Stadtteilverwaltung im 19. Bezirk von Paris: Berufliche Eingliederung und sozialer Zusammenhalt!
„Régie de quartier“ (Stadtteilverwaltung) ist eine seltsame Bezeichnung, die den dazugehörigen Maßnahmen nicht gerecht wird. Für „Régie de quartier“ auf Englisch oder Spanisch schlagen Online-Übersetzungstools "neighbourhood management" oder "empresas de gestion de barrios" vor. Das ist weit entfernt von der sozialen Vision und der beruflichen Eingliederung, die in dem Projekt enthalten sind.
Auch wenn jede Verwaltungsstelle (Régie) anders ist, gibt es eine Bewegung, welche die fast 130 Stellen in Kontinentalfrankreich und Übersee zusammenfasst und fördert: https://www.lemouvementdesregies.org/
Die Vision dieser Bewegung
„Die Régies tragen ein humanistisches Projekt, das sich auf die Bedürfnisse der Bewohner von Problemgebieten konzentriert. Wir sind von der Notwendigkeit überzeugt, die Einwohner an Entscheidungen, die ihr Lebensumfeld betreffen, zu beteiligen. Indem man sie zu Akteuren und nicht zu Zuschauern macht, stärkt man ihre Handlungsfähigkeit und ihre Beteiligung am Leben in ihrer Nachbarschaft. Eine Régie schafft wirtschaftliche Aktivität und beschäftigt in erster Linie die Viertelbewohner und fördert damit die berufliche Eingliederung in Gebieten, in denen oft eine höhere Arbeitslosigkeit als anderswo herrscht. Wir betrachten Stadtviertel als Gemeingüter, in denen die Verwaltung von den Akteuren, aus denen sie sich zusammensetzt, geteilt werden muss. “
Zentrale Werte sind Zusammenarbeit, Solidarität, Bürgersinn und Innovation. Die Régies de quartier (Stadtteilverwaltungen) setzen sich entschieden für die gesellschaftlichen Themen von heute ein, insbesondere für den ökologischen Wandel.
Das Konzept dieser Stadtteilverwaltungen wurde Ende der 1960er Jahre auf militante Weise von Bewohnern ins Leben gerufen, die bei der städtischen Organisation des Wohnungswesens mitreden wollten - für die Bewohner und nicht für die finanziellen Interessen der Bauträger. Eine ähnlich große Bewegung gab es in Spanien in denselben Jahren angesichts des Mangels an Dienstleistungen in den Randbezirken. Es war auch ein bürgerschaftliches Mittel, um in den letzten Jahren des Franquismus gegen die Diktatur zu kämpfen (movimiento vecinal).
Bewegungen in anderen europäischen Ländern gibt es ebenfalls, darunter auch in Ost- und Mitteleuropa. Ein Artikel, der im Oktober 2015 von der Universität Cambridge veröffentlicht wurde, gibt einen historischen Einblick. „Urban societies in Europe since 1945, toward an historical interpretation„“ von Moritz FOLLMER und Mark B. SMITH.
Gespräch mit Zoé Guitel, Koordinatorin der Stelle für sozialen Zusammenhalt im 19. Bezirk
Für die Régie de quartier im 19. Arrondissement von Paris traf ich mich mit Zoé Guitel, der Koordinatorin der Abteilung für sozialen Zusammenhalt. Der Artikel wird in zwei Teilen veröffentlicht, da das dort angesiedelte Park-Projekt „le jardin du ver têtu“ besondere Erwähnung verdient.
David Lopez: Zoé, kannst du sagen, was deine Funktion in der Stadtteilverwaltung ist? Und konkret, wozu die Stadtteilverwaltung dient und welche Aufgaben zu deiner Stelle gehören.
Zoé GUITEL: Ich bin Beauftragte für sozialen Zusammenhalt und Koordinatorin der Abteilung für sozialen Zusammenhalt. Ich koordiniere und betreue die Angebote für sozialen Zusammenhalt und Aktivitäten im Stadtteilpark. Ich bin dafür zuständig, Workshops/Veranstaltungen für die Beschäftigten des Eingliederungsbetriebs der Régie und/oder auch für die Viertelbewohner zu verschiedenen Themen anzubieten: nachhaltige Entwicklung, Wiederverwendung von Gegenständen, kreativ/künstlerisch, gesellig, um das Lebensumfeld der Bewohner zu verbessern.
Die Stadtteilverwaltung ist neben dieser Abteilung für sozialen Zusammenhalt auch ein Verein zur Förderung beruflichen Eingliederung. Er beschäftigt 80 Personen, davon etwa 60 mit Verträgen zur beruflichen Eingliederung, für Zeiträume von 6 Monaten bis zu 2 Jahren. Diese Personen sind arbeitsmarktfern und benötigen einen befristeten Vertrag, der sie wieder in einen stabilen beruflichen Kontext bringt und ihnen gleichzeitig eine persönliche Betreuung bietet. Die Arbeitsplätze bestehen in Grünpflege und Reinigung. Die Haupttätigkeiten sind das Mähen der Rasenflächen im Viertel, die Reinigung von Hallen, Aufzügen, Straßen, Parkplätzen und Firmenbüros, kurzum die Verbesserung der Alltagsumgebung. Die Beschäftigten haben also in diesem Zeitraum eine produktive Beschäftigung, werden aber auch dabei unterstützt, nach ihrem Ausscheiden aus der Stadtteilverwaltung eine dauerhafte Beschäftigung zu finden. Zu diesem Zweck melden wir sie zu Schulungen an und helfen ihnen dabei, Beschäftigungshemmnisse zu beseitigen und eine Arbeit zu finden.
Die Projekte entsprechen den Bedürfnissen und Herausforderungen des Viertels „Michelet-Alphonse-Karr“, einem Viertel, das im Rahmen des Programms „Politique de la Ville“ besonders gefördert wird. Ich beteilige mich auch an Projekten anderer Akteure und Partner aus Vereinen und Institutionen, die im Viertel oder im Stadtbezirk tätig sind. Dies ist eine Möglichkeit, im Viertel präsent und aktiv zu sein.
Die Stadtteilverwaltung setzt sehr viele Projekte um. Unsere Projekte werden auf der Website und der Instagram-Seite vorgestellt und geben einen Überblick über unsere Arbeit.
- Website: https://rqparis19.org/
- Instagram-Konto: Régie de Quartier du 19ème (@regie_de_quartier_du_19eme)
Ich möchte zwei Projekte vorstellen:
1/ Fahrradschule für Frauen
Die Stadtteilverwaltung organisiert in Partnerschaft mit dem soziokulturellen Zentrum Rosa Parks und dem Verein Cycl Avenir Fahrradkurse für Frauen im 19. Bezirk. Die Kurse laufen von April bis Oktober mit einem Monat Unterbrechung im August. Dieses Programm ist für Frauen gedacht, die überhaupt nicht Fahrrad fahren können. Der Unterricht findet vor dem Zénith de Paris im Parc de La Villette donnerstags von 14:00 bis 17:00 Uhr statt. Schließlich gibt es noch zwei Kurzprogramme (April/Mai und dann Juni/Juli). Das Kurzprogramm richtet sich an Frauen, die zwar Fahrrad fahren können, aber sich in der Stadt oder in städtischen Gebieten nicht sicher auf dem Rad fühlen. Das Projekt entstand, als viele Frauen nach Ende der Corona-Beschränkungen mit ihren Kindern Fahrradtouren machen wollten, aber nicht Fahrrad fahren konnten. Wir stellten fest, dass nur wenige Frauen im öffentlichen Raum anwesend waren und noch weniger mit dem Fahrrad unterwegs waren. Das Projekt wurde 2021 gestartet. Im Jahr 2023 entstand ein Dokumentarfilm über die Fahrradschule für Frauen mit dem Titel „Un sentiment de liberté„“ (Ein Gefühl von Freiheit). Wenn die Frauen gut Fahrrad fahren können und sich dabei sicher fühlen, ist geplant, dass sie ein Fahrrad mit Helm, Schloss und Korb für 50 € kaufen können, um sich damit im Alltag fortbewegen zu können, mit Eigenfinanzierung durch Veranstaltungen der Stadtteilverwaltung des 19. Bezirksund/oder des soziokulturellen Zentrums Rosa Park.(Beispiele: Verkauf von Kuchen und/oder anderen Speisen bei geselligen Anlässen wie dem Fest für nachhaltige Entwicklung).
2/ Die Zukunft von früher
In dem Verein Apertura nehmen Frauen, die in dem Eingliederungsbetrieb der Stadtteilverwaltung beschäftigt sind, an sieben Workshops teil: Kochworkshop, Gesprächsgruppen, bewegende Debatte, Theater, Tanz, Schreiben, Kulturausflug usw. Ziel ist es, den sozialen Zusammenhalt zu stärken, sich besser kennen zu lernen und Selbstvertrauen zu gewinnen, insbesondere beim öffentlichen Reden, und ihre Kultur und ihre Vergangenheit mit anderen zu teilen. Der Zweck des Projekts besteht in einem Fotoshooting der Beschäftigten des Eingliederungsbetriebs mit einer Ausstellung in der Stadtteilverwaltung und einer Ausstellung im Rathaus des 19. Bezirks im Oktober im Rahmen der Woche zur Bekämpfung von Diskriminierung.
Die übrigen Projekte zähle ich nur kurz auf. Die Projektnamen sagen aus, worum es dabei geht. Das Fest für nachhaltige Entwicklung, Kochworkshops, gemeinsame Picknicks, Karr tier d'été (Frühstücke für Nachbarn, Passanten und Beschäftigte des Eingliederungsbetriebs), Manuterra, Workshops mit dem Kulturzentrum „le 104“, Veranstaltungen im Ver-têtu-Park (Artikel folgt).
Ich muss auch Diagnosen zur Viertelentwicklung erstellen und dementsprechend Projekte identifizieren und durchführen. Und zu meinen Aufgaben gehört auch der Kontakt zu Kommunikationsmedien: Instagram und Facebook. Ich verwalte auch ein Vereinslokal, das dem Sozialvermieter Paris-Habitat gehört und an acht lokale Vereine vermietet wird, um dort Aktivitäten für die Bewohner des Viertels durchzuführen. Dieser Raum dient auch als Versammlungsort für das Team der Stadtteilverwaltung sowie als Schulungsort für die Beschäftigten des Eingliederungsbetriebs.
Schließlich haben wir ein System zur kostenlosen Ausleihe von Werkzeugen für kleinere Arbeiten an die Bewohner sowie Festpakete (Tische, Zelte und Bänke, ...) für Vereine im 19. Bezirk.
David Lopez : Manche Stadtviertel haben ein schlechtes Image. Welche Verbindung siehst du zwischen den Aktivitäten, die ihr durchführt, und dem Ansehen des Viertels?
Zoé Guitel: Durch unsere Aktivitäten, die alle kostenlos und ohne Anmeldung im Park Ver Têtu, in den Räumlichkeiten der Stadtteilverwaltung, im Veranstaltungssaal des Vereins und auf den öffentlichen Plätzen des Viertels stattfinden, versuchen wir, die Stadtteilverwaltung bei den Viertelbewohnern bekannt zu machen, um unsere Zielgruppen und die Beschäftigten zu diversifizieren, ihnen Workshops zu Fertigkeiten anzubieten, die sie zu Hause kostengünstig anwenden können, und ihnen die verschiedenen Orte ihres Viertels nahe zu bringen. Das Ziel ist, dass sie die Orte, die sie über Aktionen der Stadtteilverwaltung kennen lernen, auch ohne uns, mit Familie oder Freunden aufsuchen. Die Herausforderung besteht darin, alle Ressourcen des Viertels aufzuwerten, indem man auch über das Vereinsleben im 19. Bezirk spricht.
Es geht auch darum, Besuche anderer Orte zu fördern und das Viertel positiv ins Gespräch zu bringen. Wir sind auch aktiv in der Kommunikation über soziale Netzwerke, unsere Website und unserem Newsletter.
David Lopez: Die europäischen Prioritäten sind die soziale Inklusion, der Kampf gegen die globale Erwärmung, die Bekämpfung der digitalen Kluft und die Förderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft. Glauben Sie, dass Sie zum Erreichen dieser Zielsetzungen beitragen? Und wenn ja, wie?
Zoe GUITEL : Wir arbeiten zugunsten der sozialen Inklusion über unseren Verein zur Berufliche Eingliederung , der Bewohner des 19. Bezirks einstellt, um die Grünflächen des Viertels zu pflegen und Gebäude und Büros zu reinigen. Dahinter steckt auch die Idee, dass ein Viertel respektvoller behandelt wird, wenn es Bewohner sind, die sich um ihr Viertel und ihre Alltagsumgebung kümmern. Es gibt auch soziale Inklusion über Aktivitäten, die den sozialen Zusammenhalt fördern und die für alle angeboten werden. Zum Beispiel die Kurzpraktika in unserem Park von Personen, die von sozialen und medizinische Einrichtungen betreut werden.
Wir reagieren auf den Kampf gegen die globale Erwärmung über die Pflege des Parks, der eine kühle und grüne Insel im Stadtviertel ist. Dort bieten wir Kurzpraktika an und zeigen Lösungen zum Wassersparen mit Mulch, Oyas und durch Anpassung der Pflanzenarten. Außerdem bieten wir Workshops zur Sensibilisierung für nachhaltige Entwicklung für alle Zielgruppen an, um sie für die Herausforderungen der Erhaltung der Natur und der Biodiversität zu sensibilisieren.
This work "Régie 19eme fleurs" by David Lopez is licensed under All rights reserved
Wir reagieren auch auf den Kampf gegen die digitale Kluft, über die Beraterinnen für soziale und berufliche Eingliederung, welche die Beschäftigten des Eingliederungsbetriebs während ihrer Berufserfahrung in der Verwaltungsstelle begleiten, unter anderem indem sie für sie qualifizierende Ausbildungen und eine dauerhafte Beschäftigung nach der Arbeit bei der Stadtteilverwaltung suchen.
Schwieriger ist es, auf die Herausforderung einer aktiven europäischen Bürgerschaft zu reagieren, auch wenn dies im Moment so wichtig ist. Es stellt sich die Frage, ob es legitim ist, über dieses Thema zu sprechen. Es besteht gibt die Frage nach dem Wahlrecht, da alle unsere Integrationsbeschäftigten und sogar einige Bewohner nicht wählen dürfen. Es wäre sicher eine Schulung oder ein Erfahrungsaustausch zu diesem Thema notwendig, um gelassener darüber sprechen zu können.
David Lopez: Möchtest du noch etwas hinzufügen?
Zoe GUITEL: Ich wäre an einem Austausch mit ähnlichen Initiativen in anderen Ländern interessiert. Mit dem Ziel, Erfahrungen und Ideen auszutauschen. Die Sprache ist dabei jedoch eine echte Barriere.
David LOPEZ, EPALE-Experte Frankreich.
[Übersetzung : NSS EPALE France]