In Beziehung kommen trotz Trauma


Eine Aufgabe in der Arbeit als GFK-Trainer/Trainerin sehe ich darin, neben den kognitiv zu vermittelnden Grundlagen Beziehungen aufzubauen, die von Wohlwollen, Akzeptanz, Mitgefühl und Augenhöhe geprägt sind. Ich möchte damit die innere Haltung der GFK erlebbar machen. Wie aber geht das, wenn ich selbst und mein Gegenüber diese Art des Beziehungsaufbaus möglicherweise nicht in der Tiefe unseres gesamten Seins verankert haben, weil wir "verwundet", also traumatisiert sind?
Carl Rogers, der Begründer der personzentrierten Psychotherapie, hat den Begriff der unbedingt positiven Beachtung verwendet. Wenn wir diese in unserer frühkindlichen Prägungszeit nicht ausreichend von unseren Bezugspersonen erfahren, kann dies zu Bindungsverletzungen bzw. Entwicklungstraumata führen, die unsere Art der Weltwahrnehmung und Beziehungsgestaltung bestimmen. Ob ein bestimmtes Ereignis für einen Menschen traumatisch ist, ist letztlich erst an den individuellen Reaktionen und den späteren Folgen erkennbar. Daher der Begriff Traumafolgestörung(en). Traumatisch ist ein Erleben, wenn es für die Person nicht verarbeitbar ist und folglich die Überforderung des Erlebten im Körper unverarbeitet zurückbleibt. Die sensorischen ("sinnlichen") Eindrücke werden fragmentiert gespeichert und können jederzeit unbewusst getriggert werden.
In der frühkindlichen Entwicklung kann es dann zur Ausbildung eines Nervensystems führen, das nicht mehr adaptiv zwischen Anspannung und Entspannung innerhalb eines weiten Toleranzfensters schwingt, sondern "darüber hinaus schießt". Für die Mobilisierung (Anspannung bzw. Erregung) des Körpers und seiner Organe sorgt der Sympathikus, für die "Immobilisierung" (Beruhigung, Entspannung) der Parasympathikus. Entsprechend der Polyvagal-Theorie von Porges steht dem sympathischen Nervensystem ein zweigeteiltes parasympathisches Nervensystem gegenüber: zum einen der ventrale Vagus (soziale Interaktion und Entspannung), zum anderen der dorsale Vagus (Schreckstarre).
Alle drei Zustände des autonomen Nervensystems (ANS) sollen für Sicherheit und Überleben sorgen. Ihre Regulation erfolgt weitgehend ohne bewusste Wahrnehmung und kann kaum willentlich beeinflusst werden. Dennoch sind wir dem ANS nicht ohnmächtig ausgeliefert. Die Traumatherapeutin Dami Charf bezeichnet Trauma als eine Störung der Selbstregulationsfähigkeit, die veränderbar ist. Bindungsverletzungen und Entwicklungstraumata führen zu chronischer Dysregulation und zu einem "biphasischen Hin- und Herspringen" zwischen Übererregung und Erschöpfung. Menschen stecken dann fest, sind überfordert oder überwältigt, können schlecht entspannen bzw. ankommen und fühlen sich wenig (Charf). In diesem Zustand ist auch der Aufbau von Beziehungen in der oben genannten Qualität kaum möglich.
Daraus folgt für mich, dass wir in unserer Arbeit als GFK-Trainer/Trainerinnen uns zunächst für unsere eigenen Spannungszustände sensibilisieren. Die Wahrnehmung des eigenen körperlichen Erlebens können wir in jeder Situation üben. Folgende Fragen sind dabei hilfreich: Wie ist meine eigene Spannung? Kann ich mich selbst in meinem Körper fühlen? Wie ist mein Atem? Bei chronischer Anspannung sind Körperübungen hilfreich, die direkt auf das ANS wirken (siehe dazu Julie Henderson: Embodying Well-Being oder die Body-to-Brain-Übungen von Dr. med. Claudia Croos-Müller).
Die klassische Selbstempathie gemäß der GFK richtet den Fokus auf die eigenen Gefühle und Bedürfnisse. Das ist sehr hilfreich, wenn ich innerhalb meines Toleranzfensters bin. Mit etwas Übung bin ich dann auch in der Lage, entlang der vier Schritte zu kommunizieren (GFK-Selbstausdruck). Bei stärkeren Gefühlswallungen bzw. Gefühlstaubheit (die darauf hinweisen, dass traumatische Verschaltungen aktiviert wurden) funktioniert das allerdings nicht mehr. Dann brauche ich körperlich wirkende Impulse (auf das ANS einwirkende), die mich wieder in den Bereich innerhalb meines Toleranzfensters zurückbringen. Diese Selbstregulationsfähigkeit ermöglicht, dass ich wieder mit mir in Verbindung komme. Erst aus diesem regulierten Zustand kann ich mich sprachlich ausdrücken bzw. einem Gegenüber in der oben genannten Qualität zuwenden.
Der Arbeit an den eigenen Triggern und das Einüben von selbstregulierendem Verhalten, das individuell sehr unterschiedlich aussieht, kommt damit eine bedeutende Rolle zu. Wenn ich aus der unbedingt positiven Beachtung meines Gegenübers herausfalle, kann ich das bestenfalls wahrnehmen und mich regulieren. Dafür gehe ich (ggf. auch nur sehr kurz) aus dem Kontakt, fokussiere mich auf das eigene körperliche Erleben und wirke darauf ein. Je nachdem, wie stark der Trigger ist, kann es auch notwendig sein, für längere Zeit aus dem Kontakt zu gehen. Dieses "aus dem Kontakt gehen" traumasensibel zu gestalten, ist eine besondere Herausforderung. Sie erfordert, dass ich "mich selbst in Sicherheit bringe, ohne die Sicherheit des Gegenübers zu gefährden". Klare, beziehungsorientierte Kommunikation ist dafür hilfreich, z. B.:
- „Ich brauche einen Moment für mich und komme gleich (in 5 Minuten/in einer halben Stunde) zu dir zurück. Ist das okay für dich?“
- „Ich bin gerade sehr aufgewühlt (etwas aus dem Häuschen etc.). Das hat nichts mit dir zu tun, sondern mit mir. Ich kümmere mich kurz darum und brauche dafür eine Pause. Okay?“
Habe ich mich selbst reguliert und bin wieder innerhalb meines Toleranzfensters – also neugierig, orientiert, interessiert, adaptiv (Charf) – kann ich mich von Herzen meinem Gegenüber (wieder) zuwenden und in Beziehung gehen. In einem gut regulierten Zustand kann ich auch eher wahrnehmen, wie der Spannungszustand meines Gegenübers ist und ggf. Co-Regulation anbieten, denn ein von Trauma geprägtes Nervensystem kann sich nur bedingt selbst regulieren.
Co-regulierendes Verhalten wirkt auf das autonome Nervensystem und kann neben ruhiger Stimmlage, freundlicher Mimik und Gestik, körperlicher Berührung auch Lachen und andere stimulierende Interventionen beinhalten (mehr dazu im Beitrag Notfallkoffer).
Ulrike Lemke, November 2024
Grundlagen:
- Seminar Trauma- und Machtsensibilisierung Juli + Oktober 2024 bei Lydia Hammerschmied, Andrea Scheuringer u. a. inkl. Handouts
- Dami Charf: Online-Mini-Fortbildung, November 2024
- Gamechanger Nervensystem: Online-Kongress November 2024
- Eigene Erfahrungen
Einige Übungen von Julie Henderson sind hier zu finden: