rund 110 Projekte die in den Projektbausteinen „Bezugspersonen im Quartier“ und „Gesundes Aufwachsen“ aktiv sind. Im Rahmen eines in der Zeit vom 27.-29.06.2022 in Linz (A) durchgeführten Erasmus+ Projekttreffens zum Thema "Health begins in the families - Prevention and health promotion for families in precarious circumstances in Europe" stand u.a. die Frage nach den Ausprägungen und Auswirkungen gesundheitlicher Ungleichheit. In diesem Kontext war die G.I.B. als fachliche Begleitung des ZiQ-Förderprogramms eingeladen einen Input zum Themenfeld „Gesundheitliche Ungleichheit“ sowie Einblicke in die sozialräumlich Projektarbeit zu gewähren.
Gesundheit und Gesundheitliche Ungleichheit
Obwohl Deutschland zu den westlichen Industrienationen gehört, in denen die Bevölkerung an einem hohen allgemeinen Lebensstandard und einem gut ausgebauten sozialen Sicherungssystem teilhaben kann, sind laut Robert-Koch Institut diese Ressourcen in der Bevölkerung ungleich verteilt. Arme und sozial benachteiligte Menschen sind sehr häufig auch gesundheitlich benachteiligt. Insbesondere wirken sich sozioökonomische Unterschiede beim Gesundheitsstatus von Kindern und Jugendlichen aus. Deutlich wird dies laut Gesundheitsbericht des Bundes 2018 bereits bei der Schuleingangsuntersuchung: Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche weisen deutlich höher körperliche, psychische, kognitive, sprachliche und motorische Entwicklungsdefizite auf als vergleichsweise Gleichaltrige aus bessergestellten Familien. Die Gesundheitskompetenz bezüglich einer gesundheitsfördernden Ernährung, d.h. die Fähigkeit Gesundheitsinformationen zuerkennen, zu bewerten und anzuwenden, ist bei Menschen mit niedrigem Einkommen und niedrigem Bildungsstand oft nicht so ausgeprägt wie bei Personengruppen mit höherem Einkommen und Bildungsgrad. Eine besondere Rolle im Ernährungsverhalten spielt in Fachkreisen das individuelle „Ernährungsumfeld“. Das Ernährungsumfeld beinhaltet beispielsweise die Verfügbarkeit, die Zugänglichkeit, die Zusammensetzung, die Portionsgrößen, die Präsentation und die Bewerbung von verschiedenen Lebensmitteln und Getränken. Es bezieht somit auch finanzielle Ressourcen, individuelles Verhalten sowie soziale und kulturelle Einflüsse ein. Dass neben einer gesunden Ernährung, auch die körperliche Aktivität, die eigene Vitalität und das Wohlbefinden steigert, Heilungsprozesse unterstützt und Erkrankungen verhindern kann, ist in vielen Studien belegt. Trotzdem leiden nach Angaben des Landeszentrums Gesundheit Nordrhein-Westfalen (LZG.NRW) etwa 80 – 90 Prozent der Erwachsenen in Deutschland an Bewegungsmangel. Nach Schätzungen der WHO sterben jedes Jahr 3,2 Millionen Menschen vorzeitig an den Folgen körperlicher Inaktivität. In unteren gesellschaftlichen Schichten und bei Angehörigen einer ethnischen Minderheit ist der Umfang an sportlicher Freizeitaktivität geringer als bei jenen mit einem höheren sozioökonomischen Status und bei deutschstämmigen Personen.
Politik für eine gesunde Ernährung
Zwischen sozialer und gesundheitlicher Situation eines Individuums besteht nachweislich eine enge Verbindung. Welche Maßnahmen könnten helfen, die Gesundheitssituation der Menschen in Deutschland, besonders aber in Städten oder Stadtteilen mit armen und von Armut bedrohten Bewohner*innen, zu verbessern? Eine Veröffentlichung des Lehrstuhls für Public Health und Versorgungsforschung der Ludwig‐Maximilians‐Universität München (LMU München) und des Leibniz Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten „Policy Evaluation Network“ zeigt mögliche bzw. notwendige Interventionen von den politischen Ebenen von Europäischer Union (EU) bis zur Kommune auf. Zentral ist dabei die Entbindung gesunder Lebensmittel von der Mehrwertsteuer, eine Herstellerabgabe auf Süßgetränke und das Angebot einer qualitativ hochwertigen Verpflegung in kommunalen Kitas, Schulen, Kliniken und anderen öffentlichen Einrichtungen.
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“Health begins in the family” – Gesundheitsförderung von Familien in Europa
Bereits im Kindesalter, zum Teil sogar schon vor der Geburt, wird die Basis für die gesundheitliche Entwicklung im Leben angelegt. Gesundheitsbezogene Einstellungen und Verhaltensmuster, die sich in jungen Jahren ausbilden, haben oftmals bis ins Erwachsenenalter hinein Bestand. Jedoch: Die meisten gesundheitlichen Einflussfaktoren lassen sich positiv beeinflussen und sind gestaltbar. Hier können Förderangebote aufklären, unterstützen und motivieren, die persönlichen Gesundheitsressourcen und -potenziale zu stärken und die Verantwortung für das eigene Wohlbefinden zu erhöhen. Hilfreich für die passgenaue Entwicklung und Platzierung solcher Fördermaßnahmen ist das Wissen über räumliche Unterschiede zur gesundheitlichen Lage und die Erfassung kleinräumiger Gesundheitsdaten, im Sinne einer nachhaltigen kommunalen Sozialplanung.
Niederschwellige, sozialraumorientierte Gesundheitsförderung in den ZiQ Projekten
Wie sozialraumorientierte Förderangebote zur Stärkung von Gesundheitskompetenzen für Kinder, Jugendliche und von deren Familien in der Praxis aussehen können, zeigen eindrücklich die Projekte des ZiQ-Förderprogramms in NRW. Denn der Förderbaustein „Gesundes Aufwachsen“ hat seine Stärken im Bereich der gesundheitlichen Einflussfaktoren Ernährung und Bewegung.
Zur Illustration: Gemeinsames Kochen und Essen, Fruchtschorlen-Tasting, Abenteuer im nahegelegenen Wald erleben, Gärtnern im Innenstadtgarten, Gemüsebeete auf ehemaligen Parkplätzen anlegen, Kräuter bei Wanderungen im Stadtteil kennenlernen, Hip-Hop tanzen und beim Open Sunday in der Sporthalle toben, sind nur ein kleiner Auszug einer ideenreichen Angebotspalette, um die motorischen, sozialen und gesundheitlichen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen zu verbessern und damit ihre soziale und bildungsbezogene Teilhabe zu fördern. Die Ernährungs- und Bewegungsangebote sind partizipativ und aktivierend angelegt. Sie orientieren sich an der Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen im Quartier und bieten ihnen die Chance, ihr Körperempfinden positiv und sich als selbstwirksam zu erleben und beziehen auch ihre Familien ein. Wichtig dabei: Der Zugang muss niederschwellig sein und es soll Spaß machen! Wie Entdecker*innen und Forscher*innen erobern sich Kinder und Jugendliche gemeinsam mit Projektmitarbeitenden öffentliche Freiräume in den Quartieren wie Hinterhöfe, Schulhöfe, wohnungsnahe Parkplätze und öffentlichen Parks, um Bewegung auch im Alltagserleben zu integrieren. Gemeinschaftliches Entdecken, Erleben und Lernen scheint aufgrund der Covid-19 Pandemie noch notwendiger zu sein als zuvor, denn das Sozialverhalten und die eigene Konfliktlösungsbereitschaft hat bei Kindern und Jugendlichen durch die Kontaktbeschränkungen deutlich gelitten.
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Hinweis: Dieser Artikel ist zu großen Teilen einer fachjournalistischen Veröffentlichung entnommen, die durch die Journalistin Marion Slota im Auftrag der G.I.B. erstellt wurde. Der Originaltext steht als Download unter folgendem Link zur Verfügung:
Ansprechpersonen in der G.I.B.
Lisa Bartling
Autor:
Lars Czommer
Ansprechperson im MAGS
Ministerium Arbeit und Soziales des Landes NRW
Gabriele Schmidt