Die Zukunft der Bildung erzählen

Frau von Anhalt, ich möchte mit Ihnen über Bildung und Ihre Vision eines neuen gesellschaftlichen Miteinanders reden. Mit Ihrem Bureau Anhalt haben Sie das Projekt .GUT (www.hallo-gut.de) ins Leben gerufen. Sie leisten Pionierarbeit, indem Sie alte Kulturstätten zu Lernorten der Zukunft umwidmen. Wie kam es dazu?
Veränderung und Transformation beschäftigen mich schon immer. Mit meinem „Adelstitel“ wurde ich in ein System geboren, das es so nicht mehr gibt. Schon früh habe ich mich mit der Frage befasst, wie Systeme funktionieren und sich transformieren können.
Mein Bildungsweg war sehr privilegiert und sehr individualisiert. Während meine beiden Schwestern studiert haben, bin ich schnell in die Praxis gegangen: Zuerst habe ich Design gemacht, anschließend Werbung. Das war die Zeit des Obama-Wahlkampfs und der Gründungphase der Piraten Partei. Politik hat plötzlich Werbung gemacht und das Internet für sich entdeckt. Das fand ich spannend. Vieles war neu – Politik wurde auch für meine Generation relevant.
In dieser Zeit bin ich nach Berlin gezogen, wusste aber bald, dass ich nicht selbst in die Politik einsteigen will. Vielmehr erkannte ich, dass die Bildung mein Thema ist, und hoffte, dass ich darüber gesellschaftlich etwas beitragen kann. Spannend finde ich, dass ich – obwohl ich keine Akademikerin bin – immer wieder von akademischen Institutionen eingeladen werde, um von meiner Arbeit zu erzählen.
Ihr Ziel ist es, das Bildungssystem „ein Stück weit zu revolutionieren“. Was heißt das?
Bildung ist mein Herzensthema und meine Leidenschaft. Ich habe immer wieder gemerkt, dass mir – nicht zuletzt aufgrund meines Namens – zugehört wird. Zudem habe ich mich angesichts der Einschulung meiner Kinder auch privat intensiv mit unserem Bildungssystem auseinandergesetzt. So kam es 2016 zur Gründung des Bureau Anhalt, dessen Idee es von Anfang an war, konkrete Projekte im Sinne einer „anderen Bildung“ umzusetzen. Dabei hat es mich besonders gereizt, Schulen zu einem Ort des Gestaltens und Umsetzens zu machen. Das funktioniert aus meiner Sicht sehr gut über handwerkliche Fähigkeiten. So fing ich an, mich für Handwerk, Werkstätten und Makerspaces an Schulen stark zu machen.
Inwieweit ist das auch für die Erwachsenenbildung relevant?
Ich setze mich gerade im Kontext zweier Projekte in Sachsen-Anhalt sehr intensiv mit der Bildung junger Erwachsener auseinander. Dort entstehen unter dem Dach der .GUT zwei Bildungsorte, die sich inhaltlich mit Kreislaufwirtschaft und einer zukunftssichernden Energieversorgung befassen. Das Konzept wird gemeinsam mit Partnern erarbeitet, wobei akademische und praktische Expertise miteinander verschmelzen.
Prinzipiell ist es der Ansatz des Projekts .GUT, alte Kulturstätten zu Lernorten der Zukunft umzuwidmen. Das können alte Herrschaftssitze wie Schloss Dornburg oder Gut Radis (beide in Sachsen-Anhalt), einstige Fabriken wie in Bitterfeld, aber auch der ehemalige Flughafen Berlin-Tegel sein. In jedem Fall sind es gesellschaftlich relevante Orte, die ihre Umgebung geprägt haben. Wir haben gemerkt, wie bedeutungsvoll es ist, diesen Orten neues Leben zu schenken, beispielsweise indem wir dort Infrastruktur für eine bessere Bildung aufbauen.
Veränderungsprozesse bieten immer auch Freiräume. Wie können wir diese nachhaltig nutzen, gerade in Strukturwandel-Regionen?
Wenn man Menschen einlädt, ein leerstehendes Industrie- oder Kulturgut mitzugestalten, das eine Geschichte trägt, wird Transformation förmlich greifbar. Hier sehen wir den Schlüssel für ein Gelingen des Wandels nicht nur darin, Strukturen mit Hilfe neuer Technologien und Innovationen umwelt- und ressourcenschonender zu machen, sondern vor allem Brücken zwischen verschiedenen Disziplinen und Perspektiven zu bauen.
Warum ist dabei Diversität wichtig, also Expertinnen und Experten, Laien und Leute aus Wissenschaft und Kunst sowie vom Land und aus der Stadt zusammenzubringen, um gemeinsam Zukunft zu entwickeln?
Für mich ist das Bauhaus diesbezüglich ein gutes Beispiel, eine der relevantesten Innovationen aus Deutschland. Wenn verschiedene Disziplinen zusammenkommen, die auf den ersten Blick nicht zusammengehören, passiert immer etwas Neues. Innovation zur richtigen Zeit am richtigen Ort schafft Anziehung. Hieran knüpfen wir an und stellen Fragen wie: Was macht einen Ort begehrlich? Wie schaffen wir es, dass die Menschen sagen: „Dort will ich hin!“ Welche Anreize braucht es dazu? Welche Disziplinen braucht es?
Welche Rolle spielt die Erwachsenenbildung in diesem Kontext?
Bildung und Erwachsenenbildung tragen dazu bei, Menschen in Entwicklungsphasen zu begleiten. Die richtigen Formate können Innovation und Transformation verständlich und erlebbar machen und Kreativität wecken. Ich denke, dass auch die Erwachsenenbildung Grenzen überschreiten muss und Lernorte und -formate aufsuchen sollte, die sich nicht gleich im ersten Moment erschließen.
Künstliche Intelligenz wird in Zukunft das lineare Denken dermaßen gut beherrschen, dass die lineare Wissensvermittlung – gerade auch in der Erwachsenenbildung – digital erfolgen kann und wird. Bildungsmentorinnen und -mentoren werden wir aber weiter brauchen. Ihre Aufgabe wird es zunehmend sein, Dinge und Menschen aus verschiedenen Richtungen zusammenzubringen und anzuleiten. Nur wenn wir Strukturen aufbrechen, kann Veränderung im Denken und Handeln gelingen. Und dazu brauchen wir Austausch und Kooperationen.
Welchen Beitrag kann die Erwachsenenbildung leisten, um in gesellschaftlich relevanten Fragen vom Denken ins Handeln kommen?
Wir leben in einer Demokratie. Und eine Demokratie macht aus, dass Entscheidungen über die Mehrheit einer vielfältigen Gesellschaft getroffen werden. Die Erwachsenenbildung hat die Aufgabe, all diesen Menschen eine Chance auf lebenslange Entwicklung zu ermöglichen und somit Teilhabe in einer demokratischen Gesellschaft zu ermöglichen. Zugleich ist es wichtig, dass Menschen begleitet werden, ihre individuellen Fähigkeiten und Talente zu entdecken und zu stärken. Die Stärkung der Diversität ist wichtig innerhalb einer Gesellschaft.
Im Rahmen des Bamberger Forums für Erwachsenenbildung und Weiterbildung, das im November als gemeinsame Veranstaltung der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und von EPALE stattfindet, werden Sie über Visionen und Impulse für eine zukunftsorientierte Bildung diskutieren.
Ja, und mein Impuls lautet: Wie muss ein Lernort aussehen, an dem Menschen sein möchten, weil sie wissen, dass sie dort neue und innovative Dinge lernen können und den Freiraum haben, mitzugestalten? Hier gibt es noch viel ungenutztes Potenzial.
Wie sehen denn solche Lernorte der Zukunft aus?
Es geht um Orte, die Gemeinschaft pflegen und tragen. Um physische Orte, an denen das gemeinsame Machen und Lernen, der Austausch und das Neue geschehen. Orte, an denen wir Freiraum haben. Wir wollen schöne und gute Lernorte entwickeln, denn wir spüren, ob ein Ort uns einlädt und dort Inspirierendes passieren kann oder nicht.
Wie gelingt das in Bitterfeld-Wolfen?
Die meisten wissen nicht, dass die Region um Anhalt-Bitterfeld ein Schmelztiegel des Wandels war und ist. Neben dem Chemiepark Bitterfeld-Wolfen reihen sich in direkter Nähe das Bauhaus Dessau, die Lutherstadt Wittenberg und das Biosphärenreservat Elbe an das Gartenreich Dessau-Wörlitz – allesamt UNESCO-Weltkulturerbe und Beispiele für den Mut zum Umbruch. Genau das wollen wir herausarbeiten, wobei es darum geht, den Ort authentisch umzunutzen und keine künstlichen Welten zu schaffen. – Unsere Philosophie ist es, diese Orte innerhalb einer Gemeinschaft zu gestalten. Das ist immer ein partizipativer Prozess, sowohl was den Bau betrifft als auch das inhaltliche Konzept.
Sie haben einmal gesagt, als Prinzessin darf man auch Träume verkaufen. Wie sieht denn Ihr Traum von der Zukunft der Bildung aus?
Das ist eine gute Frage… Ich würde mir wünschen, dass Bildung wieder einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft hat, sodass Lehrende täglich für sich wissen, warum und mit welcher Perspektive sie diesen Beruf gewählt haben. Und dass Lernende einen Ort haben, an dem sie auf ihre Zukunft vorbereitet werden, sich stetig entwickeln können und Orientierung finden.
Und bezogen auf die Erwachsenenbildung?
Die Erwachsenenbildung sollte immer wieder die Lust und Neugierde wecken, etwas Neues zu lernen und zugleich mehr Platz für das Ausprobieren und die Praxis schaffen – gerade bei Zukunftsthemen im Rahmen der gesellschaftlichen Transformation.
Wie wichtig sind Leuchtturmprojekte in diesem Prozess?
Sehr wichtig, denn sie zeigen konkret, wie die Bildung der Zukunft aussehen kann. In den sieben Jahren des Bureau Anhalts haben wir diesbezüglich einiges auf den Weg gebracht und selbst gelernt. Dabei ist uns jedoch klar, dass wir nur ein Teil des Rädchens sind, um strukturell etwas voranzubringen.
Frau von Anhalt, vielen Dank für das Gespräch.
Eilika von Anhalt wurde 1985 als zweite Tochter des Journalisten und Buchautors Eduard Prinz von Anhalt und seiner Frau Corinna Krönlein in München geboren. Seit 2008 lebt sie in Berlin, wo sie sich als Sozialunternehmerin für Bildung und Strukturwandel stark macht.
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