Sechs Möglichkeiten für einen besseren Bildungszugang von Gefangenen in Europa

Originalsprache: Englisch

Dr. Paul Downes von der Dublin City University (Irland) befasst sich mit der Überwindung der Hindernisse, die einem besseren Bildungszugang von Gefangenen in Europa im Wege stehen.
Es existiert eine klare politische und rechtliche Grundlage für die Förderung der Bildung von Gefangenen in Europa. Sie basiert auf den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen – deren Neufassung vom Ministerkomitee 2006 herausgegeben wurde – und dem wegweisenden Schritt, den der Europäische Rat unternommen hat, um Gefangene als eine der wichtigsten Zielgruppen des lebenslangen Lernens anzuerkennen.
In den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen, die eine Reihe gemeinsamer Normen enthalten, steht Folgendes:
- 28.1 Jede Justizvollzugsanstalt soll allen Gefangenen Zugang zu möglichst umfassenden Bildungsprogrammen gewähren, die ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen und gleichzeitig ihren Ambitionen Rechnung tragen.
Unter der Überschrift „Förderung der Chancengleichheit, des sozialen Zusammenhalts und des aktiven Bürgersinns durch die Erwachsenenbildung“ werden die Mitgliedstaaten in der Entschließung des Rates über eine erneuerte europäische Agenda für die Erwachsenenbildung (2011) zu Folgendem aufgefordert:
- „Berücksichtigung des Bildungsbedarfs von (...) Personen in speziellen Situationen, in denen sie von der Bildung ausgeschlossen sind, wie Personen in (...) Haftanstalten, und angemessene Begleitung für diese Personengruppen“ (Hervorhebung durch den Verfasser dieses Textes).
Dies ist die erste Entschließung des Europäischen Rates im Bereich lebenslanges Lernen, in der Gefangene ausdrücklich als Zielgruppe genannt werden, und zwar im Hinblick auf den sozialen Zusammenhalt und aktiven Bürgersinn.
Und trotz dieses politischen und rechtlichen Hintergrunds wird der Zugang zu Bildung in Haftanstalten mitunter auf vielerlei Weise verhindert – was sich durch ein entsprechendes politisches Engagement und einen angemessenen Einsatz der Haftanstalten selbst beheben ließe. Durch folgende sechs Maßnahmen könnten die Bildungschancen in Gefängnissen verbessert werden:

1. Nutzung von allgemeinen Gefängnisgebäuden für Bildungszwecke
Ein grundlegendes Problem besteht in vielen Ländern in der Überbelegung von Gefängnissen, die zur Einschränkung der Bildungsmöglichkeiten führt, da zu wenig Räume für Bildungszwecke zur Verfügung stehen und dadurch auch die Motivation der Häftlinge sinkt. Zur Lösung dieses Problems könnten beispielsweise die „Flügel“ der Gefängnisse – in denen die Häftlinge untergebracht sind – für Bildungsmaßnahmen genutzt werden, sodass dafür keine separaten Räumlichkeiten benötigt würden. Dies würde nicht nur ein Arbeiten in dem begrenzten Raum der Gefängnisse ermöglichen, sondern hätte auch viele positive Auswirkungen, was die Verbreitung von Bildung innerhalb der Gefängnisse betrifft. Allerdings würde ein separater Unterrichtsort innerhalb der Gefängnisse durch diese Art der Bildungsvermittlung nicht ersetzt, sondern lediglich ergänzt werden. In vielen europäischen Haftanstalten muss die Rolle strukturierter ausgebaut werden, die die Interaktion Gleichgesinnter spielt, wenn es um die Förderung der Motivation geht, am lebenslangen Lernen teilzunehmen.
2. Schaffung von Bildungsangeboten in allen Gefängnissen
Ein weiterer zentraler Punkt, der die Lernmöglichkeiten betrifft, ist nicht nur die vorzeitige Haftentlassung, sondern auch die Überstellung von Häftlingen in ein anderes Gefängnis. Dieses Bildungshindernis lässt sich durch die Schaffung von integrierten Bildungsangeboten in allen Gefängnissen sowie der Zusammenarbeit zwischen Haftanstalten und lokalen Bildungseinrichtungen beseitigen. Mit kürzeren, zielgerichteten Intensivkursen kann besser auf die Bedürfnisse derjenigen Häftlinge eingegangen werden, die möglicherweise entlassen werden.
3. Aufbau einer Zusammenarbeit zwischen den Lehrkräften
In manchen Ländern lassen sich nur schwer Lehrkräfte für Gefängnisse finden, was hauptsächlich an deren Bezahlung liegt. In vielen EU-Mitgliedstaaten liegen nur sehr wenige Daten zur beruflichen Weiterbildung und Unterstützung von Lehrkräften vor, die in Gefängnissen arbeiten. Hier muss eine entscheidende Entwicklung stattfinden – weg von dem individualistischen Ansatz des isolierten Gefängnislehrers bzw. -tutors hin zu einem kooperativen Ansatz. Besonders wichtig ist dies bei der Aus- und Weiterbildung im Gefängnis, für die ganz eigene spezifische Anforderungen gelten können. Für die Entwicklung von bewährten Verfahren für die Aus- und Weiterbildung in Gefängnissen ist eine entsprechende Zusammenarbeit der Lehrkräfte erforderlich.
4. Gewährleistung, dass Aus- und Weiterbildung bei Gefangenen den gleichen Stellenwert hat wie Arbeit
Was die Aus- und Weiterbildung im Gefängnis erschwert, ist die diesbezügliche Haltung von Personal und Medien sowie die Tatsache, dass die Gefängnistüren verschlossen sind und die Häftlinge zu bestimmten Zeiten nicht am Unterricht teilnehmen können. In manchen Ländern existieren fragwürdige Regelungen, wonach Häftlinge, die eine Aus- und Weiterbildung einer Arbeit im Gefängnis vorziehen, einen Einkommensverlust hinnehmen müssen. Dies scheint im Widerspruch zu den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen zu stehen, in denen es in Punkt 28.4 heißt: „Aus- und Weiterbildung ist im Vollzug der gleiche Stellenwert wie der Arbeit einzuräumen. Gefangene dürfen durch die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen nicht finanziell oder anderweitig benachteiligt werden.“
5. Schaffung von webbasierten Lernangeboten
Die Teilnahme an Fernunterricht und webbasierten Lernangeboten wird in etlichen europäischen Ländern aus Sicherheitsgründen verhindert. Während die Kommunikation von Gefangenen mit der Außenwelt aus naheliegenden Gründen eingeschränkt wird, muss es jedoch rein technisch möglich sein, Programme zu konzipieren, die eine eingeschränkte Kommunikation nach außen und den Zugang zu wesentlichen Aspekten des Internets zwecks Fernunterricht ermöglichen. Die Entwicklung einer entsprechenden Technik muss in allen Gefängnissen der EU Priorität haben – was als technisches Problem dargestellt wird, entspricht vielmehr einem fehlenden politischen Willen, für diese begrenzte Kommunikation mit der Außenwelt die geeignete Technik bereitzustellen.
6. Strategische Ausrichtung der Aus- und Weiterbildung im Gefängnis
In einigen EU-Mitgliedstaaten fehlt es ganz offensichtlich an einer strategischen Ausrichtung der Aus- und Weiterbildung im Gefängnis auf nationaler Ebene. Hier muss sich dringend etwas ändern, damit die Aus- und Weiterbildung in diesen Ländern nicht mehr an den Rand der nationalen Bildungspolitik und der Maßnahmen für lebenslanges Lernen gedrängt wird.
Dieser Blog-Beitrag basiert auf einer von Dr. Paul Downes in zwölf Ländern durchgeführten Studie für sein Buch Access to education in Europe: A framework and agenda for system change. Welche weiteren Hindernisse gilt es Ihrer Ansicht nach anzugehen? Wie können die Bildungsangebote für Gefangene in Ihrem Land noch verbessert werden? Teilen Sie uns Ihre Meinung in den Kommentaren mit! |
Dr. Paul Downes ist Direktor des Educational Disadvantage Centre und außerordentlicher Professor für Erziehungswissenschaften (Psychologie) an der Dublin City University in Irland.
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