Lernen als Erwachsene: Wie verändert dies unser Leben?

Seit vielen Jahren, und zwar seit ich Regionalsprecherin und EPALE-Botschafterin für das EU-Förderprogramm Erasmus+ bin, suche ich eine Antwort auf genau diese und auch folgende Fragen. Was bringt finnische Erwachsene dazu, an freiwilligen und nicht-formalen Bildungsangeboten teilzunehmen, die Bestandteil der liberalen Erwachsenenbildung sind? Welche treibende Kraft, welcher Anreiz und welche Begeisterung und Leidenschaft stehen hinter einem Hobby, dem gemeinsamen Lernen und der eigenen Weiterentwicklung – selbst nach einem langen Arbeitstag, trotz einer langen Liste an unerledigten Hausarbeiten und sogar über Jahre und Jahrzehnte hinweg?
Darüber spreche mit meiner Freundin Leena Kantonen, einer pensionierten Grundschullehrerin. Aufgrund ihres Hobbys begann Leena vor vielen Jahren eine Ausbildung beim Mittelfinnischen Verband für Kunsthandwerk, der heute als Mittelfinnischer Handwerksverband bekannt ist. Dieser organisierte in den 1990er Jahren über den Verein Taito Finnland (Tietoa Taitojärjestöstä – Taito) Ausbildungsangebote für Erwachsene im Bereich Handarbeit und Kunsthandwerk. Im Laufe der Jahre absolvierte Leena diverse praktische Workshops und theoretische Unterrichtseinheiten (zum Teil mit Zertifikaten), dennoch strebte sie nie einen handwerklichen Berufsabschluss an. Auch als Rentnerin macht sie nun weiter – also insgesamt seit mehr als 30 Jahren – und kann sich ein Leben ohne Handarbeit und Handarbeitsschule nicht mehr vorstellen.

Nadelfilzen im Taito-Zentrum Jyväskylä im Frühjahr 2013
Der Impuls, etwas mit den Händen zu herzustellen, entstand bereits im Kindesalter und kam von ihrer Großmutter Helmi und ihrer Mutter Liisa. Leena wuchs in einer Welt voller Handarbeit und Kunsthandwerk auf und begeisterte sich für bildende Kunst. Eine einjährige Ausbildung an der Kunsthochschule Orivesi bot zwar einen guten Ausgangspunkt, brachte jedoch noch keinen Beruf mit sich. Das Lehramtsstudium der Bildenden Kunst an der Universität Jyväskylä hingegen war nicht nur eine solide Grundlage, sondern eröffnete ihr auch die Möglichkeit, sich durch künstlerische Arbeit (unter anderem durch Handarbeit) zu verwirklichen. Heute ist die Jyväskylä-Handarbeitsschule wie ein zweites Zuhause für Leena. Hier kann sie unter Anleitung von kompetenten Fachleuten künstlerisch und kreativ tätig werden und damit voller Begeisterung Kraft für sich selbst schöpfen. Gute Lehrer:innen wissen, wie sie die Kreativität ihrer Schüler:innen wecken können. Das ist viel wert!
Nach 30 Jahren hat sich die Zusammensetzung der Gruppe an der Handarbeitsschule natürlich verändert, aber einige Mitglieder aus der Anfangszeit sind immer noch dabei. Leena weiß wie wichtig die Gruppe für das gemeinsame Lernen ist. Alles wird miteinander geteilt – Erfahrungen, Versuche, Enttäuschungen und natürlich Erfolge. Man arbeitet gemeinsam und engagiert am selben Thema und diskutiert verschiedene Herangehensweisen an eine bestimmte Aufgabe. Unterschiedliche Perspektiven erweitern das eigene Denken.
Für die Grundschullehrerin war es wichtig, als Lernende selbst zu erleben, wie kompetente Lehrer:innen in der Lage sind, die gesamte Gruppe einzubeziehen und das Beste aus jedem Lernenden hervorzuholen. Sie müssen es schaffen Begeisterung und Kreativität in den Lernenden zu wecken und gleichzeitig dafür sorgen, dass der Prozess in die gewünschte Richtung geht, obwohl jede Person die Aufgabe auf ihre eigene Weise lösen möchte.
„Textilkunst ermöglicht es uns, mit Farben zu arbeiten. Ein Leben ohne Farben wäre freudlos, denn Farben geben Kraft“, sagt Leena. Neben der Handwerksschule hat sie ihre Kenntnisse über die Farbenlehre durch Batik-, Papier- und Webkurse sowie durch Studienreisen im In- und Ausland (für die eine Erasmus+-Förderung beantragt werden kann, Anm. d. Red.) gefestigt. Das Beste an Handarbeiten ist die Arbeit mit Farben! Das grundlegende Wissen über Farben und die Farbenlehre stammt aus dem Kunststudium, aber die Umsetzung ist immer von den jeweiligen Künstler:innen und ihren Erfahrungen abhängig.

Kis Nellemans Kurs in Papierkunst in Dänemark im Sommer 2002
Nachstehend einige Gedanken aus dem Gespräch mit Leena, die sowohl für das Lernen als auch für das Erwachsenenleben wichtig sind.
Eine unserer gemeinsamen, globalen Herausforderungen ist ein nachhaltiger Lebensstil, inklusive Kreislaufwirtschaft. Handwerker:innen überlegen, wofür all die neuen Waren benötigt und die ganzen Anstrengungen unternommen werden. Was macht man am Ende damit? Leena reflektiert und rechtfertigt ihre eigene Produktivität damit, dass sie dadurch ihren Lebensinhalt gefunden und Lebensfreude gewonnen hat. Sie hat immer gerne mit Farben und Materialien gearbeitet. Sie kann alte Stoffreste ausgraben und diese weiterverwerten und eine neue Verwendung dafür finden. Denn es ist wichtig, immer in Bewegung zu bleiben!
Von Kindesbeinen an basiert Lernen auf zielgerichteten Tätigkeiten, einfachen bis anspruchsvollen, von einer Stufe zur nächsten, über Schule und Studium bis hin zum Beruf. Erwachsene Lernende müssen hingegen keine Leistung mehr erbringen, sondern haben die Freiheit, Spaß am Lernen und an ihren eigenen Aktivitäten zu haben. Handarbeit bringt nicht nur sich selbst, sondern auch anderen Freude. Es macht Spaß, Geschenke aus der Perspektive der Empfänger:innen zu entwerfen und vorzubereiten.
Werkeln und Handarbeit sind ein Ausgleich zum Arbeits- und Familienalltag, bei dem man sich vor allem um andere kümmern muss – um Menschen und Dinge. Eine durch Handarbeit gestärkte Kreativität kann sich positiv auf alle Lebensbereiche auswirken, einschließlich unserer Beziehungen, unseres Denkens und unserer Entscheidungen. Außerdem steigert sie unseren Mut und unser Selbstwertgefühl. Auch Erwachsene erleben kindliche Freude und Begeisterung!
Erfolgreich zu arbeiten und dadurch ein gutes Ergebnis zu erreichen bringt Herausforderungen, Unsicherheiten und sogar Frustrationen mit sich. Auch erwachsene Lernende erleben das, wenn ihr eigener Plan nicht so aufgeht, wie sie es sich erhofft oder vorgestellt hatten. Für einen erfolgreichen Lernprozess müssen wir Unbehagen, Fehler und Erfolge gleichermaßen akzeptieren und immer weitermachen, um unser Durchhaltevermögen zu fördern. Auf das Lösen von Problemen folgt ein Erfolgserlebnis (nur dann ist dieses Erlebnis möglich). Als Grundschullehrerin hat Leena es sehr genossen, die Freude, den Enthusiasmus und die Motivation, die das Lernen in ihren Schüler:innen ausgelöst hat, zu sehen. Es war die größte Bereicherung bei ihrer täglichen Arbeit.

Batik mit selbstgemachten Stempeln in der Handwerksschule im Herbst 2024
Wissen, Fähigkeiten und Respekt sind das lebendige Erbe des Handwerks (Käsityön aineeton kulttuuriperintö – Taito). Es wird stetig weitergegeben, als Teil einer Generationenkette, in der handwerkliches Geschick von großer Bedeutung ist. Leena zufolge gehören auch die Freiheit des Denkens, eine unendliche Fantasie und das Erzählen von Geschichten dazu, so wie in ihrem aktuellen Textilkurs. Dort werden Materialien, Geschichten und Kreativität spielerisch verbunden und umgesetzt. Die zentrale Frage lautet gegenwärtig: Ist uns dieses Spielerische verloren gegangen? Diese Frage offenbart, wie wichtig es für unsere psychische Gesundheit ist, Dinge mit den Händen zu tun: Für einen gesunden Geist müssen wir auch mal verrückt sein dürfen, uns spielerisch ausprobieren und uns in eine Materie vertiefen.
Das digitale Zeitalter testet unsere Grenzen immer weiter aus. Das kreative Gestalten, das Gefühl verschiedener Materialien in unseren Händen und die Kraft der Farben werden zu leicht außen vor gelassen, obwohl wir stetige sensorische Anregungen benötigen, um uns wirklich wohlzufühlen. Viele von uns stricken und erleben dies als meditative Entspannung für uns selbst – ein Raum und Ruhe nur für uns.
Laut Taito Finnland macht Handarbeit glücklich. Wenn wir eine Handarbeit erlernen, finden wir neue Möglichkeiten, uns auszudrücken. Wir reagieren auf die Sehnsucht nach Schönheit, die in uns wohnt. Und das Streben nach einer schönen Umwelt hat in der Geschichte der Menschheit eine lange Tradition.
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