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EPALE - Elektronische Plattform für Erwachsenenbildung in Europa

Blog

Gute Geschichten bewegen die Menschen

Wie Storytelling neue Wege in der europäischen Erwachsenenbildung eröffnet und emotionale Zugänge für die Teilnehmenden schafft

TreeImage.
Manfred Kasper
Community Collaborator (Silver Member).

„In der Erwachsenenbildung geht es zunehmend darum, die Menschen auch auf der emotionalen Ebene anzusprechen und mitzunehmen, nicht nur auf der rationalen“, sagt Katrin Echtermeyer, Projektmanagerin bei der gemeinnützigen Bildungsgesellschaft Wisamar in Leipzig. Das sei gerade im Bereich Grundbildung ein wichtiges Thema, da hier der Aspekt der Teilhabe eine bedeutende Rolle spiele. 

Echtermeyer weiß, wovon sie spricht, denn gemeinsam mit der Volkshochschule Leipzig und Partnern aus sechs anderen europäischen Ländern hat sie in den Jahren 2020 bis 2022 das grenzübergreifende Erasmus+-Projekt StoryComp durchgeführt, das sich mit dem Thema Storytelling in der Erwachsenenbildung beschäftigt. Inhaltlich ging es dabei um die Entwicklung einer niedrigschwelligen und wirkungsvollen Lernmethode des Geschichtenerzählens, die Bildung für alle – auch für eher bildungsskeptische Menschen – ermöglicht und den Ansatz in der Grundbildung und der politischen Bildung systematisch etabliert. „Indem wir die Inhalte unserer Angebote in eine Geschichte verpacken, können wir unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer ganz anders abholen und mitnehmen als das in klassischen Formaten möglich ist“, sagt Echtermeyer.

Vielfältige Landschaft in Europa

Betrachtet man die Bedeutung des Storytellings in den verschiedenen europäischen Ländern, so fällt auf, dass diese sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Insbesondere in Skandinavien ist das Geschichtenerzählen tief in der Kultur verwurzelt. Seinen Ursprung hat das in der Zeit der frühmittelalterlichen skandinavischen Gesellschaft, in der mündliche Überlieferungen eine wichtige Funktion hatten, da viele Menschen nicht lesen und schreiben konnten. Geschichten dienten damals der Weitergabe von Wissen, Moralvorstellungen und kulturellen Werten. Eine Tradition, die noch heute genutzt wird, um Bildung und Training effektiver und ansprechender zu gestalten. Zum Beispiel in der Erwachsenenbildung, wenn es darum geht, ein tieferes Verständnis für die eigene Kultur und Geschichte zu entwickeln und die Integration zu fördern. 

Fabula Storytelling ist eine schwedische Gruppe von Storytellern, die in der Tradition und dynamischen Entwicklung des Märchenerzählens in Skandinavien steht. Die hier arbeitenden Pädagoginnen und Pädagogen bilden Jung und Alt, Amateure und Profis in der Kunst des Storytellings aus, zudem werden internationale Projekte in ganz Europa, Afrika und dem Nahen Osten durchgeführt. Dabei schult Fabula das Geschichtenerzählen in „praktischen“ Workshops, in denen gesellschaftlich relevante Themen eine große Rolle spielen. Mats Rehnman, Künstler und professioneller Storyteller bei Fabula, betont: „Storytelling gilt in der skandinavischen Erwachsenenbildung als eine effektive Methode, um Lernprozesse zu bereichern, kulturelles Wissen zu vermitteln und die persönliche sowie berufliche Entwicklung zu fördern. Unsere Erfahrung zeigt, dass es sehr viel Einfühlungsvermögen braucht, um eine Story ohne ein Skript zu erzählen. Gelingt dies, so erreicht man die Menschen auch in ihren Emotionen. Das scheint bei Kindern oft einfacher zu sein, kann aber gerade auch bei Erwachsenen sehr viel bewegen.“ 

Diese Erfahrung hat auch Jaap van Lakerveld gemacht. Er war von 1986 bis 2023 Direktor von PLATO, einem zur Universität Leiden in den Niederlanden gehörenden Zentrum für Bildungsforschung und -entwicklung in den Bereichen Schulbildung, Erwachsenenbildung und Unternehmensschulung. Nach seiner Pensionierung und der Auflösung von PLATO im vergangenen Jahr bietet er als Entwickler neuer Bildungsformate Workshops zur Integration von Storytelling in der Bildung an. Van Lakerveld unterstreicht: „Über das Know-how für den Einsatz von Storytelling in der Erwachsenenbildung lassen sich neue und innovative Lehr- und Arbeitsformen realisieren. Bei PLATO haben wir die Methode vor allem in Nachbarschaftsinitiativen und zu Themen des kulturellen Erbes eingesetzt. Überall dort also, wo es darum geht, ins Gespräch zu kommen und zu schauen, wie wir Brücken von gestern nach morgen bauen können.“ 

Geschichten erleichtern das Sprachenlernen

Prinzipiell gibt es sehr viele Wege, eine Story zu präsentieren und ebenso viele Möglichkeiten, die Methode in der Praxis einzusetzen. Ein Bereich ist das Sprachenlernen, wie es beim belgischen Anbieter CVO Volt realisiert wird. Denn wo immer Menschen zusammenkommen, bringen diese ihre eigenen Geschichten mit. Seien es Geschichten aus der Ferne oder lokale Legenden, Geschichten über Ungeheuer und Königinnen oder von Menschen und ihren Lebensabenteuern. „Wir erkennen uns in diesen Geschichten selbst wieder oder lassen uns mitreißen, denn Geschichten bewegen uns immer“, glaubt Joke van Himbeeck von CVO Volt. „Daher haben wir uns entschlossen, Storytelling als Mittel zum Sprachenlernen mit Migrantinnen und Migranten einzusetzen. Wir haben in allen an der Schule unterrichteten Sprachen Erzählabende organisiert, bei denen Lernende und Einheimische von der Kraft der Geschichten beeindruckt waren. Das Tolle ist, dass man dabei auch Werte vermitteln und erklären kann, wie bestimmte Prozesse ablaufen.“ 

Storytelling ermögliche es, einen Kontext zu schaffen, in dem die kleinen Dinge am Rande dazu beitragen, das Ganze zu vermitteln. In Sprachkursen funktioniert das sowohl beim Rezipieren als auch beim Erzählen. So lassen sich Vokabeln und grammatikalische Aspekte vermitteln, zugleich aber kann auch über kulturelle Themen, Ängste, Befürchtungen, Unterschiede und Probleme geredet werden, gerade mit migrantischen Teilnehmerinnen und Teilnehmern.

Auch im slowenischen Weiterbildungszentrum Ljudska univerza Jesenice werden Geschichten aktiv genutzt, um Zugewanderten Sprachen zu vermitteln. Katarina Bertoncelj, Beraterin für Zielgruppen mit besonderem Begleitungsbedarf und Expertin für das Lernen im späten Erwachsenenalter, ist überzeugt: „Lernen durch Erzählen verbindet Wissen, Menschen und Erfahrungen, ob die Teilnehmenden nun Fremdsprachen lernen, historische Fakten erfahren, Naturphänomene erforschen oder einfach die Dimension der Empathie spüren.“ Bei alledem legt Bertoncelj großen Wert darauf, die Lernenden in die Geschichte einzubeziehen. Sei das Eis erst einmal gebrochen, könne dies eine sehr stimulierende Wirkung auf die Teilnehmenden haben.  Auch die non-verbale Kommunikation – zum Beispiel der Blickkontakt – können dabei eine wichtige Rolle spielen. 

Obwohl jedes Land seine eigene Art und Historie hat, Geschichten zu erzählen, gebe es beim Storytelling immer auch etwas Verbindendes, berichtet Katrin Echtermeyer abschließend. Denn stets werden die Teilnehmenden aktiv in die Verantwortung am Lernprozess einbezogen. Das sei die große Stärke und zugleich auch eine Verpflichtung, derartige Ansätze als Lernkultur in der Erwachsenenbildung zu etablieren“.

(Foto: Pixabay)

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