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Was kann der Erwachsenenbildungssektor von Finnland lernen?
Die Teilnehmerquote im Bereich Erwachsenenbildung in Finnland ist die vierthöchste. 2012 nahm rund die Hälfte der Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 64 an Maßnahmen der Erwachsenenbildung teil. Bei den Frauen ist die Teilnehmerquote seit den 1980er Jahren in der Regel um 10% höher als bei den Männern.
Wie sieht ein Erwachsenenbildungssystem aus, das solch hohe Teilnehmerquoten erreichen kann? Die Antwort hört sich einfach an - ein System, das auf die unterschiedlichen Lernbedürfnisse Erwachsener eingeht, und zwar auf umfassende Weise. Die Hauptstärken des finnischen Erwachsenenbildungssystems lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1.Individualisierte kompetenzbasierte Qualifikationen
Beschäftigungs- oder berufsbezogene Qualifikationen sind in den letzten Jahren immer populärer geworden. 2012 nahmen 54% der Menschen in Finnland an berufsbezogenen Erwachsenenbildungsmaßnahmen teil. Dieser Anteil ist in den letzten zehn Jahren weitgehend konstant geblieben. Einmal mehr hat sich gezeigt, dass individuelle Studienpläne und die Anerkennung von Vorkenntnissen und Erfahrungen eine wichtige Voraussetzung sind, um sicherzustellen, dass die Bildungsbedürfnisse jedes Einzelnen berücksichtigt werden. Zu den wichtigen Grundsätzen eines kompetenzbasierten Qualifikationssystems zählen: die Zusammenarbeit aller Beteiligten – von Beschäftigten, Arbeitgebern und Erwachsenenbildnern, die Unabhängigkeit der Qualifikation von der Ausbildung, der Nachweis von Fähigkeiten in Kompetenztests und Personalisierung der Prüfungen, z.B. die Möglichkeit, nur ein einziges Lernmodul abzuschließen anstelle der vollständigen Qualifikation. Vor allem die Arbeitgeber schätzen diesen Ansatz besonders. So haben sie zum Beispiel ihren Mitarbeitern Lohn- oder Gehaltserhöhungen und andere Anreize in Aussicht gestellt, wenn sie solche berufsbezogenen Qualifikationen erwerben. Allerdings muss die Zusammenarbeit zwischen dem Erwachsenenbildungssektor und dem Arbeitsmarkt verbessert werden, um sicherzustellen, dass alle Formen des informellen und nicht formalen Lernens als Teil des Systems anerkannt werden.
2.Hochflexible Lernarrangements
Zu den wichtigsten Elementen, welche die auf Qualifikation ausgerichtete Erwachsenenbildung unterstützen (gleichgültig, ob berufsbezogen oder nicht), zählen „Blended Learning“ (gemischtes Lernen - E-Learning zum Beispiel) und der Einsatz individueller Lernpläne und von Peer-Netzwerken. Nach dem Abschluss einer Qualifikation gibt es verschiedene Möglichkeiten für Erwachsene, entweder horizontal der Übergang zu einem höheren Bildungsniveau, oder aber vertikal zu anderen Sektoren und Lernbereichen innerhalb des nationalen Qualifikationsrahmens, entsprechend den Bedürfnissen des Einzelnen oder den beruflichen Anforderungen, Interessen und der Motivation. Auch die Anerkennung von Vorkenntnissen ist ein wichtiges Element für diesen Ansatz.
3.Die Möglichkeit für Lernende, ihre eigenen Interessen zu verfolgen
Neben der beschäftigungsbezogenen Bildung, die zu Qualifikationen führt, konnte die „freie“ Bildung („liberal education“) ihren Stellenwert als informelle, nicht berufsorientierte Form der Erwachsenenbildung behaupten. Diese Art der allgemeinen Bildung, zum Beispiel Kunst- und Musikklassen, wird häufig abends und an Wochenenden angeboten und ist nach wie vor überaus beliebt in Finnland. 2012 hat rund ein Sechstel der finnischen Bevölkerung im Alter von 18 bis 64 Jahren an dieser Form der Bildung in der Freizeit teilgenommen. Auch hier lag der Anteil der Frauen bei 70%. Aus der Beliebtheit dieser Veranstaltungen wird deutlich, welchen Stellenwert Erwachsenenbildung in Finnland hat. Diese ermöglicht es erwachsenen Lernenden, sich selbst zu verwirklichen, ohne die Einschränkungen von Qualifikationen und die Anforderungen des Arbeitslebens.
4.Wettbewerb auf dem Erwachsenenbildungssektor
In Finnland ist Erwachsenenbildung ein Markt, auf dem ein sehr starker Wettbewerb herrscht. Nachdem in den letzten Jahren die staatlichen Zuschüsse gekürzt wurden, mussten Erwachsenenbildungsorganisationen neue Wege für ihre Arbeit finden, zum Beispiel durch die Zusammenarbeit mit anderen Bildungsorganisationen und Unternehmen, und sie mussten neue Bereiche für die Erwachsenenbildung finden, um ihre Arbeit fortführen zu können. Aus diesem Grund gehe ich davon aus, dass es in Zukunft durch eine stärkere Diversifizierung mehr und mehr Synergien zwischen den unterschiedlichen Arten von Anbietern von Erwachsenenbildung geben wird. Die Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Beteiligten im Bereich Erwachsenenbildung und mehr noch das Vorhandensein von Wahlmöglichkeiten für einzelne Lernende werden in den nächsten zehn Jahren immer wichtiger werden.
Dr. Eila Heikkilä hat einen Doktortitel im Bereich Bildung von der Faculty of Policy and Society, Institute of Education, Universität London. Sie ist eine Expertin mit mehr als 25 Jahren Berufserfahrung im Bereich Bildung und beruflicher Bildung und 15 Jahren Erfahrung in der Entwicklung europäischer und internationaler Bildungsprogramme. Dr. Heikkilä hält Vorlesungen über Erwachsenenbildung an der Universität Helsinki.

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