Wenn Kultur neue Perspektiven eröffnet


Gerade für die Zielgruppe der Erwachsenen schaffen Museen innovative Formate, um informelles, ganzheitliches und individuelles Lernen zu ermöglichen. Der Deutsche Museumsbund e.V. ist ein Wegbereiter dieser Entwicklung zum Museum als Lern- und Diskursort. Ziel seiner Arbeit ist es, allen Menschen in unserer Gesellschaft, unabhängig von sozialer Lage oder ethnischer Herkunft, eine aktive Partizipation am kulturellen Erbe zu ermöglichen – und das in allen Lebensphasen. Dazu unterstützt der Verein die museumspädagogische Arbeit der Museen, die oftmals in erster Linie als Angebot für Kinder und Jugendliche wahrgenommen wird. Doch die Ausstellungs- und Bildungsprogramme richten sich auch an Erwachsene, die Museen vor allem in ihrer Freizeit nutzen. Für diese Zielgruppen entwickeln die Museen möglichst innovative Angebote, die neben Wissen, Verständnis, Einstellungen und Werten auch Freude, Inspiration und Kreativität vermitteln sollen.
Diskursort Museum: Angebote mit gesellschaftspolitischer Relevanz
„In den letzten 20 Jahren hat sich die Museumspädagogik in Sachen Erwachsenenbildung kontinuierlich weiterentwickelt“, sagt Petra Maidt, Lehrbeauftragte am Institut für Museologie der Universität Würzburg. Sie ergänzt: „Das Museum ist zu einem Lern- und Diskursort für gesellschaftspolitisch hoch relevante Themen wie Nachhaltigkeit oder Integration geworden.“ So seien in den Jahren 2015 bis 2019 geflüchtete Menschen als neue Zielgruppe in den Fokus der Museen gerückt. Die Museumspädagogik stelle das methodische Handwerkszeug bereit, um das Empowerment und die kulturelle Teilhabe möglichst vieler Menschen zu unterstützen.
Maidt hat selbst mit Migrantinnen und Migranten gearbeitet, zum Beispiel in Übergangs- oder Sprachlernklassen. Sie erinnert sich: „Ein dankbares Thema in der musealen Vermittlungsarbeit ist stets die Geschichte der jeweiligen Stadt, denn geflüchtete Menschen wollen ihren neuen Lebensraum kennenlernen. Das Museum als außerschulischer Lernort kann sie mit konkreten niederschwelligen Angeboten in ihrer Alltagsrealität perfekt abholen.“ Für das museumspädagogische Personal gehe es dabei vor allem darum, Kenntnis über die Herkunftsländer der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu haben und die Begegnungen mit Neugier und Sensibilität für kulturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu gestalten.
„Ich halte es für sehr wichtig, dass wir diesen Menschen unsere Kultur vermitteln, denn das trägt dazu bei, Hemmschwellen zu überwinden und die Alltagswelt in Deutschland erlebbar zu machen“, unterstreicht Maidt. In den 2010er Jahren seien viele Angebote für Begegnung und Integration umgesetzt worden, die ukrainischen Flüchtlinge, die in jüngster Zeit nach Deutschland gekommen seien, stünden bislang hingegen kaum im Fokus der Museen. Ein Grund dafür sei die COVID-19-Pandemie, in deren Folge viele der meist freiberuflichen Vermittlungskräfte nicht mehr beschäftigt werden konnten, da sie sich umorientiert hatten, um ihre Existenz zu sichern.
Auch vor diesem Hintergrund hat die Arbeit mit ihren Studierenden für Petra Maidt einen hohen Stellenwert. Wiederholt hat sie im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit Praxisseminare mit dem Schwerpunkt „Deutsch lernen im Museum“ realisiert. Die Kurse wurden von den Studentinnen und Studenten sowohl konzipiert als auch vorbereitet und durchgeführt. Eine beeindruckende Erfahrung, vor allem was den Dialog mit der Zielgruppe betrifft, der nach anfänglichen Hemmschwellen äußerst lebendig und konstruktiv verlaufen sei. Maidt hoffe, dem Nachwuchs auf diese Art die Besonderheit kultureller Bildungsarbeit nahezubringen und zugleich die Methodenkompetenz der jungen Leute zu stärken. Bedarf werde es in diesem Bereich künftig zur Genüge geben.
EMYA 2023: Das neue Erlebnis namens Heimat
Szenenwechsel. Das Sudetendeutsche Museum München wurde im Oktober 2020 im Stadtteil Au eröffnet und wirbt seither mit dem vielsagenden Slogan „Das neue Erlebnis namens Heimat“. Trotz der relativ kurzen Zeit seines Bestehens wurde es als eine von drei deutschen Institutionen für den „European Museum of the Year Award“ (EMYA) 2023 in Barcelona nominiert. Grund dafür waren die „ideenreiche Präsentation und Interpretation der Exponate“ sowie der kreative Zugang, mit dem das Museum sich seinem Thema widmet. Für die Jury des prestigeträchtigsten Museumspreises Europas waren zudem innovative Ausstellungskonzepte und partizipative Veranstaltungen und Programme von Belang.
Mit beidem kann das Sudetendeutsche Museum punkten, denn, so Museumsdirektor Dottore Stefan Planker: „Kulturhistorische Museen werden in der Regel mit traditionellen Themen und Vermittlungsformen verbunden. Unser Ziel war es von Beginn an, involvierende Veranstaltungen und Programme zu entwickeln. So haben wir neben Schreibkursen für Seniorinnen und Senioren und Fortbildungen für Lehrende im Jahr 2022 eine Lasershow für Jugendliche und junge Erwachsene angeboten, die die Geschichte der Besiedlung Böhmens, Mährens und Südschlesiens durch Sudetendeutsche bis hin zur Vertreibung und zum Neuanfang bunt und modern in Szene setzte. Dabei schauen wir immer auch nach vorne. Wir wollen aus der Geschichte lernen und darauf basierend die Zukunft gestalten. Eingebettet in das Erlebnis der Lasershow ging es auch um die Frage, was wir als Museum in diesem Kontext leisten können und wie wir unsere Rolle verstehen.“
Für Planker ist das Museum mehr als ein begehbares Geschichtsbuch. Er legt großen Wert auf eine zeitgemäße „Präsentationssprache“, die die Menschen wirklich erreicht. So organisiere man immer wieder auch Konzerte und andere Events, zum Weltfrauentag 2023 beispielsweise spielte eine tschechische Frauenrockband. Das spreche eine recht breite Zielgruppe an und ermögliche neue Zugänge zu einem doch eher kulturhistorischen Thema. In diesem Sinne sei das Haus für ihn ein „Ort der Begegnung verschiedener Kulturen“.
„Natürlich geht es uns dabei auch um neue Blickwinkel und veränderte Perspektiven“, betont Planker. Im Mittelpunkt stehe jedoch immer, die Geschichte der Sudetendeutschen darzustellen und die Menschen für deren Facetten zu sensibilisieren. Denn das sei Ziel und Zweck dieses Museums, wobei die Frage, wie Europa künftig aussehen solle, stets mitschwinge. Diesbezüglich sei die Notwendigkeit des gemeinsamen Gestaltens durch den Ukrainekrieg noch dringlicher geworden als zuvor.
Planker möchte Geschichten erzählen: „Wir haben ein tolles Gebäude, dessen Architektur sehr gut ankommt. Hinter dieser Fassade verbergen sich die Schicksale von Menschen, die wir auf den verschiedenen Ebenen des Museums darstellen. Dabei ist es unsere gesellschaftspolitische Verantwortung, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Das machen wir auf innovative Art und Weise und im engen Austausch mit tschechischen Museen und anderen internationalen Partnern.“
Dem Museumsdirektor selbst ist die Perspektive, einer Minderheit anzugehören, vertraut. Planker kommt aus Südtirol und gehört der ladinischen Bevölkerungsgruppe an, die in den Tälern rund um das Sella-Massiv in den italienischen Dolomiten lebt. Er arbeitete 19 Jahre lange für das ladinische Museum und kann sich sehr gut vorstellen, was es heißt, die eigene Heimat zu verlieren. Auch wenn er diese Erfahrung zum Glück bislang nicht machen musste.
Immersive Ausstellungen: Begehbare Kunst boomt
Ein anderes Thema, das in der Museumslandschaft gerade viel diskutiert wird, sind die so genannten immersiven Ausstellungen, die in vielen deutschen Städten zu sehen sind. Sie werden allerdings nicht von Museen, sondern von entsprechenden Eventveranstaltern präsentiert. Inhaltlich geht es vor allem darum, digitale Räume zu nutzen, um eine künstlerische Erfahrung zu ermöglichen, beispielsweise auch mit Soundeffekten und mit Hilfe von Virtual Reality-Brillen. Immersive Ausstellungen sind gerade „in“: von van Gogh über Klimt und Monet bis zu Frida Kahlo. Dabei werden die Kunstwerke virtuell an die Wände geeigneter Locations projiziert – das schafft den Eindruck einer „begehbaren Kunst zum Anfassen“ und überwältigt die Besucherinnen und Besucher vor allem emotional.
Inwieweit derartige Konzepte, die vor allem eine junge und digitalaffine Zielgruppe ansprechen sollen, mit dem klassischen Kulturverständnis vereinbar sind, ist nicht ganz unstrittig. Kritikerinnen und Kritiker bemängeln vor allem, dass das Auge sich nirgends mehr festhalten könne und eine ästhetische Distanz fehle. Sie sehen in dieser neuen Form von Ausstellung eher eine Kunst-Schau, die keine Originale mehr brauche, sondern vor allem auf Erlebniswelten abziele und sich den Sehgewohnheiten von Digital Natives anpassen.
Die Macherinnen und Macher der Ausstellungen halten dem entgegen, dass die Zahl der Besucherinnen und Besucher immens sei. Die neue Art der Präsentation erreiche Menschen unterschiedlicher Generationen und mache diesen Kunst oft erst zugänglich. Vielleicht liegt genau hierin die Chance, denn letztlich darf es nicht darum gehen, dass immersive Ausstellungen in Konkurrenz zu den Museen treten, sondern dass sie Menschen erreichen und für Kunst begeistern, für die ein Museumsbesuch ansonsten unwahrscheinlich wäre. Ob wir die eigentliche Ausstellung letztlich als Kunst oder als Inszenierung von Kunst betrachten, müssen wir als Besucherinnen und Besucher selbst entscheiden.
Bildnachweis: SDM, Daniel Mielcarek