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Fit für den Alltag

Kinder, Jugendliche, Erwachsene – im Umgang mit Geld kann fast jeder noch etwas lernen. Doch wie steht es um ökonomische Grundbildung an deutschen Schulen?

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„Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann 'ne Gedichtanalyse schreiben. In vier Sprachen.“ Dieser 138-Zeichen-Tweet einer Kölner Abiturientin brachte 2015 die Misere vieler Jugendlicher auf den Punkt. Sie fühlten sich durch die Schule nicht ausreichend auf das Leben vorbereitet. 

„Um finanzielle Bildung ist es in Deutschland schlecht bestellt. Was Kinder nicht lernen dürfen, führt schon bei Jugendlichen zu handfesten Problemen. Und bei Erwachsenen schließlich kann es verheerend werden. Bis hin zur Überschuldung“, so Marius Stark, Vorstand beim Präventionsnetzwerk Finanzkompetenz (PNFK), einem Verein, der sich für wirtschaftliche Bildung einsetzt. Finanzielles Wissen tut not, auch in der Erwachsenenbildung sollte es stärker berücksichtigt werden.

Wer ist zuständig?

In einer Innofact-Umfrage vom Otober 2017 hielten 74 Prozent der Befragten die Schulen für die Vermittlung von Wirtschaftswissen zuständig, auf Platz zwei mit 53 Prozent folgte das Elternhaus, auf Platz drei standen Banken und Sparkassen mit 42 Prozent.

Doch ökonomische Grundbildung findet in Deutschland nicht flächendeckend und nicht in allen Schulformen statt. Es wird in den Bundesländern und auf Bundesebene diskutiert, ob und wie ökonomische Bildung in die Schule gehört.

Gehört Wirtschaft in die Schule?.

Kredit, Konsum, Kassensturz

Es besteht zwar der Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) von 2013 zur Stärkung von Verbraucherbildung an den Schulen. Doch bislang gibt es keinen Konsens, ob Ökonomie vermittelt werden sollen oder nur der Teilbereich, der den Konsumenten betrifft, also Verbraucherbildung (wobei diese weitere Bereiche umfasst, etwa Ernährung).

Beim „Wie“ existiert ebenfalls kein Konsens. Da gibt es die Befürworter eines eigenen Fachs. So favorisiert Nils Goldschmidt, Ökonomieprofessor an der Universität Siegen, ein eigenes Schulfach Wirtschaft, da es um die Vermittlung von ökonomischem Denken gehe.

Die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hingegen plädiert für eine fächerübergreifende Vermittlung ohne ein spezielles Fach.

Beispiele aus den Bundesländern

In Bayern besteht seit 2014/15 das Wahlfach „Verbraucherprofi“ für die Realschulen, das Fach „Wirtschaft und Recht“ für Gymnasien existiert schon seit Jahrzehnten. Baden-Württemberg hat ab 2016/17 an weiterführenden Schulen das Fach „Wirtschaft / Berufs- und Studienorientierung“ eingeführt, erst an Haupt- und Realschulen, dann an Gymnasien.

Schleswig-Holstein widmete 2009 das Fach „Hauswirtschaftslehre“ in „Verbraucherbildung“ um, es wird in der Sekundarstufe I unterrichtet, jedoch nicht an Gymnasien, dort steht „Wirtschaft/Politik“ auf dem Stundenplan.

In Nordrhein-Westfalen (NRW) haben die Gymnasien in diesem Schuljahr das Fach „Wirtschaft Politik“ eingeführt. Doch es gibt nicht genug qualifizierte Lehrer. Helfen sollen nun Quereinsteiger.Hier sind vor allem die Hochschulen gefragt, überhaupt Wirtschaft als Lehramtsfach anzubieten. 

Auch zeigt der Fall NRW: Die Einführung des Pflicht-Schulfaches sorgt für Kontroversen. Kritisch sieht dies vor allem die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Die GEW fürchtet die Schwächung von politischer Bildung in der Schule – und zunehmende Lobbyarbeit der Unternehmen.

Lobbyismus im Klassenzimmer

Denn die Bildungsbudgets der Länder sind übersichtlich, viele staatliche Schulen sind dürftig ausgestattet. In dieser Lücke sehen Interessenvertreter ihre Chance. So versuchen Verbände, Stiftungen, Banken oder Versicherungen ihre kostenfreien Angebote wie „Business at school“, „Planspiel Börse“, „Hoch im Kurs“ im Klassenzimmer zu platzieren. Geschickt stellt sich beispielsweise die Versicherung Allianz an. Ihre Stiftung „My finance Coach“ ist nach eigenen Angaben der größte gemeinnützige Anbieter für ökonomische Bildung hierzulande.

Die Qualität der privaten Anbieter ist dabei sehr unterschiedlich. „Während Schulbücher von den zuständigen Ministerien intensiv geprüft werden, entfällt eine solche Prüfung beim Unterrichtsmaterial privater Anbieter. Das heißt die Materialien werden oftmals weder auf ihre Inhalte noch auf ihre Didaktik hin überprüft“, gibt Stark vom PNFK zu bedenken. 

Geprüfte Qualität

Wie hier Standards geschaffen werden können, ist sicherlich zu diskutieren. Licht in den Dschungel versucht der Materialkompass der vzbv zu bringen. Mangels Finanzierung lag er lange Zeit brach, doch seit Beginn des Schuljahres 2019 sind dort wieder neue Bewertungen von Unterrichtsmaterialien zu finden.

Unabhängige Experten nehmen die Materialien unter die Lupe und beurteilen sie umfassend für den Einsatz im Unterricht. So können Lehrer herausfinden, welches konkrete Material zu ihrem Unterricht passt. Und auch für Erwachsenenbildner ist der Kompass eine Fundgrube – auch sie können die positiv bewerteten Materialien nutzen. Denn nicht nur Jugendliche brauchen „Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen“, um fit für den Alltag zu werden. Auch in der Erwachsenenbildung sollte das Thema Pflicht sein, nicht Kür. Umso mehr, als dass es in der Schule (noch) nicht selbstverständlich ist.

Foto: © Maren Lohrer


Wortbrücke e.V. Maren Lohrer.
Über die Autorin:

Maren Lohrer erstellt Verbrauchernews in Leichter Sprache für „Wortbrücke e.V.“. Sie hat einen M.A. in Germanistik und Politikwissenschaften der Universität zu Köln und ist zertifizierte Mediatorin (INA at FU Berlin). Sie ist zudem Botschafterin für EPALE Deutschland.


Lesen Sie hierzu auch:

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Kommentar

Dieser Beitrag macht auf so vieles aufmerksam, das auch ich während meiner Ausbildung erlebt habe. Was bereits in der (Grund-) Schule zu kurz kommt, wird später in der Regel auch kaum mehr kompensiert. Meiner Meinung nach läuft besonders auch die höhere Schulbildung Gefahr, sich lediglich auf die Vermittlung speziellen Inselwissens zu fokussieren und Grundlegendes außer Acht zu lassen. 
Das Problem am Bildungssystem kann man letztlich immer weiterspinnen, wie die folgende tausendfach gehörte Aussage belegt: "Nun habe ich so viele Jahre Bildung hinter mir, habe Abitur und den Master in XY. Und was mache ich nun damit?"
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Liebe Mona,

da möchte ich Dir zustimmen. Werden die Grundlagen in ökonomischer Bildung nicht in der Schule gelegt, so ist es umso schwieriger, dies im weiteren Verlauf des Lebens auszugleichen.

Aus der Sicht der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger gehört der Umgang mit Geld zu den wichtigsten Fähigkeiten im Lebensalltag (Institut für Demoskopie Allensbach, 2018). Und in der Überschuldungsstatistik des Statistischen Bundesamtes 2017 gilt unwirtschaftliche Haushaltsführung als ein Auslöser für die finanzielle Schieflage.

Finanzielle Grundbildung sollte daher auch in der Erwachsenenbildung ein sehr wichtiges Thema sein. 

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Lieber Michael, danke für Deinen Kommentar. Das sehen viele Schüler offenbar genauso! Die Bundesschülerkonferenz will Alltagsthemen stärker in den Lehrplänen verankert sehen. Wie schließe ich einen Mietvertrag ab? Welche Versicherungen brauche ich? – solche und ähnliche Fragen sollten im Unterricht behandelt werden. Die Bundesschülerkonferenz hat sich nun Ende Oktober 2019 dafür ausgesprochen, einen Zukunftstag bundesweit an den Schulen einzuführen. An diesem Projekttag sollten dann Alltagskompetenzen vermittelt werden. Man darf gespannt sein, wie das Konzept umgesetzt wird. 
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ich kann nur bestätigen, was in diesem Blogbeitrag und dem Kommentar angemerkt wird: was nicht in der Schule passiert (oder im Elternhaus), muss in der Bildung Erwachsener mühselig "repariert" werden, oft wenn schon Schaden entstanden ist: Überschuldung, Privatinsolvenz..... Im Projekt des DIE,  CurVE (es gibt I und II), finanziert im Rahmen der Alphabetisierungsbemühungen durch das BMBF (siehe der Beitrag auf EPALE  https://epale.ec.europa.eu/de/blog/professionalisierung-finanzieller-gr…) werden diese Anstrengungen aber sehr systematisch angegangen. (Es ist aber auch ein langer Weg). Was bei CurVe allerdings besonders ist, ist die über die "Finanzielle Grundbildung" als Thema hinausgehende Systematik, die entwickelt wurde: das Kompetenzmodell dieses Projekts ist aus meiner Sicht vielseitig einsetzbar und eine wirkliche Denkhilfe: https://www.die-bonn.de/curve/content/PDF/DIE_Kompetenzmodell.pdf. Ich wünschte mir, dass wir in der EB, besonders da, wo es um nachholende Grundbildung geht, so systematisch an Lernen herangehen würden. 
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Liebe Heike,

danke für den Hinweis auf CurVe und das sehr praktikable Kompetenzmodell. Anzumerken ist vielleicht, dass in dem Kompetenzmodell lediglich die Vermögensbildung m.E. etwas zu kurz kommt (aber vielleicht sieht man dies nicht bei Grundbildung, sondern bei Fortgeschrittenenbildung, wer weiß?). Besonders gelungen finde ich an dem Modell die Zuordnung von möglichen Anforderungen zu den Bereichen Wissen, Lesen, Schreiben und Rechnen.

Übrigens ist nun auch der Band „Sensibel für Finanzielle Grundbildung. Studienmaterialien und Handlungsempfehlungen“ der Herausgeberinnen Monika Tröster, Beate Bowien-Jansen erschienen (wbv Verlag, Reihe: Perspektive Praxis 43/0060). Die Veröffentlichung lässt sich hier kostenlos als pdf herunterladen.

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Man muss bedenken, dass das Bildungssystem im Zusammenhang zu sehen ist: Schule ist ja Teil des lebenslangen Lernens - und allzu oft muss die Bildungsphase im Erwachsenenalter das nachholen, was in der Schulzeit nicht geleistet werden konnte. Davon können die (Ausbildungs-)Betriebe ein Lied singen. Für mein Verständnis gehört nicht abstrakte Mathematik in den Unterricht, sondern lebenspraktische ökonomische Grundbildung, genau wie im Artikel vorgeschlagen: Also Umgang mit Geld, Verständnis von Wirtschaft, Fragen von Lohn und Gehalt, Aktien und Zinsen etc. 
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Latvijas skolās arī trūkst praktisko zināšanu, bērniem būtu lietderīgi zināt par internetbanku, komunāliem maksājumiem, nodokļiem, kas nav saistīti ar algu. 
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