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Der Weg zu aktiven Bürger/innen: Wie können wir unsere Erwachsenenbildungsmodelle integrativer gestalten?
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Prof. Pirkko Pitkänen und Dr. Amalia Sabiescu teilen ihre Ansichten zum EduMAP-Projekt und dazu, wie die Erwachsenenbildung zur Integration benachteiligter Erwachsener beitragen kann.
Prävention sozialer Ausgrenzung durch Erwachsenenbildung
In aktuellen politischen und wissenschaftlichen Diskussionen gilt die Erwachsenenbildung als Schlüssel zur Unterstützung einer aktiven Bürger/innenschaft, für Chancengleichheit und gesellschaftlichen Zusammenhalt. In der Praxis hat das Erwachsenenbildungssystem in Europa jedoch ernsthafte Probleme damit, die Bildungsanforderungen der am stärksten benachteiligten Personengruppen zu erfüllen. Dazu gehören Menschen mit einem niedrigen Bildungsgrad im Bereich allgemeiner Grundkenntnisse, Lese- und Schreibfertigkeiten sowie sprachlicher oder kultureller Kompetenzen.
Um die Chancen benachteiligter Lernender auf eine aktive Beteiligung am politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Leben zu verbessern, müssen Erwachsenenbildner/innen deren alltägliche Lebensumstände und Kommunikationspraktiken berücksichtigen. So bietet die zunehmende Verbreitung digitaler Medien und Kommunikation beispielsweise viele neue Wege für die Partizipation im Rahmen einer aktiven Bürger/innenschaft. Auch immer stärkere Globalisierungstendenzen eröffnen in diesem Bereich neue Räume. So können die Menschen heute über neue Informations- und Kommunikationstechnologien aktiv mit unterschiedlichsten nationalen und internationalen Gemeinschaften interagieren.
Insbesondere unter jüngeren Menschen beschränkt sich daher die Bürger/innenschaft nicht nur auf die Bereiche gesellschaftlicher, politischer oder ökonomischer Aktivitäten. Vielmehr umfasst sie auch neue und weniger konventionelle Formen der aktiven Beteiligung, etwa über virtuelle Gemeinschaften, einmalige politische Diskussionen und verantwortungsvollen Medienkonsum.
Der Weg zur aktiven Bürger/innenschaft
Die Frage einer aktiven Bürger/innenschaft ist für die Legitimität einer demokratischen Führung von kritischer Bedeutung, denn sie ist direkt abhängig davon, inwieweit demokratische Strukturen und Praktiken von den einzelnen Personen „verinnerlicht“ wurden.
In der Praxis verhält sich die jüngere Generation im Vergleich zu älteren Bevölkerungsgruppen jedoch angesichts politischer und gesellschaftlicher Initiativen eher passiv – zumindest wenn man die herkömmlichen Beteiligungsmöglichkeiten betrachtet. Statt sich in einer hierarchisch strukturierten Gesellschaft einzubringen, interagieren die Menschen, die im Informationszeitalter aufgewachsen sind, häufig lieber innerhalb von Gruppen und virtuellen Gemeinschaften, in denen die Mitglieder als gleichrangige Teilnehmer vernetzt sind. Einzelne und deren Gemeinschaften können hier das Gesicht der Welt verändern und einen umfassenden Wandel anstoßen.
Die Erwachsenenbildung spielt aktuell eine wichtige Rolle bei der Vorbeugung von politischer Frustration, sozialer Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit in unserer Gesellschaft. Das langfristige Projekt EduMAP (Adult Education as a Means to Active Participatory Citizenship) untersucht neue Wege für das europäische Bildungssystem, um besser auf die Weiterbildungsanforderungen benachteiligter Menschen reagieren zu können und diesen regelmäßig eine Plattform anzubieten, um ihrer Meinung Gehör zu verschaffen. Das Projekt richtet sich dabei vor allem an junge Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren. Das grundlegende Ziel dabei ist es, europäische, nationale und lokale Entscheidungsträger, Bildungsbehörden und Lehrende bei der Formulierung maßgeschneiderter Richtlinien und Praktiken für die Erwachsenenbildung zu unterstützen, um den Bedürfnissen benachteiligter junger Menschen gerecht zu werden.
Untersuchung des Kommunikationsgefüges von benachteiligten jungen Menschen
Wie EduMAP feststellt, leben, interagieren und kommunizieren wir alle in einem vernetzten „Kommunikationsgefüge“ aus sozialen Netzwerken, Kommunikationskanälen und zugrunde liegenden Werkzeugen und Technologien. Dieses Kommunikationsgefüge errichtet eine unsichtbare Mauer um die von uns empfangenen und gesendeten Botschaften, um die Menschen, mit denen wir kommunizieren, und um die uns zur Verfügung stehenden Bildungs- und Berufschancen.
EduMAP analysiert diese Kommunikationsgefüge für die Erwachsenenbildung und benachteiligten Gruppen, identifiziert Übereinstimmungen und Unterschiede sowie Möglichkeiten für eine verbesserte Interaktion zwischen Bildungsanbietern und benachteiligten Erwachsenen. Die Forschung steht zwar noch am Anfang, eine Pilotstudie ergab jedoch bereits erste Ergebnisse. Bei einer Untersuchung in Rumänien wurden die Kommunikationspraktiken und der Bildungsbedarf von benachteiligten jungen Roma in einem vor allem von Bedürftigen bewohnten Stadtteil von Bukarest miteinander abgeglichen:
- Trotz des finanziellen Mangels finden junge Menschen Möglichkeiten, sich einen Zugang zum Internet zu verschaffen. Das wichtigste Werkzeug ist hier das Smartphone. Zu Unterhaltungszwecken und für den Austausch mit Freunden und Familie nutzen sie vor allem Facebook und Messenger.
- Es gibt klare Grenzen, aber auch Überschneidungen zu anderen sozialen Netzwerken, die für formale und non-formale Zwecke eingesetzt werden. Die Nutzung von sozialen Medien wie Facebook beschränkt sich beispielsweise meist auf eine non-formale Kommunikation und Unterhaltungszwecke. Andererseits finden viele junge Menschen Informationen zu Weiterbildungs- und Stellenangeboten über non-formale Netzwerke oder auch über Gemeinschaftseinrichtungen und Nichtregierungsorganisationen, die gesellschaftliche Entwicklungsprojekte durchführen.
- Dabei variieren die Privatsphäre und individuelle Abgrenzung zu anderen von Fall zu Fall und nicht immer steht nur eine bestimmte Einzelperson im Mittelpunkt. So teilen sich die Familienmitglieder häufig ein Telefon und manchmal sogar dasselbe Facebook-Konto.
- Die Nutzung von Internet und digitalen Medien für die Weiterbildungs- und Stellensuche ist oft durch falsche Vorstellungen und Mythen belastet und häufig wird das Potenzial, das das Internet für den Zugang zu Bildungs- und Schulungsangeboten bietet, nicht ausgenutzt. Viele junge Menschen zweifeln an der Richtigkeit von Anzeigen im Internet für Bildungs-, Schulungs- und Stellenangebote und sind zugleich nicht in der Lage, zwischen vertrauenswürdigen und nicht vertrauenswürdigen Informationen zu unterschieden. Stattdessen vertrauen sie möglicherweise den sozialen Netzwerken und Informationsstellen vor Ort.
EduMAP wird in weiteren Studien das Kommunikationsgefüge von Bildungsanbietern und benachteiligten jungen Menschen in anderen europäischen Ländern untersuchen. Die Ergebnisse daraus sollen Lehrenden und Bildungsbehörden dabei helfen, die Chancen in der Kommunikation und die Hürden für benachteilige junge Menschen und deren Auswirkungen auf die Erwachsenenbildung besser zu verstehen. Basierend auf den Studienergebnissen werden Plattformen und Foren für einen verbesserten Dialog zwischen Organisationen und potenziellen Nutzerinnen und Nutzern von Bildungsinitiativen geschaffen. Zum jetzigen Zeitpunkt lassen sich bereits einige wenige Schlussfolgerungen ziehen:
- Um benachteiligten jungen Menschen einen besseren Zugang zu Weiterbildungsangeboten zu ermöglichen, müssen deren Kommunikationspraktiken ausgenutzt und die Plattformen und Netzwerke identifiziert werden, die zu diesem Zweck eingesetzt und ausgebaut werden können (einschließlich digitaler Plattformen wie Facebook sowie lokaler sozialer Netzwerke und Informationszentren).
- Informationskompetenz ist ein wichtiges Thema zur Beurteilung der Relevanz digitaler Plattformen, um benachteiligte junge Menschen erreichen zu können. Es müssen mehr dauerhafte und systematische Plattformen und Informationszentren für einen gegenseitigen Austausch geschaffen werden. Diese müssen auch Weiterbildungs- und Unterstützungsangebote im Bereich Informationskompetenz einschließen.
- Langfristig brauchen wir mehr als nur sporadische Ad-hoc-Lösungen. Wir müssen Wege anbieten, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Erwachsenenbildungsorganisationen und anderen sozialen und kommunalen Entwicklungseinrichtungen zusammenzubringen, damit sie den Bedürfnissen von benachteiligten Gruppen und Gesellschaften basierend auf einem systematischen und integrierten Ansatz besser gerecht werden können.
Professorin Pirkko Pitkänen ist die Koordinatorin des EduMAP-Projekts. Sie ist Professorin für Bildungspolitik und multikulturelle Ausbildung sowie Forschungsleiterin des „Research Center on Transnationalism and Transformation“ (TRANSIT) an der University of Tampere, Finnland.
E-Mail: pirkko.pitkanen@uta.fi
Dr. Amalia G. Sabiescu ist als Forscherin für das EduMAP-Projekt tätig. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute for Media and Creative Industries der Loughborough University London.
E-Mail: a.g.sabiescu@lboro.ac.uk

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