Professionalisierung des Bildungspersonals für die Digitale Bildung Älterer in Deutschland und Europa
Im Zuge des technologischen Fortschritts und einer zunehmenden Digitalisierung wird es für Ältere Menschen immer bedeutender, über ausreichende und aktuelle digitale Kenntnisse zu verfügen, um am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Und obwohl digitale Kompetenzen von der EU als eine von acht Schlüsselkompetenzen für Lebenslanges Lernen identifiziert worden sind und eGovernment, Online Banking, digitale Kommunikation etc. unseren Alltag prägen, leben in Deutschland mind. 5,4 Mio. deutschsprachige Offliner ab 60 Jahren in Privathaushalten, plus nicht-deutschsprachige Offliner in Privathaushalten und ältere Menschen, die in Einrichtungen leben (Rathgeb et al. 2022). In vielen europäischen Ländern sieht es ähnlich oder teils noch schlechter aus.
Der Bedarf digitaler Bildung für Ältere ist also groß und weiter steigend. Eine flächendeckende Verfügbarkeit von qualitativ hochwertigen digitalen Angeboten ist daher notwendig. Grundlegend ist hierfür wiederum entsprechend qualifiziertes Personal, die diese Angebote überhaupt durchführen können. Bislang ist aber die Professionalisierung und Qualifizierung von Durchführenden von Angeboten zur Technik- und Medienkompetenz älterer Menschen auf nationaler Ebene ein vernachlässigtes Thema.
Aus diesem Grund führte die Nationale Koordinierungsstelle Europäische Agenda für Erwachsenenbildung zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen e.V. (BAGSO) am 8. Mai 2023 ein Fachgespräch mit mehr als 40 Expert:innen aus Deutschland, Österreich, den Niederlanden und Luxemburg durch. Im Mittelpunkt standen die Fragen, welche Schritte der Professionalisierung dieses Tätigkeitsfeldes national und in anderen europäischen Ländern bereits ergriffen wurden, erfolgreich sind, welche zukünftig notwendig sind und was Deutschland diesbezüglich von anderen Ländern lernen kann.
Status Quo der Professionalisierung des Bildungspersonals für die Digitale Bildung Älterer in Deutschland
In Deutschland wird die Vermittlung von digitalem Wissen für die Zielgruppe der älteren Lernenden in einer Vielzahl an unterschiedlichen Modellen geleistet.
Dazu gehören erstens Freiwilligeninitiativen (auch: „Senioren-Internet-Initiativen“) in denen überwiegend ältere Menschen digitale Kompetenzen an ältere Menschen vermitteln. Diese Freiwilligen haben überwiegend einen technischen und teils pädagogischen, jedoch meist keinen geragogischen Hintergrund. Standards bei der Qualifizierung von Freiwilligen existieren bislang noch nicht. Allerdings werden zahlreiche Qualifizierungsprogramme auf Bundes-, Länder- und regionaler Ebene angeboten. Ebenso wurden spezifische und strukturelle Qualifizierungsangebote im Rahmen von Projekten entwickelt.
Zweitens erfolgen digitale Angebote in traditionellen Bildungseinrichtungen, wie zum Beispiel den Volkshochschulen, durch wenige hauptamtlich tätige Pädagogen und zunehmend mehr neben- und freiberuflichen Mitarbeitenden. Im günstigsten Fall sind es Erwachsenenbildner:innen mit Medienkompetenz, aber selten mit geragogischer Expertise, die solche Angebote durchführen. Dies ist auch dadurch begründet, dass bislang für Geragog:innen und Fachkräfte an der Schnittstelle von (Medien-)Pädagogik, Sozialer Arbeit und Technik derzeit nur sehr begrenzte Studien- und Weiterbildungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Drittens sind es Selbstständige und Mitarbeitende in Start-Ups, die älteren Menschen digitales Wissen vermitteln. Die Personen weisen einen diversen Qualifikationshintergrund auf, meistens aus der IT oder dem Marketing. Sofern sie selbst Lehrende qualifizieren, erfolgt dies meist auf Basis selbst entwickelter Curricula, jedoch selten mit geragogischem Bezug.
Viertens werden digitale Kompetenzen von geschulten Pflege- und Betreuungskräften mit Zusatzqualifikationen weitergegeben. Diese Kräfte absolvieren dafür eine formalisierte Basisqualifizierung und jährliche Fortbildungen. Bisher gibt es allerdings noch wenige Anbieter, die eine entsprechend technisch geragogische Zusatzqualifikation der Betreuungskräfte vorhalten. Die Nachfrage nach dieser Zusatzqualifikation besteht jedoch.
Über alle Modelle hinweg reichen die vorhandenen Haupt- und Ehrenamtlichen nicht aus, um den vorhandenen Bedarf an Lernbegleitung zum digitalen Kompetenzerwerb zu decken. Allein das bundesweit am weitesten verbreitete Modell „Freiwilligeninitiativen“ steht mit etwa 500 Gruppen, die durchschnittlich 10 Engagierte umfassen, 7 Millionen Offlinern und mindestens ebenso vielen Anfänger:innen mit Bedarf nach Unterstützung gegenüber.
Zur Qualifikation von mehr Haupt- und Ehrenamtlichen fehlt es an Ausbildungs-, Studiums-, Weiterbildungs- und Fortbildungsmöglichkeiten in Bezug auf die Schnittstelle Informations- und Kommunikationstechnologien, Didaktik und Geragogik. Die Studien- und Weiterbildungsmöglichkeiten für Hauptamtliche sind sehr begrenzt und geragogische Module sind in nur wenigen Studiengängen und in keinem Lehrstuhl in Deutschland verankert. Hinzu kommt, dass bisweilen auch nur unzureichend bekannt ist, dass es für die gelingende Gestaltung von Lernprozessen im Alter weiterer Qualifizierung bedarf. Das Interesse nach geragogischen Qualifizierungsangeboten ist dagegen bei den ehrenamtlichen Senioren-Internethelfer:innen groß. Diesem wird zunehmend auch durch Bundes- und Landesprogramme in gewissem Umfang nachgekommen, z.B. im Digital-Kompass oder im DigitalPakt Alter.
Status Quo der Professionalisierung des Bildungspersonals für die Digitale Bildung Älterer in Europa
Die Recherche zum Thema der Professionalisierung des Bildungspersonals für die Digitale Bildung Älterer in Europa gestaltete sich mangels öffentlich sichtbarer Beispiele und Projekte als schwierig. Dies gibt einen guten Hinweis darauf, dass das Thema der Qualifizierung und Professionalisierung von Bildungspersonal für die digitale Kompetenzentwicklung älterer Menschen in Europa bislang ebenso wenig bildungspolitisch diskutiert und aufgegriffen wurde wie auf nationaler Ebene. Eine Befragung innerhalb des Erasmus+ Projekts DigitalScouts (2022-2025) mit Projektpartnern aus Deutschland, Österreich, Niederlande, Portugal und Rumänien, das von der ISIS gGmbH koordiniert wird, zeigte, dass der Bedarf an Schulungen in allen untersuchten Ländern insgesamt größer ist als erwartet, und ein großes Potenzial in Kooperationen und Synergien mit bestehenden Angeboten liegt. Während in Portugal und Rumänien kaum Qualifizierungsmöglichkeiten für Bildungspersonal identifiziert werden konnten, existieren in Österreich umfangreiche Lehrgänge und das Gütesiegel "Digitale Senior:innenbildung“, die von der Servicestelle Digitale Senior:innen AT entwickelt wurden.
Servicestelle Digitale Senior:innen AT in Österreich
Die Servicestelle Digitale Senior:innen AT in Österreich unterstützt seit 2017 Bildungseinrichtungen und Trainer:innen mit einem breiten Spektrum an Dienstleistungen, Materialien und Angeboten bei der Planung und Umsetzung von digitalen Bildungsangeboten für ältere Menschen. Eine solche zentrale Stelle, die entsprechende Serviceangebote anbietet und deren Standardisierung, ist europaweit einzigartig. Zu den Angeboten der Servicestelle gehören Schulungsmaterialien wie z.B. Leitfäden zu verschiedenen Themen rund um die Vermittlung digitaler Kompetenzen sowie Einzelberatungen und Workshops zur Entwicklung, Planung und Umsetzung von Angeboten der digitalen Bildung. Die Servicestelle bietet ebenso einen Lehrgang als Digitalbegleiter:in an und verleiht das eigens entwickelte Gütesiegel "Digitale Senior:innenbildung“. Dieses ist eine Auszeichnung auf Basis von Qualitätskriterien für Seniorinnen und seniorengerechtes Lehren und Lernen mit digitalen Technologien. Mit dem Gütesiegel können Bildungseinrichtungen und Trainer:innen die Qualität des eigenen Angebots steigern, ihre Qualitätssicherungsmaßnahmen sichtbar machen und die Zielgruppe besser ansprechen.
Beispiel Niederlande
In den Niederlanden wurde 1996 der Verein SeniorWeb NL gegründet. Dieser Verein umfasst inzwischen ca. 150.000 Mitglieder. Ältere Menschen können für einen kleinen jährlichen Mitgliedsbeitrag Hilfe im Umgang mit dem Internet und digitalen Geräten bekommen, die über das Telefon, Internet oder Hausbesuche erfolgt. Die Lernenden können genauso Lernzentren aufsuchen, Online-Kurse besuchen oder einen Newsletter sowie eine Zeitschrift beziehen. In SeniorWeb NL sind 39 Hauptamtliche beschäftigt, wovon sechs Mitarbeitende die ca. 2.800 Freiwillen koordinieren und betreuen. Dies umfasst die kontinuierliche Qualifizierung der Freiwilligen innerhalb einer Freiwilligenakademie, die Erstellung und Ausstattung mit Material sowie die Beförderung des Austausches von Wissen und Erfahrungen zwischen den Freiwilligen. Die Lernzentren, in denen die Freiwilligen die digitalen Kompetenzen vermitteln, sind in Kooperationen mit z.B. Bibliotheken, Wohlfahrtsverbänden und Seniorenorganisationen aufgebaut worden, die diese Lernzentren beherbergen. Insgesamt ist diese Form der Freiwilligenorganisation u.a. nur möglich, weil das Freiwilligenmanagement in den Niederlanden einen höheren Stellenwert als in Deutschland hat. Das Freiwilligenengagement in den Niederlanden weist einen hohen Professionalisierungsgrad mit entsprechender Anerkennung auf, das zum Beispiel auch in Studiengängen erlernt werden kann.
Fazit
Digitale Bildung für ältere Menschen ist neben der Tatsache, dass ebenso analoge Angebote und Alternativen verfügbar sein müssen, eine wichtige Bedingung zur gesellschaftlichen Teilhabe dieser Gesellschaftsgruppe. Die Vermittlung von digitalen Kompetenzen an ältere Menschen erfolgt in Deutschland innerhalb verschiedener Modelle und Angebotsformen. Für qualitativ hochwertige Angebote ist zentral, dass die Personen, die zur digitalen Kompetenzentwicklung älterer Menschen beitragen im Haupt- wie im Ehrenamt auch professionell qualifiziert sind oder zumindest auf geeignete Unterstützungsstrukturen zurückgreifen können. Es zeigt sich, dass diese Begleitung und Professionalisierung bisher in Deutschland unsystematisch stattfinden. Für das Haupt- wie im Ehrenamt sind vor allem Qualifizierungsangebote zu geragogischen Prinzipien nicht ausreichend vorhanden. Die Beachtung dieser bildet wiederum eine wichtige Voraussetzung für eine gelingende Gestaltung von Lernprozessen im Alter.
Es wird deutlich, dass die Fragestellung der Professionalisierung und Qualifizierung von Durchführenden von Angeboten zur Technik- und Medienkompetenz älterer Menschen bislang in anderen europäischen Ländern eine ebenso geringe Relevanz hat, aber zunehmend wichtiger wird. Mit der Servicestelle Digitale Senior:innen AT und den Aktivitäten des Vereins SeniorWeb NL bestehen in Europa einmalige Beispiele und Blaupausen dazu, wie einerseits Qualifizierungs- und Professionalisierungsangebote und andererseits ehrenamtliche Kompetenzvermittlung organisiert sein können. Um die Professionalisierung und Qualifizierung von Durchführenden von Angeboten zur Technik- und Medienkompetenz älterer Menschen in Deutschland nachhaltig voranzutreiben, bedarf es noch vieler weitere Schritte und den politischen Willen, insbesondere in Hinblick auf die Finanzierung. Es zeigt sich, dass der Blick ins europäische Ausland sowie ein gemeinsames europäisches Lernen wesentlich dazu beizutragen, das Thema weiterzuentwickeln.
Weitere Ausführungen zur Thematik finden Sie hier.
Quelle:
Rathgeb, T., Doh, M., Tremmel, F., Jokisch, M. R., & Groß, A.-K. (2022). SIM-Studie 2021: Senior*innen, Information, Medien. Basisuntersuchung zum Medienumgang von Personen ab 60 Jahren in Deutschland. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest